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Alles andere als Schnee von gestern

CO2-Schneestrahlen setzt sich verstärkt zur Reinigung und Vorbehandlung durch
Alles andere als Schnee von gestern

Eine schonende, doch gleichwohl gründliche Reinigung verspricht das CO2-Schneestrahlen. Nach einer Studie der Fraunhofer-Allianz Reinigungstechnik setzt sich die noch relativ jung Technik mehr und mehr durch – etwa bei der Behandlung von dreidimensionalen Kunststoffkomponenten vor der Lackierung.

BMW ist mit seinem Werk in Landshut einer der Vorreiter der CO2-Schneestrahltechnik. Seit gut zwei Jahren nutzt der Automobilhersteller Anlagentechnik von acp Advanced Clean Production GmbH, Esslingen, um Kunststoffexterieurteile vor der Lackierung zu reinigen. Ziel war es seinerzeit, Energie- und Wasserverbrauch sowie die Abwassermenge zu senken. Gleichzeitig sollte das neue Verfahren aber auch die erforderliche Reinigungsleistung und Wirtschaftlichkeit sicherstellen. Diesen Spagat bekam man mit der zuvor genutzten Powerwash-Reinigung nicht mehr hin.

Bei Powerwash kommen wässrige oder lösemittelbasierte Reinigungsverfahren zum Zug. Die Aufbereitung der Bäder ist energie- und kostenintensiv. Außerdem ist immer ein Trocknungsprozess im Anschluss erforderlich. „Durch die Erwärmung der Kunststoffe bei der Trocknung können wiederum Additive, Monomere, Weichmacher und Ähnliches an die Oberfläche migrieren. Schwer zugängliche Bereiche wie Taschen oder Hinterschneidungen weisen nach der Trocknung häufig noch Restwasser auf, so dass die nachfolgende Lackierung behindert und die Oberflächenqualität herabgesetzt wird“, weiß Martin Bilz, Experte am Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK in Berlin und Autor einer aktuellen Marktstudie der Fraunhofer Allianz Reinigungstechnik zum Thema CO2-Strahlen.
Er sieht das CO2-Schneestrahlen eindeutig im Vorteil – vor allem unter Umweltaspekten. Denn bei Kohlendioxid handelt es sich um ein geruch- und farbloses, nicht brennbares und ungiftiges Gas, das unter anderem bei Verbrennungsvorgängen und chemischen Prozessen entsteht. Unter Umgebungsdruck liegt es abhängig von der Temperatur in fester oder gasförmiger Form vor. Beim Strahlen aus der festen Phase spricht man vom Trokkeneisstrahlen. Dabei werden zylindrische beziehungsweise gescrambelte Trockeneispellets oder Partikel, die vom Trockeneisblock geschabt werden, genutzt.
Für empfindliche Oberflächen wie die der Kunststoffteile am Auto ist das Trockeneisstrahlen nur bedingt geeignet, da mechanische Beeinflussungen nicht auszuschließen sind. „Durch den Alterungsprozess entstehen zudem Qualitätsverluste des Trockeneises“, sagt Bilz. So gilt der Härtegrad der Pellets als wichtigstes Qualitätsmerkmal, gefolgt von der Dichte. Außerdem ist immer eine gewisse Logistik für die Beschaffung und Lagerung des Trockeneises erforderlich.
Nicht so beim Schneestrahlen. Trockeneis ist dafür nicht notwendig, die Partikel werden vielmehr im Strahlgerät erzeugt. Als Versorgungsmedien werden lediglich Flüssig-CO2 und Druckluft benötigt.
Für die CO2-Versorgung werden nach der Fraunhofer-Marktstudie heute zum großen Teil Druckflaschen und Niederdrucktanks verwendet, die beide bis zu 60 bar aufweisen. Nur ein Viertel der verkauften CO2-Schneestrahlanlagen funktioniert heute mit energieeffizienteren Niederdrucktanks, die auf maximal 25 bar kommen und laut Bilz eine bessere CO2-Schneeausbeute versprechen.
Bilz erklärt das Verfahren so: Das flüssige Kohlendioxid wird auf den Umgebungsdruck von 1 bar oder auf einen Strahldruck von 2 bis 10 bar entspannt und mittels nachströmendem CO2, Druckluft oder einem Schutzgas beschleunigt. Beim Entspannen erfolgt ein Phasenwechsel von flüssigem in den festen und gasförmigen Zustand. Die entstehenden CO2-Schneepartikel werden in der Folge mit der Druckluft in einer nachfolgenden Düse beschleunigt.
Im Gegensatz zu anderen Strahlmitteln beruht die abtragende Wirkung auf einem thermischen, einem mechanischen und einem Sublimationseffekt. Die Schneepartikel kühlen die Schmutzschicht so ab, dass es aufgrund der unterschiedlichen Wärmeausdehnungskoeffizienten zu ihrer Abtrennung vom Grundwerkstoff kommt. Durch die plötzliche Sublimation der Schneepartikel entstehen Druckstöße, die laut des Berliner Herstellers Cryosnow im Mikrobereich der Oberfläche und somit sogar in Poren Verunreinigungen ablösen. Eine Feinstreinigung, vor allem für Öle und Fette, erfolgt zusätzlich durch die physikalische Löslichkeit dieser organischen Stoffe im CO2. Die Druckluftströmung unterstützt den Abtransport des Schmutzes.
Nach dem Strahlverfahren ist das Strahlmittel selbst rückstandsfrei in den gasförmigen Zustand übergegangen. Eine Entsorgung ist somit nicht notwendig. Die Verunreinigungen liegen als Partikel oder als Aerosol in der Abluft vor. Letzteres kann bei Bedarf abgesaugt werden, um die Qualität der zu reinigenden Oberfläche zu verbessern. Die Partikel lassen sich aufsaugen oder abfegen.
Laut Cryosnow können sowohl feste Verunreinigungen als auch pastöse beziehungsweise flüssige Verunreinigungen wie etwa Öle, Fette und Wachse rückstandsfrei entfernt werden. Metall-, Kunststoff, Gummi-, Holz- und selbst Textiloberflächen und empfindliche Verbundwerkstoffe, weiche Metalle oder auch Elektronikkomponenten lassen sich auf diese Weise schonend reinigen. „Der Verkauf von CO2-Schneestrahlanlagen steigt stetig, da immer wieder neue Einsatzgebiete erschlossen werden“, sagt Bilz. So hält er das Verfahren für prädestiniert, „in weite Teile der Elektronikindustrie vorzudringen. Neben der schonenden Reinigung ist der kühlende Effekt des CO2-Schneestrahls für weitere Anwendungen in der Halbleiterbranche interessant.“
Außerdem lassen sich mit dem CO2-Schneestrahl Werkstücke entgraten, kühlen oder trennen. Und auch die Vorbehandlung von Oberflächen vor Beschichtungs-, Kleb- oder – wie im Fall BMW – Lackierprozessen ist damit möglich.
Das Beispiel des bayerischen Automobilriesen zeigt noch einen weiteren Vorteil des Verfahrens gegenüber dem Trockeneisstrahlen auf: Es lässt sich automatisieren. Dazu hat acp für BMW eine Anlage gebaut, welche aus einem mit drei Düsenarrays mit jeweils fünf Reinigungsdüsen ausgestatteten Robotersystem besteht. Je nach Bauteil können die Arrays über die Robotersteuerung einzeln zu- und abgeschaltet werden. Dies erfolgt automatisch entsprechend dem in der Steuerung hinterlegten, teilespezifischen Reinigungsprogramm. Über den Roboterarm werden das flüssige Kohlendioxid und die ölfreie Druckluft zugeführt. Fraunhofer-Experte Bilz hält das Potenzial der Technik in punkto Automatisierung noch lange nicht für ausgeschöpft.
Doch auch am anderen Ende – Geräte für den manuellen Einsatz – entwickeln die Hersteller die Technik weiter. So hat Cryosnow eine kleine, handliche Kohlendioxid-Schneestrahlanlage mit einem Gewicht von nur 600 g auf den Markt gebracht. Mit ihr lassen sich mobil Werkzeuge und Formen reinigen – und zwar direkt in einer Produktionsmaschine, ohne das Werkzeug vorher ausbauen zu müssen. Mit Hilfe von Rund- oder Flachdüsen sowie speziellen 45°- oder 90°-Winkeladaptern lässt sich so fast jedes Werkzeug reinigen.
Sabine Koll Journalistin in Böblingen
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 4
Ausgabe
4.2024
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