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50 Prozent schneller als professionelle Anbieter

FH-Institut entwickelt neue Produkte für den Mittelstand
50 Prozent schneller als professionelle Anbieter

Das Institut für Rapid Product Development in St. Gallen lebt von Aufträgen aus der mittelständischen Industrie. Mit Erfahrung und Know-how entwickeln die Fachhochschul-Spezialisten eigenen Angaben zufolge neue Produkte schneller und günstiger als so mancher professioneller Anbieter.

Klaus Vollrath ist Fachjournalist in Herne

Wer bei der Entwicklung neuer Produkte nicht alle Möglichkeiten ausschöpft, verschenkt oft schon einen Großteil des möglichen Markterfolgs“, warnt Prof. Gideon N. Levy vom Institut für Rapid Product Development (RPD) der Fachhochschule St. Gallen in der Schweiz. In dieser Phase spielen eine ganze Reihe von Faktoren eine wichtige Rolle – zum Beispiel das vielzitierte „Time-to-Market“, das gerade bei sehr kurzlebigen Produkten entscheidend ist. Hinzu kommt, dass bereits in der Entwicklung rund 80 % der späteren Produktionskosten festgelegt werden. Deswegen müssen Entwicklungszeiten minimiert und die Konstuktion optimiert werden. Für diesen Zweck gibt es entsprechende IT-Technologien. „Die Kunst besteht darin, die Tools richtig zu verketten“, betont Levy.
Die Optimierung der Entwicklungsprozesse ist das tägliche Brot von Prof. Levy. Das von ihm geführte Institut erhält nur einen kleinen staatlichen Zuschuss und deckt den weitaus größten Teil seiner Kosten durch Aufträge aus der Industrie. Damit erbringt es zugleich eine wichtige Dienstleistung für die in der Schweiz besonders zahlreichen kleineren und mittleren Unternehmen, die häufig nicht groß genug sind, um den Entwicklungsaufwand in seiner ganzen Bandbreite selbst zu bewältigen.
Aufgrund seiner langjährigen Berufserfahrung als Entwicklungsleiter renommierter Schweizer Firmen kennt Prof. Levy die Situation in den Betrieben: Dort kommt es bei solchen Entwicklungen weniger auf akademische Exzellenz als vielmehr auf ökonomische Effizienz an. Inzwischen hat das RPD-Institut einige 100 Projekte dieser Art durchgeführt und verfügt über viel Know-how bei Entwicklungs-Prozessketten und Werkstoffen für die schnelle Produktentwicklung.
den Mittelstand
Doch wie gehen die Schweizer neue Entwicklungen konkret an? Das mehrteilige Gehäuse für einen Multimedia-Sender für Hörhilfen macht das deutlich. Projektleiter Ralf Schindel: „Das Produkt übernimmt die Tonsignale von verschiedenen Quellen wie Telefon, Musikanlage oder Fernseher und verstärkt sie. Danach werden die Signale digital und drahtlos zur Hörhilfe übertragen.“ Die Technik hat den Vorteil, dass der Träger der Hörhilfe nicht die Verstärkung hochdrehen muss, wodurch störende Hintergrundgeräusche ebenfalls verstärkt würden.
Das Institut wurde beauftragt, optimierte Spritzgießwerkzeuge für das fünfteilige Kunststoffgehäuse, dessen Komponenten aus Polycarbonat, ABS und PMMA bestehen, zu konstruieren. Zusätzlich wurden Prototypen-Spritzgießwerkzeuge sowie eine Musterserie von 100 kompletten Teilesets von den Schweizern geliefert.
Musterserien in solchen Größenordnungen sind gerade im medizinischen Bereich erforderlich, da die Anbieter im Interesse einer kurzfristigen Zulassung weltweit praktisch jeder nationalen Zulassungsbehörde schnellstmöglich Testexemplare zur Verfügung stellen müssen. „Die Welt“, so Prof. Levy augenzwinkernd, „ist voller Vorschriften. Wenn ich mein neues Produkt bei den zulassenden Behörden drei Monate eher vorlegen kann, habe ich viel gewonnen.“ Die Prototypen-Spritzgießwerkzeuge werden derzeit für die Serienproduktion eingesetzt, wobei die Standmengen bei 50 000 und darüber liegen.
Ausgangspunkt für die Instituts-Mitarbeiter waren die CAD-Daten der Konstruktionsabteilung. Diese müssen im ersten Schritt daraufhin überprüft werden, ob und mit welchen Werkzeugstrategien die Teile optimal gefertigt werden können. Hierfür verfügt das Institut über eine Reihe leistungsfähiger Computerprogramme für Konstruktion, FEM-Berechnung und Fertigungssimulation. Auf der Konstruktionsseite kommt unter anderem das Software-System Proengineer zum Einsatz.
Oft müssen Kompromisse zwischen den Erfordernissen der Formfüllung und den Möglichkeiten der Werkzeuggestaltung gefunden werden, was sehr viel Erfahrung voraussetzt. Deshalb erfordert die Formauslegung oft eine Reihe von Iterationsschleifen – zum Beispiel dann, wenn die Teilegeometrie geändert werden muss, da sonst eine fehlerfreie Produktion nicht möglich wäre.
Ein Modell sagt mehr als tausend Zeichnungen
Im nächsten Schritt kommen dann Rapid-Tooling- und Rapid-Prototyping-Verfahren zum Einsatz, mit denen Werkzeuge und Prototypen erzeugt werden. Zu diesem Zweck setzt das Institut vor allem Laser-Sinter-Anlagen der 3D Systems GmbH aus Darmstadt ein, weil mit dieser Technik eine große Bandbreite von Materialien verarbeitet werden kann. Anhand der Prototypen legt man in Zusammenarbeit mit externen Formenbauspezialisten grundlegende Details fest. Hierzu zählen zum Beispiel Teilungsebene, Anspritzpunkt, Auswerferpositionen und gegebenenfalls erforderliche Schieber.
In dieser Phase ist es sehr hilfreich, mit Hilfe des Lasersinterns zum Beispiel Kunststoff-Schalenmodelle der einzelnen Formteile aus Duraform (Polyamid PA 12) herstellen zu können. Ein solches Modell ersetzt, um ein geflügeltes Wort zu verwenden, 1000 Zeichnungen. Die Fachleute können damit offene Fragen durch direkte Passungsversuche zwischen dem Prototyp des Teils und den Prototypen der Form klären.
Im anschließenden Tooling werden die Formeinsätze aus Laserform produziert, einem feinen Pulver aus Chrom-Nickel-Stahl, das mit Hilfe des Laserstrahls versintert wird. Die so erzeugten „Grünlinge“ werden anschließend in einem einstufigen Ofenprozess fertig gesintert und mit flüssiger Bronze infiltriert. Diese Formteile lassen sich mit allen gängigen mechanischen Bearbeitungsverfahren nachbearbeiten und fertigstellen. Anschließend werden die Teile mit Normalien oder Schnellwechselrahmen der „Handy-Mold“-Baureihe komplettiert. Mit der Haltbarkeit sind die Schweizer zufrieden. Üblicherweise könne man damit mehr als 50 000 Teile anfertigen.
„Bei der Durchführung dieses anspruchsvollen Projekts waren wir erfolgreich“, freut sich Prof. Levy. „Alle Spezifikationen wurden erfüllt, der vorgegebene Zeitrahmen von zwei Monaten konnte trotz verschiedener Varianten-Anpassungen der Geometrie eingehalten werden.“ Zum Lieferumfang gehört neben dem Satz von fünf Formen auch eine Musterserie von 100 funktionsfähigen Komplettgehäusen. Um Vergleichskriterien für ein Benchmarking der erbrachten Leistung zu erhalten, hat man sich diese Entwicklung von insgesamt fünf Engineeringfirmen anbieten lassen. Als entscheidender Vorteil erwies sich dabei die äußerst kurze Realisierungszeit. Hier lag das RPD-Team um 50 % unter dem Angebotsmittelwert. Auf der Kostenseite konnten die Schweizer den Schnitt der Vergleichsangebote um 20 % unterbieten.
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