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3D-Schaltungsträger erobern sich Nischen in der Elektronikindustrie

Neue Fertigungsverfahren erschließen neue Märkte
3D-Schaltungsträger erobern sich Nischen in der Elektronikindustrie

Von der Miniaturisierung neuer Mobiltelefongenerationen über kompaktere Steuerungsgeräte bis hin zur rationelleren Gestaltung von Funktionsträgern der Karosserieelektronik in Fahrzeugen: Räumliche elektronische Schaltungsträger (3D-MID) erschließen sich neue Einsatzbereiche.

Von unserem Redaktionsmitglied Walter Schulz

Rund 500 Mio. Mobiltelefone sollen nach Prognosen der Telekommunikationsindustrie weltweit im Jahr 2001 verkauft werden. Davon werden rund 40 % einen Anschluss an eine Außenantenne benötigen. Die dafür erforderlichen Coaxialstecker sind ein typisches Anwendungsgebiet, in das die MID-Technik (MID = Molded Interconnect Devices) gegenwärtig hineinwächst. So arbeitet die W.C. Heraeus GmbH & Co. KG in Hanau zusammen mit der Tycoelectronics Belgium EC N.V. im belgischen Oostkamp daran, einen solchen Stecker serienreif zu machen. Die Serienproduktion soll voraussichtlich im Januar 2001 bei Heraeus beginnen. Anlässlich des 4. Internationalen Kongresses zu Räumlichen Elektronischen Schaltungsträgern MID 2000 am 27. und 28. September fasste Dipl.-Ing. Jan Wahode, Projektingenieur Produktlinie Kunststoff-Metall-Verbundteile bei Heraeus, die erreichten Vorteile zusammen: „Wir konnten die Anzahl der verwendeten Bauelemente von fünf auf zwei senken und den Teilepreis um 20 %, das Teilegewicht auf die Hälfte reduzieren.“ Der Ingenieur weiter: „Das neue Teil benötigt zwei Drittel weniger Raum zum Einbau.“
„Spritzgegossene thermoplastische Bauteile mit integrierten, selektiv metallisierten Leiterbahnen eröffnen der Elektronikindustrie enorme technische, ökonomische und ökologische Vorteile“, fasst Prof. Dr. Klaus Feldmann, Inhaber des Lehrstuhls für Fertigungsautomatisierung und Produktionssystematik (FAPS) an der Universität Erlangen-Nürnberg zusammen. 3D-MID, so die Abkürzung für die dreidimensionalen Schaltungsträger, integrieren elektrische und mechanische Elemente auf nahezu beliebig geformten Leiterplatten, ermöglichen neue Funktionen und helfen beim Miniaturisieren elektronischer Baugruppen. Mechanische Bauteile lassen sich einsparen, die Montage wird einfacher und die Zuverlässigkeit der Bauteile steigt. Die verwendeten Basiswerkstoffe sind ohne Zusätze flammhemmend, leicht zu recyceln oder einfach zu entsorgen.
Als Substratwerkstoffe werden vorwiegend thermoplastische Kunststoffe eingesetzt. „Doch grundsätzlich“, so Prof. Dr. Gottfried Wilhelm Ehrenstein, Leiter des Lehrstuhls für Kunststofftechnik an der Universität Erlangen-Nürnberg, „sind auch spritzgegossene Elastomere, Duroplaste oder Keramiken denkbar.“
Bei aller Euphorie über Einsatzmöglichkeiten und Einsparpotenziale, die Anwendungsfelder der MIDs wachsen nicht grenzenlos. „MID können keine hochkomplexen Leiterplatten ersetzen, selbst die Herstellung von dreidimensionalen Leiterplatten stellt an die Montage- und Verbindungstechnik der elektronischen Bauelemente erhöhte Anforderungen“, dämpft Dipl.-Ing. Roland Meier, Geschäftsführer der Forschungsvereinigung Räumliche Elektronische Baugruppen (3D-MID e.V.) in Erlangen überzogene Erwartungen. Er stellt klar: „MID eignen sich hervorragend zur Umsetzung von Baugruppen mit mechanischen Funktionen und integrierten dreidimensionalen Leiterbahnen bei einem verhältnismäßig einfachen Schaltungslayout.“
Mehr Funktionen auf immer kleinerem Raum
„Das größte Anwendungsgebiet für die Technik liegt bei Steckern, Schaltern und Antennen für Telekommunikationsgeräte“, erläutert Prof. Feldmann. Hier beschleunigt die Möglichkeit, immer mehr Funktionen auf immer kleinerem Raum zu integrieren, die Akzeptanz von MID-Produkten besonders.
Das wurde auch in einem Projekt der Heinrich-Schickard-Gesellschaft – Institut für Mikro- und Informationstechnik (HSG-Imit) in Villingen-Schwenningen – erreicht. Eine Arbeitsgruppe des Instituts entwickelte ein Mikrodosiersystem, das mit der MID-Technik gefertigt wurde. Das Dosiersystem soll kleinste Flüssigkeitsmengen zwischen 10 µl/min und 30µl/min definiert abgeben. Alle Systemkomponenten – fluidische, elektronische und mechanische – sowie ein Füllstandsensor und die Energieversorgung waren in einem Gehäuse von 9,5 mm Durchmesser und 55 mm Länge unterzubringen. Dabei sollten alle Vorgaben mit einem möglichst geringen Montageaufwand erfüllt werden. Gerade bei der Fertigung von Mikrosystemen in Hybridtechnik treiben komplexe Fertigungstechnologien, verschiedene Materialien und teilweise sehr aufwändige Montage- und Kontaktierungsschritte die Kosten in die Höhe. Ein höherer Integrationsgrad des Gesamtsystems kann den Montageaufwand reduzieren, es sind weniger Verbindungsstellen nötig, die Zuverlässigkeit steigt und die Kosten des Gesamtsystems sinken.
Dipl.-Ing. Heidi Ashauer von der HSG-Imit stellte auf dem Erlanger Kongress die Details zu Konstruktion und Fertigung des Mikrodosiersystems vor und fasste zusammen: „Die Vorteile der MID-Technologie, wie zum Beispiel das Ausnutzen der dreidimensionalen Gestaltungsfreiheit durch eine räumliche Anordnung der elektrisch leitfähigen Strukturen auf vier Ebenen und eine direkte Integration mit elektronischen, mechanischen und fluidischen Komponenten konnten sehr gut umgesetzt werden. Der Montageaufwand für das Gesamtsystem verringerte sich stark.“
Die Ingenieure bei der HSG-Imit griffen auf das Zweikomponenten-Spritzgießen zurück. Die Produktlinie Metall-Kunststoff-Verbundtechnik der Heraeus GmbH hat den MID-Träger im Zweikomponenten-(2-K-) Spritzgießverfahren hergestellt und anschließend galvanisiert. Das in fünf funktionelle Bereiche unterteilte Trägergehäuse beinhaltet das Batteriefach, Auflagen für Membran und Ventil, den Sensorkopf, das Kapillarsystem und Ebenen für die Leiterbahnen. Die Elektronik ist auf drei Kontaktierungsebenen verteilt. Auf der obersten Ebene befindet sich der IC und die Kontaktierungsbahnen zum Sensor. Von dieser führen über flankierende Schrägen Unterbahnen zur zweiten Ebene mit den Bauelementen für die Hochspannungsversorgung. Auf der dritten Ebene, der Trägerrückseite, befinden sich die Leiterbahnen und Kontaktierungsflächen der Niedervolt-SMD.
Kontaktiert wurden die Elektronikbauteile mit Leitkleber beziehungsweise Lot. Die Erfahrungen aus dem Projekt fasst Heidi Ashauer so zusammen: „Die MID-Technik eignet sich sehr gut für die Anwendung mit anspruchsvollen, komplexen Gehäusetechniken.“ Entscheidend dabei: „Ein enges Zusammenwirken der benötigten Fachkompetenzen aus den Bereichen Elektronik, Konstruktion und Kunststofftechnik, Werkzeugbau sowie Aufbau- und Verbindungstechnik ist sehr wichtig und bereits frühzeitig während der Entwicklungs- und Konstruktionsphase nötig.“ Und sie verliert die Wirtschaftlichkeit nicht aus den Augen: „Der hohe Entwicklungsaufwand rechnet sich erst bei größeren Stückzahlen.“
Zu geringe Stückzahlen dürften im Automobilbau eigentlich kein Thema sein. Dennoch ist gerade hier eine deutliche Zurückhaltung gegenüber MID-Bauteilen zu spüren. Das Interesse daran ist zwar vorhanden, doch es schlägt sich noch wenig im Serieneinsatz nieder. „Bis ein Automobilhersteller oder –zulieferer auf die Technik aufspringt, dauert es sehr lange“, klagt Dipl.-Ing. Peter Ils, der bei der Krauss-Maffei GmbH in München Ansprechpartner für das Thema 3D-MID ist.
Von Akzeptanzproblemen der MID in der Automobilindustrie berichtet auch Prof. Feldmann. Die Vorbehalte erscheinen auf den ersten Blick unverständlich, weil elektronische Bauteile in Kraftfahrzeugen immer mehr Funktionen übernehmen und der Einsatz von MID hier große Einsparpotenziale verspricht. Doch die immer kürzeren Entwicklungszeiten und das noch fehlende Know-How zur Beschaffung und zum Einbau hat nach Ansicht Feldmanns bisher einen breiten Einsatz verhindert. „Dabei beweisen die bisher schon in Automobilen eingesetzten MID grundsätzlich gute Zuverlässigkeit und Rationalisierungspotenziale“, so der Wissenschaftler.
Doch was grundsätzlich gelten mag, will der Automobilhersteller in jedem Einzelfall bewiesen haben. Denn die Umgebungsbedingungen für MID im Automobil können extrem sein. Die Bauteile sind teilweise sehr großen und unter Umständen raschen Temperaturschwankungen ausgesetzt, die mechanische Belastung durch Vibrationen ist hoch. „Im Grunde möchte der Autohersteller für jedes Teil eine Lebensdauerprüfung“, so Peter Ils.
Der Siegeszug der MID-Technik mit ihren zahlreichen Verfahrensvarianten scheint dennoch nicht aufzuhalten. Das zeigt auch ein Blick über die Grenzen. Sowohl im benachbarten europäischen Ausland als auch in den USA und in Japan erobern sich die dreidimenisonalen Schaltungsträger immer neue Anwendungsnischen, in denen sie herkömmliche Leiterplatten sinnvoll ergänzen.
Für manchen Hersteller von Bauteilen, für den ein Einstieg in die MID-Technik in Frage kommt, erscheint das Thema verwirrend vielschichtig. Die grobe Unterteilung nach der Art der Herstellung des Kunststoffträgers beziehungsweise der Art des Metallisierens ästelt sich bei genauerem Hinsehen in viele Verfahrensvarianten auf. Peter Ils bringt die Situation auf den Punkt: „Im Prinzip kann man nicht von einer MID-Technik sprechen. In Wirklichkeit bedingt jedes MID-Bauteil die Entwicklung eines eigenen, speziellen Verfahrens.“ Mit anderen Worten: Es gibt nur jeweils kundenspezifische Lösungen.
Das bedeutet eine Schwelle für den Einstieg in die Technik. Denn wer ihre Vorteile nutzen will, muss alles über die möglichen Verfahren wissen und schließlich die für die gewünschte Anwendung optimale Variante entwickeln oder auswählen. Und das gelingt nur durch Zusammenarbeit mit einem Wissens-Netzwerk. Von der Auswahl des Kunststoffs über dessen Verarbeitung, die geeignete Metallisierung, die äußere Gestaltung des Bauteils bis hin zur Verbindungstechnik ist viel Know-how notwendig. Peter Ils erläutert die typisch falsche Vorgehensweise: „Da entwickelt ein Unternehmen ein Bauteil und erinnert sich dann, dass es ein rationelles MID-Verfahren gibt. Mit dem soll dann billig gefertigt werden. So gelingt aber der Einstieg nicht.“ Und er erklärt die richtige Vorgehensweise: „Zunächst muss festgelegt werden, was das fertige Bauteil leisten soll. Dann beginnt die Entwicklung mit dem Ziel, das Teil als MID-Bauteil zu realisieren.“
Beim Einstieg in die Technik hilft die Forschungsvereinigung Räumliche Elektronische Baugruppen 3-D MID e.V. in Erlangen oder eines der 62 Mitgliedsinstitute und -unternehmen. Sie bietet den Zugang zum notwendigen Forschungsnetzwerk. Auf ihrer Website unter www.3dmid.de liefert sie einen verständlichen Überblick über das Thema 3D-MID. Über den Verband lassen sich alle notwendigen Kontakte herstellen.
Im Rahmen der Forschungsvereinigung 3-D MID e.V. bearbeiten unterschiedliche Fachgruppen auch spezifische Aufgabenstellungen. Denn nur mit Gemeinschaftsforschung lassen sich die interdisziplinären Herausforderungen lösen. Zu den Projekten zählen etwa neue CAD-Konzepte zum integrierten Entwurf und zur Systemplanung als auch das Optimieren von Fertigungskonzepten.
Wie sehr sich der gezielte Einstieg in die Technik lohnen kann, zeigt das Beispiel der Albert Ackermann GmbH & Co. KG in Gummersbach. Das Unternehmen fertigt ISDN-Steckdosen als MID-Bauteile. Die Lösung bietet die Möglichkeit, dass ein V-förmig gekerbter Schaltungsträger eingesetzt werden kann. Damit erreicht der Hersteller, dass bei gerade angeordneten internen Anschlusselementen die Buchsen schräg gestellt sind. Dadurch schlägt er zwei Fliegen mit einer Klappe: Die externen Kabel können unter Einhaltung der Mindestradien eingesteckt werden, die innere Verdrahtung ist wesentlich einfacher möglich. Auf dem Spritzling werden mittels Heißprägens zwei verschiedene Layouts aufgebracht. Das Unternehmen hat bereits weit über 1 Mio. ISDN-Steckdosen ausgeliefert, eine weitere Erhöhung der Stückzahl ist geplant.
Vorteile MID-Technik
Gestaltungsfreiheit
– Integration Elektronik-Mechanik
– Miniaturisierung
– Neue Funktionen
– Beliebige Formen gestaltbar
Rationalisierung
– geringere Teilezahl
– kürzere Prozessketten
– geringerer Materialeinsatz
– höhere Zuverlässigkeit
Umweltverträglichkeit
– weniger Werkstoffe nötig
– Materialrecycling
– geringerer Materialverbrauch
– unkritische Entsorgung
Herstellungsverfahren für MID
Die Verfahren zum Herstellen dreidimensionaler Schaltungsträger sind auf den ersten Blick verwirrend vielfältig. Sie unterscheiden sich einerseits nach der Formgebung des Spritzgießteils und andererseits nach der Art der Metallisierung und Strukturierung. Beim Heißprägen wird auf das gespritzte Kunststoffsubstrat eine Folie aus elektrolytisch gewonnenem Kupfer gepresst. Das Substrat wird in einem Schritt metallisiert und strukturiert. Das Maskenverfahren ist ein aus elf Schritten bestehender Galvanisierungsprozess. Auch das Direktstrukturieren mit Laser ist ein galvanisches Metallisierungsverfahren. Es umfasst acht Verfahrensschritte. Von der Herstellungsvariante auf der Basis des 2-K-Spritzgießens existieren viele Varianten. Ihnen ist gemeinsam, dass in einem Schuss metallisierbarer, im anderen Schuss nicht metallisierbarer Kunststoff gespritzt wird. Es ist gegenwärtig das gängigste und flexibelste MID-Verfahren. Auch vom Hinterspritzen von Folien existieren inzwischen einige Verfahrensvarianten. Allgemeine Empfehlungen für oder gegen eine Variante sind nicht möglich. Wer dreidimenionale Schaltungsträger herstellen will, muss von den ersten Planungsschritten an Know-how aus der Elektronik, Konstruktion, Kunststofftechnik, dem Werkzeugbau und der Verbindungstechnik zusammenführen. Nur mittels einer solchen konzertierten Aktion lässt sich das am besten geeignete Fertigungsverfahren auswählen oder entwickeln.
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