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Arbeitsergonomie und Flexibilität fördern

Wie Endress + Hauser dem demografischen Wandel vorbeugt
Arbeitsergonomie und Flexibilität fördern

Bestmögliche Ergonomie des Arbeitsplatzes und geplante Flexibilität der Mitarbeiter sollen bei Endress + Hauser verhindern, dass der demografische Wandel zum wirtschaftlichen Problem wird. Ein interdisziplinäres Team hat den Weg zu einem altersrobusten Produktionssystem aufgezeigt.

„Wer im Alter flexibel sein soll, muss während seines Berufslebens oft die Möglichkeit dazu gehabt haben“, meint André Kürzel, seit vier Jahren für die Produktionsplanung bei Endress + Hauser GmbH & Co. KG in Maulburg verantwortlich. „Der Wechsel ist für unsere Mitarbeiter das normalste der Welt.“ Nur so lässt sich kundenorientierte Flexibilität gewährleisten, aber auch im Sinne der Ergonomie vermeiden, dass Mitarbeiter einseitige Tätigkeiten ausführen. Alle Arbeitsplätze des weltweit agierenden Unternehmens sollen in den nächsten Jahren auf ihre Ergonomie hin überprüft werden.

Das Projekt „Fit für den demografischen Wandel“ wurde durch den Bereichsleiter Industrial Engineering, Dr. Volker Frey, gestartet, nachdem der Betriebsrat den Anstoß zum Thema gab. Denn so wie das Durchschnittsalter der Gesamtbevölkerung steigt, steigt auch jenes der Belegschaften in Unternehmen. Bei Endress + Hauser liegt es inzwischen bei 43 Jahren – genau dem Durchschnittsalter der Deutschen. „Der demografische Wandel führt zu einem Mangel an jungen, qualifizierten Nachwuchskräften“, so Dr. Frey. „Das stellt die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zunehmend auf die Probe.“ Grund genug, sich intensiv damit auseinander zu setzen, was in der Produktion getan werden kann, um dem demografischen Wandel besser zu begegnen.
Vor fast zwei Jahren startete ein Team aus Mitarbeitern der Planung, der Fertigungsleitung und dem Betriebsrat unter der Leitung von André Kürzel: „Zuerst haben wir analysiert, welche Veränderungen im Alter auftreten. Bei älteren Mitarbeitern nimmt zwar die Leistungsfähigkeit, Beweglichkeit und Lernfähigkeit ab, jedoch wirkt deren Erfahrungseffekt stark positiv.“ Flexibilität könne nur zum Selbstverständnis werden, wenn sie ein Arbeitsleben lang fester Bestandteil des Alltages ist. Die Endress + Hauser-Mitarbeiter beherrschen bereits heute eine Vielzahl von Arbeitsinhalten, um auf die schwankenden Kundenbedürfnisse flexibel reagieren zu können. Dieser Anspruch gilt zukünftig flächendeckend im Sinne der Ergonomie. Keine leichte Aufgabe bei einem Unternehmen, das über 400 Produktgruppen mit milliardenfachen Varianten fertigt. Dr. Frey erläutert: „Wir haben ein Produkt mit einer Variantenvielfalt von zwei mal zehn hoch siebzehn. Das setzt hohes Wissen bei unseren Mitarbeitern voraus.“ Die Bereitschaft, sich darauf einzulassen, wird seit Beginn dieses Jahres auch durch ein neues Entgeltsystem unterstützt, das Flexibilität honoriert, nicht Akkord.
Diese Errungenschaften kommen nicht nur den Mitarbeitern vor Ort in Maulburg zu Gute. Endress + Hauser legt nämlich seit längerem Wert darauf, dass die Produktionsanlagen weltweit ähnlich gestaltet sind. 80 % der Produkte, die in Deutschland produziert werden, werden auch im Ausland montiert, um näher an den Kunden zu sein. Die Montagestationen für jedes neue Produkt werden jedoch in Maulburg entworfen. So können auftretende Probleme in jeder beliebigen Anlage weltweit von dort aus gelöst werden. Ergonomische Gesichtspunkte haben bei dieser Planung schon lange eine große Rolle gespielt. Das Projekt „Fit für den demografischen Wandel“ gab jedoch den Anstoß, nochmals genauer hinzusehen. „Das Erstaunliche dabei war, dass wir festgestellt haben, dass eine Ergonomie speziell für Ältere gar nicht nötig ist, wir aber dennoch sehr viel an der Ergonomie verbessern können“, meint Kürzel. Von guter Ergonomie profitieren alle Altersschichten und oft führt eine Verbesserung auch zu einer Zeitersparnis und ist somit wirtschaftlicher.
Um schnell zu weitreichenden Verbesserungen zu kommen, führte das Projektteam ein Schnellscreening ein, das je Arbeitsplatz etwa 30 min in Anspruch nimmt. Anhand einer Checkliste beurteilt ein Planer als Auditor dabei einen von einem Kollegen entworfenen Arbeitsplatz. Dabei geht es um Fragen wie: Ist die Bildschirmposition für Mitarbeiter mit Gleitsichtbrille geeignet, sind die bewegten Gewichte unterhalb der Grenzwerte oder sind die gelagerten Materialien und Betriebsmittel im Greifraum angeordnet? Der Auditor kann Verbesserungsvorschläge machen, aber auch selbst von gelungenen Lösungen seines Kollegen lernen. „Der permanente Wissensaustausch stellte sich als Erfolgsfaktor dar“, so Kürzel. Anfangs holte sich das Projektteam Hilfe beim Karlsruher Professor Gert Zülch, Leiter des Instituts für Arbeitswissenschaften und Betriebsorganisation am KIT. Im Zuge dieser Zusammenarbeit wurden alle Planer geschult und die ersten Arbeitsplätze analysiert.
Das Endergebnis wird mit einem Ampelsystem dargestellt: grün – alles okay, gelb – könnte besser sein, und rot – sofortiger Handlungsbedarf. Oft reichen schon kleine Maßnahmen, etwa die Verbesserung der Arbeitshöhe, um einen Arbeitsplatz von der Gesamtbeurteilung rot in grün zu verschieben. Allein 2010 wurden so bereits 70 Arbeitsplätze auditiert. In diesen so genannten Ergonomie Checks werden im Schnitt vier Verbesserungsaktivitäten generiert.
Bei zirka 10 % der Arbeitsplätze ist eine detailliertere Untersuchung sinnvoll. Dazu entwickelte das Team ein tätigkeitsbezogenes Analyseverfahren. Im Vordergrund steht die Beurteilung der Belastung am Arbeitsplatz. Die in der Automobilindustrie übliche Papier-und-Bleistift-Methode AAWS (Automobile Assembly Worksheet) war Kürzel dabei nicht rationell genug und käufliche Softwarevarianten zu speziell. Dr. Frey gab die Initialzündung dazu, die AAWS-Systematik als Videotool zu realisieren. Ein großer Erfolg, wie sich herausstellte: „Clou des Systems ist, dass jeder Teilarbeitsschritt einzeln beurteilt und am Ende entsprechend per Ampelsystem dargestellt wird, so dass ungünstige Schritte sofort auffallen,“ weiß Kürzel. Innerhalb von knapp zwei Monaten wurden bereits zehn Arbeitsplätze mit diesem Tool analysiert. „Es hat mehr Potenzial, als ich am Anfang gedacht hätte“, freut sich Dr. Frey. „Wir können damit nämlich auch simulieren, wie sich die Gesamtbeurteilung eines Platzes ändert, wenn wir einen Teilschritt verändern. Wir sind so begeistert von den Möglichkeiten, dass wir das Tool inzwischen zur Planung neuer Montagestationen einsetzen.“
Statt sich dabei auf Computersimulationen zu verlassen, werden neue Arbeitsplätze als realistische Kartonmodelle aus Standardbauteilen aufgebaut. „Wir haben immer wieder festgestellt, dass trotz intensiver Planung am tatsächlichen Arbeitsplatz Verbesserungspotenziale existieren“, hat Kürzel die Erfahrung gemacht. Nachdem das Team das so genannte Cardboard erstellt hat, erfolgt die Vermessung durch den Lieferanten und die Angebotserstellung. Möglich wird dies durch klar beschriebene Arbeitsplatz-Standards, einem detaillierten Basislastenheft und entsprechenden Checklisten.
Sabine Schiffler Fachjournalistin in Rheinfelden
Industrieanzeiger
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