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Auch Brennstoffzellen brauchen Pumpen, Gebläse, Verdichter und Wechselrichter

Nischenmarkt für Mittelständler tut sich auf
Auch Brennstoffzellen brauchen Pumpen, Gebläse, Verdichter und Wechselrichter

Den Einstieg nicht verpassen, aber das knappe Geld für die Entwicklung nicht zu früh ausgeben – vor dieses Problem stellt die Brennstoffzelle viele Mittelständler. Doch ohne ihre Peripherieprodukte wird die neue Energiequelle kaum auf den Markt kommen.

Von unserem Redaktionsmitglied Dr. Birgit Oppermann – birgit.oppermann@konradin.de

Noch lebt die Brennstoffzelle von Versprechungen“, fasst Prof. Martin Müller nüchtern zusammen. Nach Ansicht des Brennstoffzellen-Experten von der Fachhochschule Kempten erfüllt die Zukunftstechnologie zwar schon viele der Erwartungen: Mit ihr lässt sich Energie ohne schädliche Abgase erzeugen, sie erreicht einen Wirkungsgrad von rund 70 % und arbeitet geräuscharm. Trotzdem sei noch eine Menge zu verbessern. Es gibt kaum Erfahrungswerte über die Betriebsdauer, die Wartungsarmut ist in der Praxis noch nicht nachgewiesen und die Komponenten für die Peripherie sind zum Teil noch in der Entwicklung. Hohe Kosten schrecken Anwender ab, Daher verschiebe sich die Markteinführung von Systemen für den mobilen, stationären oder portablen Einsatz immer wieder.
Für kleinere Unternehmen könnten diese Verzögerungen jedoch von Vorteil sein. Sie bekommen mehr Zeit, sich auf den verbreiteten Einsatz der Brennstoffzellen-Technologie vorzubereiten und ihre Chancen besser abzuschätzen.
„Man muss beizeiten anfangen, über das Thema nachzudenken“, mahnt Dr. Frank Koch vom Kompetenz-Netzwerk Brennstoffzelle NRW in Düsseldorf. Denn daran, dass der Markt für die neuen Energielieferanten kommen wird, zweifeln die Experten nicht – diskutiert wird lediglich der Zeitpunkt. 2004 ist für die stationären Anwendungen in Kraftwerken im Gespräch, 2010 oder 2012 könnten die ersten Serienfahrzeuge mit Brennstoffzellenantrieb auf die Straßen kommen. „Das ist für kleine Unternehmen noch weit entfernt. Sie brauchen bis dahin einen langen Atem“, weiß Koch. Dennoch gibt er zu bedenken: „Die Allianzen werden immer am Anfang geschmiedet.“
„Was die Brennstoffzelle angeht, haben Mittelständler häufig noch keine Visionen“, hat Dr. Werner Lehnert beobachtet. Er leitet die Stuttgarter Geschäftsstelle der Forschungsallianz Brennstoffzellen Baden-Württemberg (FABZ), einem Zusammenschluss von Instituten und Forschungseinrichtungen. Diese Aufgabe bringt Lehnert mit Entscheidern aus kleinen und mittleren Unternehmen ins Gespräch, die sich für die Technik und die Möglichkeiten der Brenn-stoffzellen interessieren.
Lehnert ordnet die Interessenten zwei Gruppen zu: Die einen haben sich noch so gut wie gar nicht mit dem Thema beschäftigt und benötigen zunächst grundlegende Informationen. Für sie war bisher der Industriearbeitskreis Brennstoffzelle die richtige Adresse. „Auf die Veranstaltungen haben wir eine sehr positive Resonanz gehabt“, erinnert sich Lehnert. Daher plant die FABZ, diese Aktivitäten weiterzuführen, obwohl das Projekt Arbeitskreis am Ende des Jahres 2001 ausgelaufen ist.
Zur zweiten Gruppe zählt Lehnert diejenigen, die schon konkrete Ideen haben und entweder einen Kooperationspartner aus der Industrie suchen oder Kontakt zu einem Forschungsinstitut herstellen möchten. „Wer Fragen hat, kann sich gerne an uns wenden“, so der Geschäftsstellenleiter. „Wir von der FABZ beraten vor allem bei den Forschungsarbeiten, haben aber auch engen Kontakt zum Kompetenz- und Informationszentrum Brennstoffzelle der Region Stuttgart.“ In diesem Verein haben sich Industrieunternehmen zusammengeschlossen und vermitteln Kontakte zu möglichen Kooperationspartnern.
Um einen Interessenten in die richtige Richtung zu lenken, braucht Lehnert genaue Informationen zu Produkten und Kompetenzen des Unternehmens. Denn obwohl alle bisher entwickelten Brennstoffzellen auf dem gleichen Prinzip beruhen, gibt es mehrere konkurrierende technische Konzepte. Für Energieträger wie Wasserstoff, Methanol oder Erdgas und ihre unterschiedlichen Betriebstemperaturen sind auch unterschiedliche Komponenten gefragt. „Bisher ist aber noch nicht einmal innerhalb eines Konzeptes entschieden, ob sich beispielsweise aus Metall gefräste oder geprägte Bauteile durchsetzen oder vielleicht solche aus Compositen.“
NRW-Netzwerk-Mitarbeiter Koch ist überzeugt, dass Hersteller solcher Peripherieteile am erwarteten Markt teilhaben könnten. Auch wenn die Technik der neuen Energielieferanten zu den wohlgehüteten Entwicklungsgeheimnissen großer Konzerne und Systemintegratoren gehöre, hätten unter kleineren Elektrotechnik-Unternehmen schon einige die Brennstoffzelle für sich entdeckt. Wechselrichter beispielsweise seien gängige Produkte, die auch mit der neuen Technik Zukunft haben. „Eine Brennstoffzelle liefert Gleichstrom, ans Netz muss aber Wechselstrom fließen – schon haben Sie eine Schnittstelle für die Hersteller. Und diese Peripherie-Komponenten sind gefragt, denn auf den Randgebieten haben die Systemanbieter kaum Kompetenz.“ Wie im Automobilbau würden daher viele Entwicklungsaufgaben ausgelagert.
Chancen haben neben den Elektronik-Fachleuten aber auch die Metall- und Kunststoffverarbeiter. Für Hochtemperaturbrennstoffzellen, die bei 600 bis 1000 °C arbeiten und für stationäre Anwendungen geeignet sind, seien beispielsweise hitzebeständige Komponenten erforderlich. Niedertemperaturbrennstoffzellen wiederum arbeiten mit entsalztem Wasser und brauchen Gehäuseteile aus besonders korrosionsbeständigem Material.
Neben dem Werkstoff-Know-how zählt nach Auskunft von Koch aber auch der Stand der Produktionstechnik in einem Unternehmen. „Für die spätere Markteinführung wird es entscheidend sein, die Kosten für Brennstoffzellen erheblich zu reduzieren“, betont Koch. „Das setzt voraus, dass ein potentieller Zulieferer auf eine Serienfertigung mit großen Stückzahlen vorbereitet ist und mit der möglichen Entwicklung Schritt halten kann.“
Da viele Mittelständler all diese Kompetenzen mitbringen, rühren die Nordrhein-Westfalen und die Baden-Württemberger die Trommel für mehr Engagement bei der Brennstoffzelle. Nach Lehnerts Meinung ist es für die Mittelständler noch früh genug, ihre Aktivitäten zu planen. Die ersten Markteinführungen von Produkten erwartet er im Bereich der portablen Lösungen: „Sobald die Mikrosysteme beispielsweise für Laptops funktionieren, werden sie konkurrenzfähig sein, da auch die herkömmlichen Akkus in einer ähnlichen Preisklasse liegen.“ Dieses Stadium könnte in etwa zwei Jahren erreicht sein. Als nächste könnten stationäre Anwendungen folgen, erst danach die Automobile. „Die Anforderungen in den Fahrzeugen sind die anspruchsvollsten“, begründet der Wissenschaftler seine Einschätzung.
Dass der Wechsel vom Verbrennungsmotor zur Brennstoffzelle den Anteil der Elektrotechnik am Automobil-Zuliefermarkt beinahe verdoppeln könnte, hat eine Studie des Karlsruher Fraunhofer-ISI gezeigt. Anpassung ist jedoch nicht nur in der Fahrzeugbranche gefordert. So geht der baden-württembergische Wirtschaftsminister Walter Döring davon aus, dass „die Brennstoffzellentechnologie mittel- und langfristig zu tiefgreifenden Änderungen im gesamten industriellen Umfeld“ führen wird. Dass die Brennstoffzelle bald auf den Markt kommen muss, betont auch Prof. Müller: „Die intensive Forschung, die wir zurzeit betreiben, werden wir uns nicht lange leisten können.“
Marktchance für Mittelständler: So bereiten sich Zulieferer auf den kommenden Systemwechsel vor
Der Einstieg in die Brennstoffzellentechnologie beschäftigt auch die Zulieferer. Wohin die Reise dabei gehen wird, wird an einigen Strategien deutlich
Für die Stuttgarter Mahle GmbH ist das Thema Brennstoffzelle „von grundsätzlicher Bedeutung“, wie Dr. Uwe Mohr konstatiert. Denn ein Wechsel der automobilen Hauptantriebsquellen, so der Entwicklungsleiter, würde den überwiegenden Teil des Produktumfangs von Mahle ersetzen. Als Ziel haben sich die Stuttgarter Automobilzulieferer den Einstieg in die Brennstoffzellentechnologie gesetzt. Gefertigt würde dann laut Mohr „ein Stapel mit Kontrollfunktionen“. Bei Mahle macht man sich auf die Suche nach Vertriebspartnern im Bereich der stationären Anwendungen. Die Mahle-Manager glauben an den ersten Einsatz in diesem Bereich, „bevor die automobile Anwendung die größeren Stückzahlen aufweist“, so Mohr.
Die Kolbenschmidt Pierburg AG entwickelt und fertigt neben Kolben und Motorblöcken auch verschiedene Komponenten zur Kraftstoff- und Luftversorgung von Motoren. „Diese langjährige Kompetenz als Systempartner der Automobilindustrie hilft uns sehr beim anstehenden Systemwechsel zur Brennstoffzelle, so Dr. Dirk Hunkel, zuständig für die Entwicklung von Systemkomponenten zur Brennstoffzelle. Um den künftigen Anforderungen der Hersteller gerecht zur werden, beschäftigt sich der Automobilzulieferer seit mehreren Jahren mit diesem Thema. Langfristig steht speziell der Bau kompletter Module im Fokus. Konkret geht es etwa um Luftversorgungsmodule, die Luftfilter, Kompressor, Sensoren, Ventile, Kondensatoren und Pumpen beinhalten. Die Entwicklungsabteilung legt hier die technologische Basis für die spätere Serienfertigung derartiger Module. Im Rahmen einer Langfriststrategie sind derzeit insgesamt fünf große Aktivitätsfelder definiert. Beispielsweise geht es um Sensoren, die laut Dr. Hunkel an unterschiedlichen Stellen in Brennstoffzellen benötigt werden. Auch der Kompressor als wichtige Komponente des Luftversorgungsmoduls steht auf der Agenda.
Auch die Voss Automotive GmbH bereitet sich auf den kommenden Wechsel vor. Der Systempartner für Leitungs- und Verbindungstechnik passt seine Produkte an und entwickelt sie weiter. „Wir sind schon recht weit vorangekommen“, weiß Marketingleiterin Mechthild Ladner. Mit dem Thema Brennstoffzelle beschäftigen sich die Wipperfürther, seit das Thema in Gang gekommen ist. Überdies sind Voss-Ingenieure als Partner im Kompetenz-netzwerk NRW aktiv. Neben der Entwicklung ist auch die Marketing-Ab-teilung treibende Kraft in puncto Brennstoffzelle. Ladner: „Wenn wir jetzt schon den Fuß in der Tür haben, was leicht möglich ist durch unsere Kontakte, dann sollten wir das auch nutzen, um den Wettbewerbsvorspung zu sichern.“ dk
Brennstoffzelle: Funktion und Anwendungen
Noch befinden sich Brennstoffzellen in der Entwicklungsphase oder durchlaufen Praxistests in Demonstrationsvorhaben. Allen gemeinsam ist, dass sie Energie aus der Reaktion zwischen Wasserstoff und Sauerstoff bereitstellen. Dabei entsteht lediglich Wasser. Der explosive Wasserstoff lässt sich heute ersetzen: Für mobile Anwendungen wird beispielsweise häufig Methanol verwendet, aus dem im Fahrzeug der Wasserstoff generiert wird – quasi mit einer kleinen Chemiefabrik. Direktmethanol-Brennstoffzellen nutzen den Alkohol, ohne vorher Wasserstoffgas zu generieren. Für stationäre Anwendungen lässt sich H2 bei hohen Temperaturen aus Erdgas herstellen.
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