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Badische Alleskönner tüfteln am Forellenbach

Etol-Werk: In der Vielfalt liegt das Erfolgsgeheimnis
Badische Alleskönner tüfteln am Forellenbach

Sich auf seine Kernkompetenzen zu konzentrieren, ist nicht der einzige richtige Weg. Unternehmen können auch mit unterschiedlichen Technologien und Produkten erfolgreich sein, wie das Beispiel des Familienbetriebs Etol im badischen Oppenau zeigt.

Von unserem Redaktionsmitglied Tilman Vögele-Ebering

Eein reines Forellengewässer plätschert neben dem Fabrikgebäude: der Lierbach. Mehrere Kilometer des Wasserlaufs gehören zum Werksgrundstück; es duftet sommerlich nach frisch gemähtem Heu. In dieser Idylle arbeitet Hanspeter Söllner-Tripp, und er ist sichtlich stolz darauf. Der Geschäftsführer der Etol-Werk GmbH & Co. KG in Oppenau blickt auf den klaren Bach und erzählt fast beiläufig, dass seine Mitarbeiter dort fischen können. Er selbst angelt natürlich auch hin und wieder. Der Lierbach sei außerdem für einen Teil des Firmennamens verantwortlich: Das Kunstwort Etol setzt sich zusammen aus den Anfangsbuchstaben des Firmengründers Eberhard Tripp, des Ortes Oppenau und eben des Lierbaches.
Der Standort liegt vor den Toren eines Touristen-Ortes
Söllner-Tripp ist ungläubige Blicke gewohnt, wenn er über das Unternehmen spricht. Denn nicht nur der Standort des Familienbetriebes hat Seltenheitswert: Die Etol-Gruppe ist – was für Mittelständler ungewöhnlich ist – breit diversifiziert. Sie fertigt sowohl Zahnpasta als auch Computergehäuse, beliefert unterschiedliche Märkte und beherrscht verschiedene Technologien. Entgegen allen Lehrbuchregeln über Unternehmensstrategie werden im ersten Stock Reinigungsmittel zusammengemischt, während zum gleichen Zeitpunkt im Erdgeschoss High-Tech-Sandwichteile entstehen. „Unsere Kernkompetenz ist unsere Vielfalt – was für andere eigentlich schon ein Widerspruch ist“, kommentiert Söllner-Tripp.
Die Gruppe, ursprünglich gegründet 1946, beschäftigt im Stammwerk in Oppenau 180 Mitarbeiter. Dort entstehen technische Kunststoffteile aus Polyurethan (PUR) und Vakuum-Tiefziehteile. Außerdem produziert das Werk Reinigungsmittel und Heizhilfen. Im Werk Oberkirch, das für Gesundheitspflege- und Pharmaprodukte zuständig ist, sind 60 weitere Mitarbeiter beschäftigt. In einem Partnerunternehmen im Oppenauer Teilort Ramsbach, der Antonio Savino Industrielackierungen GmbH, arbeiten 20 Menschen. Insgesamt setzt der Verbund 55 Mio. DM jährlich um.
Von der Gründung an war es nicht unproblematisch, dass ein Kunststoff und Chemikalien verarbeitender Betrieb vor den Toren eines Erholungortes seinen Standort hat, wie Söllner-Tripp einräumt. Stets habe man peinlich darauf geachtet, dass keine Gefahr für die Umwelt entstehe. „Wir kommen alle aus dieser Region, dies ist eine Touristengegend und entsprechend vorsichtig verhalten wir uns“, sagt der Geschäftsführer. Die Umwelttechnik ist auf dem neuesten Stand. Jeder Mitarbeiter hat Zugang zu einem Notknopf, der den Abwasser-Stopp aktiviert. Ein 30 000 m² fassendes Auffangbecken kann dann das Abwasser von drei Tagen aufnehmen. Das Werk ist vor Ort ein wichtiger Arbeitgeber, erklärt Söllner-Tripp. Viele Mitarbeiter seien Nebenerwerbslandwirte, die auf einen wohnortnahen Arbeitsplatz angewiesen sind.
Das Etol-Werk ist ein hochmoderner Betrieb. Der Geschäftsführer schreitet durch die Konstruktionsabteilung und zeigt auf die CAD-Arbeitsplätze; in den Büros gegenüber sitzen Mitarbeiter an Rechnern mit einem brandneuen PPS-System. Weiter geht es durch die Abteilung Werkzeug- und Formenbau, ein Herzstück der Kunststoffsparte. Die Spezialisten dort verfügen über Know-how, das Söllner-Tripp unbedingt im Haus haben will. „Das sind absolut kreative Köpfe“, sagt er anerkennend und verweist auf die langjährige Tradition des Formenbaus im Schwarzwald. Im Formenlager nebenan liegen viele hundert Aluminium-Formen für PUR-Teile. Söllner-Tripp deutet auf die Regale und sagt: „Da sind die ersten deutschen Industrieadressen dabei.“
Das Unternehmen sieht sich als Entwicklungs- und Produktionspartner der Industrie. „Uns hat eigentlich immer nur interessiert, wie wir mit unserem Produktions-Know-how ein Problem lösen können, das von Kundenseite an uns herangetragen wurde“, erklärt der Geschäftsführer die besondere Stärke.
Die Produktpalette hat sich aus der Geschichte heraus entwickelt. Gründer Eberhard Tripp war von Haus aus Seifensieder und begann nach dem Krieg damit, Altöl zu Schuhcreme zu recyceln. Später in den 50er Jahren entstand ein neuer Bedarf, für den das Unternehmen eine Lösung fand: Reinigungs- und Spülmittel für Großverbraucher. Heute sind gewerbliche Spülküchen die wichtigste Zielgruppe des Geschäftsbereiches Hygiene. Über tiefgezogene Kunststoffverpackungen, sogenannte Blister, gelang der Einstieg in die Kunststoffverarbeitung. Schließlich wurde ab 1987 die Etol Gesundheitspflege- und Pharmaprodukte GmbH als letzter Unternehmensbereich auf- und ausgebaut.
Zentrale Bedeutung in der Sparte Kunststofftechnik haben heute die PUR-Teile. Frühzeitig habe man Polyurethan als Werkstoff mit Zukunftschancen erkannt, erzählt Söllner-Tripp, „und Etol war einer der ersten, die PUR zu technischen Formteilen verarbeitet haben.“ Auslöser war ein Auftrag des Gerätewerks von Siemens in Karlsruhe im Jahr 1972. Der Elektronikriese entwickelte ein Sprachlabor, wie es damals in den Schulen in Mode kam. Dafür benötigte Siemens sehr große und voluminöse Kunststoffteile. „Spritzguss wäre deshalb problematisch gewesen“, sagt Söllner-Tripp. Gästen zeigt der 47-Jährige noch heute gern einen Sprachlabor-Prototypen aus der Anfangszeit der PUR-Ära, der im Ausstellungsraum archiviert ist.
Die Vorteile des Werkstoffs PUR sind heute stärker denn je gefragt. Die Form aus Aluminium für das Arbeiten mit geringen Drücken kostet im Vergleich zu einer Spritzgussform erheblich weniger. Sie eignet sich damit auch für kleinere Serien und für größere, komplexe Teile. Ein Nachteil, der das Ganze wiederum zu einer aufwendigen Angelegenheit machen kann, ist, dass die Teile nachbearbeitet und lackiert werden müssen.
Der Werkstoff erfordert Know-how und Erfahrung, betont Söllner-Tripp. Aus Polyurethan lässt sich sowohl eine weiche Matratze als auch ein beinhartes Gehäuse für einen Computerdrucker herstellen. „Bis dieser Werkstoff die gewünschte Eigenschaft hat, muss man manchmal Monate lang probieren.“ Auch das kunststoffgerechte Design und die Konstruktion wollen gelernt sein. Die Oppenauer bieten Komplettlösungen an: vom Entwurf bis zur Auslieferung oder der Vormontage eines Gehäuses. Ebenfalls in einer profitablen Nische bewegt sich Etol mit den Sandwichteilen, im Vakuum-Tiefziehverfahren vorgefertigte Formteile aus PE und PP, die mit PUR ausgeschäumt werden.
Wenngleich die Vielfalt der Arbeitsgebiete nicht einfach zu managen ist, will das Unternehmen an dieser Struktur festhalten. Söllner-Tripp verweist auf die Vorteile: Wird beispielsweise die neue PPS eingeführt, übernimmt ein Bereich die Vorreiterrolle. Läuft die Software dann tadellos in der Sparte Hygiene und sind betriebsinterne Abläufe getestet, werden die Erkenntnisse auf die anderen Unternehmensteile übertragen, wo sie dann reibungslos übernommen werden können.
Jeder Betriebsteil wird unternehmerisch wie ein Profit Center geführt. Aber die Sparten helfen sich gegenseitig mit Personal aus. Gerät ein Bereich bei einer konjunkturellen Auftragsdelle in die roten Zahlen, wird er subventioniert. „Wir planen langfristig, deshalb halten wir an allen Sparten fest, die strategisch von Bedeutung sind,“ begründet der Geschäfsführer. Der Familienbetrieb ist komplett Eigentum der beiden Erbinnen des Unternehmensgründers und soll es auch bleiben. Und das, obwohl Angebote von Firmen nicht selten sind, die Betriebsteile übernehmen oder sich an Etol beteiligen wollen. Söllner-Tripp: „Wir lehnen regelmäßig ab.“
Industrieanzeiger
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