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Neue Reserven in der Produktion

Herausforderungen und Lösungsansätze für die Fertigung von Elektromotoren in Fahrzeugantriebssträngen
Neue Reserven in der Produktion

Die Produktionstechnik kann einen wesentlichen Beitrag leisten, die Herstellkosten von Elektroautos zu senken und konkurrenzfähige Anschaffungspreise zu gestalten. Um die nötigen Zielkosten etwa beim Elektromotor zu erreichen, bedarf es neuer, innovativer Lösungsansätze in der Motorenfertigung.

Die Substitution des Verbrennungsmotors in Kraftfahrzeugen mit einem elektrischen Antriebstrang geht mit großen Veränderungen für den Aufbau und die Produktion von Automobilen einher. Eine umfassende Marktuntersuchung stellte heraus, dass ein konkurrenzfähiges Elektromobil aus dem Kleinwagensegment in der Anschaffung nicht mehr als 17 600 Euro kosten darf. Davon ausgehend lassen sich Zielkosten der Produktion in Höhe von 10 500 Euro ableiten. Diese bestimmen unter Berücksichtigung gängiger Kostenstrukturen für Fahrzeuge eine Obergrenze von 570 Euro für die Herstellung des Elektromotors. Allerdings liegen die aktuellen Kosten für vergleichbare Motoren noch circa 200 % über den Zielkosten.

Elektromotoren besitzen bereits ein großes Anwendungsfeld. Obwohl deren Herstellung eine etablierte Technologie ist, steht sie hinsichtlich des Einsatzes in Fahrzeugen noch am Anfang. Als spezielle Herausforderungen sind die hohe Automatisierung der Produktionsanlagen sowie der zu erwartende Übergang von einer Klein- zur Großserie zu nennen. Zudem werden an die Elektromotoren und die damit verbundenen Produktionsprozesse teils höchste Qualitätsanforderungen gestellt, deren ausreichende Minimalgrenzwerte noch unbekannt sind. Insbesondere das Wickeln und Imprägnieren der Statorspulen sowie die Magnetbestückung des Rotors und dessen Auswuchtung stellen Kernprozesse dar, die eine sehr hohe Technologiekompetenz erfordern. Um dennoch die beschriebenen Zielkosten einzuhalten, bedarf es neuer, innovativer Lösungsansätzen innerhalb der Elektromotorenproduktion.
Bei Technologieveränderungen sollten sich betroffene Unternehmen, auch außerhalb der Automobilbranche, die Frage nach der idealen Wertschöpfungstiefe stellen, worunter der ideale Anteil der Eigenfertigung zum Fremdbezug zu verstehen ist. Technologien können auf unterschiedliche Weisen beschafft werden. So können sie etwa innerhalb eines Unternehmens entwickelt (interne F+E), in Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen entwickelt oder extern in Form von beispielsweise Patentkäufen erworben werden. Im Rahmen der Forschungsarbeiten des WZL der RWTH Aachen wird dafür derzeit eine Methodik zur Entscheidungsunterstützung entwickelt, wobei vor allem wirtschaftliche Kriterien im Fokus stehen.
Wurde sich nun für die interne Technologieentwicklung entschieden, ist der Ansatz einer integrierten Produkt- und Prozessentwicklung zu verfolgen. Dieser zeichnet sich, neben einer parallel verlaufenden Produkt- und Prozessgestaltung, insbesondere in der aktiven Beeinflussung der Produktspezifikationen durch die Produktion aus. Auf diese Weise haben konstruktive Änderungen des Produktes zeitnah Einfluss auf die Produktionsplanung. Auftretende Probleme können somit frühzeitig entdeckt und behoben werden.
Zur Durchführung dieser Produktionsplanung, vor allem innerhalb eines unbekannten Technologieumfeldes, ist neben dem Verständnis der einzelnen Produktionsprozesse ebenfalls das Verständnis der dazugehörigen Prozessalternativen zwingend erforderlich. In diesem Rahmen sind verschiedene Prozessketten zur Herstellung von permanenterregten Synchronmotoren (PMSM) hinsichtlich Kosten, Qualität und Skalierbarkeit zu bewerten. An dieser Stelle soll nur beispielhaft auf den Produktionsprozess des Bestückens von Rotormagneten und dessen Prozessalternativen eingegangen werden.
Der Prozess des Magnetbestückens ist auch immer im Zusammenhang mit den Prozessen Magnetisieren, Wellenmontage und Wuchten zu sehen. Für die Magnetbestückung wird der Rotor in einzelne Blechpaketsegmente, entsprechend der Höhe der Magnete, unterteilt, um diese ringsum in die Rotornuten zu fügen. Danach werden die Magnete in den Rotornuten verklebt. Die aufeinander gestapelten Rotorblechsegmente lassen sich mit Verfahren wie Kleben, Schweißen oder mechanisch mit Klammern miteinander verbinden.
Beim Prozess der Wellenmontage kommt es vor dem eigentlichen Fügen oft zu einer thermischen Behandlung von Welle und/oder Rotor. Dabei bestehen die Möglichkeiten der Rotorerwärmung oder der Rotorwellenabkühlung. Einerseits ist beim Erwärmen des Rotors zu berücksichtigen, dass dieser nicht über circa 120 °C erhitzt werden darf, da dies sonst zu Wirkungsgradverlusten der Magnete führen kann. Zudem kann die Wärmezufuhr zum Verziehen des Rotors führen. Andererseits ist das Abkühlen der Rotorwelle energetisch sehr aufwändig. Gegenwärtig wird beim Prozess der Wellenmontage häufig die Rotorerwärmung vorgezogen, was teilweise durch ein zusätzliches Abkühlen der Rotorwelle unterstützt wird. Ein alleiniges Abkühlen der Rotorwelle wurde derzeitig nicht analysiert.
Nachdem alle gewichtsbeeinflussenden Komponenten des Rotors montiert wurden, muss dieser ausgewuchtet werden. Dies bedingt eine Zwangsreihenfolge von Magnetbestückung und Wellenmontage als vorgelagerte Prozesse zum Wuchten. Bei diesem Prozess wird zwischen dem auftragenden (additiven) und dem abtragenden (subtraktiven) Wuchten unterschieden. Bedingt durch den geringen Bauraum wird beim Wuchten des Rotors das subtraktive Wuchten eingesetzt. Dabei wird entweder direkt in die Rotorbleche gebohrt, was jedoch die Spanabnahme bei einer bereits erfolgten Magnetisierung erheblich erschwert. Häufig werden dafür Wuchtscheiben aus Aluminium oder Edelstahl an den Planflächen des Rotors angebracht, welche eine einfache Spanabnahme beim Bohren ermöglichen.
Die beschriebenen Produktionsprozesse können in unterschiedlichen Reihenfolgen durchgeführt werden. Die daraus resultierenden Vor- und Nacheile sind im folgenden Bild dargestellt. Derzeit lässt sich beobachten, dass ein frühzeitiges Magnetisieren aus Produktionssicht als äußerst kritisch anzusehen ist. Obwohl durch ein mögliches Outsourcen dieser Prozessschritt in der internen Montageprozesskette komplett entfallen würde, werden alle nachfolgenden Prozessschritte bis zur Montage des Rotors in den Stator erheblich erschwert. Im Rahmen der durchgeführten Prozesskettenuntersuchungen hat sich die Prozessreihenfolge „Magnetbestückung, Wellenmontage, Wuchten, Magnetisierung“ etabliert. Eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung unterstützt die Auswahl der Prozessreihenfolge.
Darüber hinaus bedarf die Herausforderung des zu erwartenden Übergangs von einer Klein- zur Großserie einer skalierbaren Betriebsmittelauslegung. Dafür sollten die notwendigen Maschinen- und Anlagen modular gestaltet sein, so dass während des Stückzahlenanstiegs mehrere optimale Betriebspunkte sichergestellt werden können.
Die derzeit stattfindenden Forschungs- und Entwicklungsarbeiten des WZL zu diesem Themengebiet sollen mit dem „Zentrum für Elektromobilproduktion“ (ZEP) unterstrichen werden. Im ZEP auf dem Campus Melaten der RWTH Aachen wird eine Fertigungslinie zur Herstellung von permanenterregten E-Motoren entstehen. Innerhalb dieser Fertigungslinie werden zur Abbildung der Kernprozesse neueste Technologien eingesetzt, worunter auch eine vollautomatische Linearwickelmaschine sowie eine Anlage zur vollautomatischen Magnetbestückung zu zählen sind. Der dafür geplante Maschinenpark steht, neben der Produktion eines eigens an der RWTH Aachen entwickelten Elektromotors, auch externen Firmen zur Verfügung, die diesen anmieten können. Darüber hinaus wird im ZEP eine Produktionsanlage zur Herstellung von Hochvoltbatterien sowie diverse Prüf- und Teststände speziell für die Endmontage von Hybrid- und Elektrofahrzeugen zur Anmietung für externe Firmen zur Verfügung gestellt.
Prof. Dr. Achim Kampker Dipl.-Ing. Christoph Deutskens Dipl.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Carsten Nee Dipl. Ing. Danuta Wowreczko WZL der RWTH Aachen
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