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Bei den potentiellen Kunden ist noch viel Überzeugungsarbeit notwendig

Die Werkzeugmaschine mit Linearantrieb stößt bei den Anwendern teilweise auf Skepsis
Bei den potentiellen Kunden ist noch viel Überzeugungsarbeit notwendig

Höhere Bearbeitungsgeschwindigkeiten und Präzision, kürzere Nebenzeiten und einfachere Montage: Dies sind die Vorteile von Werkzeugmaschinen mit Linearantrieb. Doch die Ablösung der bewährten Spindelantriebe auf breiter Front läßt auf sich warten.

Reiner Streber ist Fachjournalist in Poppenhausen

Die euphorischen Aussagen der Vergangenheit, nach denen Linearantriebe zukünftig einen Marktanteil von 30 Prozent und mehr haben sollten, sind sowohl bei den Herstellern der Linearantriebe als auch bei den Werkzeugmaschinenbauern einer realistischeren Betrachtungsweise gewichen. Heutige Marktschätzungen nennen einen Marktanteil von rund zehn Prozent. Optimistische Prognosen sehen den Anteil der Linearantriebe in den nächsten vier bis fünf Jahren auf etwa 25 Prozent klettern. Zweifellos ist sowohl bei den Motoren- als auch bei den meisten Werkzeugmaschinen-Herstellern ein steigendes Interesse vorhanden. Wenn es aber um die konkrete Beschaffung von Maschinen mit Linearantrieben geht, scheint bei den Anwendern die Skepsis noch deutlich zu überwiegen.
Hauptsächlich werden drei Gründe für die zögerliche Haltung angeführt. Die neue Technik, so die Argumentation, ist erstens zu teuer, zweitens zu komplex und drittens noch nicht genügend ausgereift. Was den Preis angeht, haben die Vorbehalte ihre Berechtigung, wie die Hersteller der Antriebe und Maschinen offen zugeben. Immerhin liegen die Anschaffungskosten um 30 bis 50 Prozent über denen herkömmlicher Maschinen mit konventionellen Antrieben. In speziellen Fällen können sie sogar das Doppelte kosten.
Anders urteilen die Anbieter über die Zweifel der Kunden an der Technik. Dazu Dr. Bernd Schnurr, Entwicklungsleiter bei der Indramat GmbH in Lohr am Main: „Als Hersteller der Linearantriebe beobachten wir während der Planungsphase häufig anfängliche Vorbehalte gegenüber der Lineartechnik. Hat sich ein Kunde jedoch für die Lineartechnik entschieden, so unsere Erfahrungen, dann verwandelt sich die negative Einstellung im allgemeinen durch die erzielten Erfolge schnell in eine positive Grundeinstellung.”
Bei der Krauss Maffei GmbH in München hat man Bedenken. Hier herrscht die Sorge vor, die Temperatur der Motoren könnte sich möglicherweise auf die Maschine auswirken. Gleiches gilt für die starken Magnetfelder, insbesondere bei der Synchrontechnik. Die Anwender befürchten eine “Magnetisierung” der Maschine sowie das Anziehen von Spänen. Doch solche Skepsis ist unbegründet. Insbesondere die Linearmotoren des Typs Limes TS sind thermisch und im Bereich des Primärteils magnetisch gekapselt.
Starke Magnetfelder stellen mittlerweile kein Problem mehr dar
Hans Mall, Leiter Konstruktion Entwicklung bei der Deckel Maho GmbH im Werk Geretsried, hat bislang positive Erfahrungen sammeln können: “Aus unserer Sicht stellen die Bedenken wegen der starken Magnetfelder und den oft diskutierten Gefahren für Träger von Herzschrittmachern kein Problem mehr dar. Zwar herrschen etwa einen Millimeter über den Motoren gewaltige Anziehungskräfte von bis zu vier Tonnen, aber schon bei einem Abstand von 20 bis 30 Zentimetern ist davon nichts mehr zu merken.“
Die wachsende Verbreitung der neuen Technik in den Fertigungsbereichen macht allerdings Mitarbeiterschulungen notwenig. „Wir müssen unsere Angestellten speziell im Umgang mit den starken Magneten unterweisen“, so der Manager. Wer Linearmotoren einsetzt, der muß nicht nur die starken Magnetfelder auf der Rechnung haben. Hans Mall faßt zusammen: „Nötig sind abgesperrte und gekennzeichnete Bereiche, in denen die Motoren bereitgestellt werden. Diese Bereiche dürfen nur von den speziell ausgebildeten Mitarbeitern betreten werden.“ Zu einem späteren Zeitpunkt stellt sich auch die Frage des Kundendienstes und der schnellen Versorgung mit Ersatzteilen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß Linearmotoren aus Sicherheitsgründen nicht mit dem Flugzeug transportiert werden dürfen.
Welche Anwender können nun von der neuen Antriebstechnik in besonderem Maße profitieren? In Frage kommen prinzipiell alle, die in großen Serien produzieren.
Autobauer profitieren als erste von der neuen Technologie
Hierzu zählen in erster Linie die Automobilhersteller und deren Zulieferer. In dieser Branche sind Werkzeugmaschinen mit Linearantrieben am stärksten verbreitet. Das hat zum einen mit ihrer schon traditionellen Rolle als Vorreiter bei neuen Produktionstechniken zu tun. Hinzu kommt, daß die Autobauer am besten auf die logistischen Anforderungen der Lineartechnik vorbereitet sind. Außerdem verfügen sie über Know-how bei Steuerungen, haben bereits Erfahrung mit der Hochgeschwindigkeitsbearbeitung und besitzen Kenntnisse über die speziellen Schneid- und Zerspanungswerkzeuge. Dies sind gleichzeitig die Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit sich die neue Maschinentechnik auch bezahlt macht. Zu weiteren, möglichen Anwenderbranchen gehören die Bereiche der Laser-, Stanz- und Nibbelmaschinen, die Holz- und Blechbearbeitung sowie die Präzisions- und Ultrapräzisionsbearbeitung.
Bernd Schnurr rät zu Linearmotoren, wenn die geforderten dynamischen Leistungsdaten mit herkömmlichen elektromechanischen Systemen wie Kugelgewindetrieb oder Zahnstange-Ritzel nicht mehr erreicht werden können. Nach internen Untersuchungen bei Indramat sind Linearantriebe dann vorteilhaft, wenn gleichzeitig hohe Geschwindigkeit, Beschleunigung, Dynamik und Genauigkeit gefordert sind. Im Vergleich zu Kugelgewindetrieb oder Zahnstange-Ritzel besitzen Linearmotoren deutlich weniger mechanische Bauteile. Daher sind sie einfacher konstruiert, arbeiten zuverlässiger und ihre Verfügbarkeit ist höher.
Bei den Werkzeugmaschinen mit Linearantrieben dominieren derzeit eindeutig die Bearbeitungszentren. Das ist verständlich, denn gerade bei den vielen Bearbeitungs- und Positioniervorgängen gepaart mit den häufigen Werkzeugwechseln kann die Linearantriebstechnik ihre Vorteile voll ausspielen. Zu den Anbietern zählen die Gebrüder Heller Maschinenfabrik GmbH, die Grob Werke GmbH, die spanische Firma Danobat und die Renault Automation.
Einen weiteren Schwerpunkt stellt die Laserschneidtechnik dar. In diesem Markt sind insbesondere zwei Unternehmen aktiv: Die Robert Balliu GmbH, eine Tochter des gleichnamigen belgischen Unternehmens, sowie die Trumpf GmbH + Co. in Ditzingen. Mit der Trumatic HSL 2502 haben die Schwaben ein YAG-Laserschneidzentrum mit zwei Schneidköpfen und enormen Beschleunigungswerten auf den Markt gebracht. Das Hochgeschwindigkeits-Laserschneidzentrum für die Feinblechbearbeitung arbeitet nach dem Prinzip der fliegenden Optik. Die beiden Schneidköpfe mit variablem Abstand werden jeweils von einem eigenen YAG-Laser über Laserlichtkabel versorgt.
„Wir mußten die Antriebsdynamik steigern, um kürzere Bearbeitungszeiten und eine höhere Bearbeitungsqualität zu realisieren“, berichtet Dr. Hans Klingel, Geschäftsführer der Trumpf GmbH + Co. in Ditzingen.
Nach Ansicht des Managers ist der Einsatz von Linearmotoren unabdingbar, wenn maximale Schneidgeschwindigkeiten auch bei kleinen Ausschnitten oder engen Konturzügen erreicht werden sollen. Durch die Linearantriebe, die beiden Schneidköpfe und die CNC-Steuerung wurde die Leistungsfähigkeit verbessert. Dadurch ließ sich die wirtschaftliche Einsatzgrenze zu höheren Losgrößen in einen Bereich hinein verschieben, der bislang Pressen mit Komplettwerkzeugen vorbehalten war. Die Maschine eignet sich daher für Zulieferer oder Produktionsbetriebe, die größere Stückzahlen mit hoher Flexibilität fertigen müssen.
Trotz der Vorteile der Linearantriebe bieten nur wenig Hersteller Werkzeugmaschinen mit diesem Antriebskonzept an. Für diese zögerliche Entwicklung gibt es verschiedene Gründe. Der Einsatz der Linearantriebstechnik erfordert eine völlig andere Vorgehensweise bei der Konstruktion. Die verschiedenen Anforderungen der Direktantriebstechnik, bedingt durch den direkten Einbau der Motoren in die Maschine, zwingt zu neuen Konzepten. So macht es wenig Sinn, ein altes Maschinendesign mit herkömmlicher konventioneller Antriebstechnik auf die Direktantriebstechnik umzubauen. Um hohe Beschleunigungen zu erzielen oder die Motorbaugröße zu reduzieren sind die zu beschleunigenden Massen auf ein Minimum zu reduzieren. Dies kann durch Maschinenelemente in Leichtbauweise erfolgen. Von entscheidender Bedeutung ist auch die Anordnung der Achsen innerhalb einer Maschine.
Ähnlich argumentiert Norbert Armbrüster, Leiter Geschäftsfeld Werkzeugmaschinen und Service des Siemens-Bereichs Automatisierungs- und Antriebstechnik in Nürnberg. Er empfiehlt eine enge Kooperation von Maschinen- und Antriebshersteller, da die Motoren vollständig in die Maschinenkonstruktion integriert werden: „Die Maschinerie muß für den Einsatz von Linearmotoren komplett neu entwickelt und grundlegend optimiert werden. Zu den Forderungen zählen Leichtbau bei gleichzeitig hoher Steifigkeit, genaue Meßsysteme und neue Maschinenkinematiken.”
Primärteile der Linearmotoren sind wassergekühlt
Doch damit ist es noch nicht getan. Bei der Konstruktion sind noch weitere Punkte zu beachten. So ist zum Beispiel ein anderes Kühlkonzept notwendig. Im Gegensatz zu rotatorischen Motoren in Verbindung mit Kugelgewindetrieben werden die Linearmotoren direkt in die Maschinenkonstruktion eingebaut. Die bei der elektromechanischen Energiewandlung auftretende Verlustleistung tritt damit direkt in der Maschine auf. Um eine gute Leistung des Motors zu erhalten und um einen Wärmeübergang auf die Maschinenkonstruktion zu vermeiden, werden bei Indramat die Primärteile der Linearmotoren wassergekühlt. Für hochpräzise Applikationen wurden zwei Kühlkreisläufe und eine zusätzliche Wickelkopfkühlung realisiert.
Die Maschinenkonstrukteure müssen zudem die hohen Anziehungskräfte der Linearmotoren berücksichtigen. Vor allem bei Synchron-Linearmotoren ist eine gute Abdeckung zum Schutz gegen ferromagnetische Späne wichtig. Unerläßlich sind auch wirksame Bremsen, die gegen unzulässige Bewegungen schützen und die Direktantriebe im Notaus- oder Fehlerfall zuverlässig abbremsen. Speziell bei vertikalen Achsen sind die Bremsen extrem wichtig.
Hans Mall von Deckel Maho – das Unternehmen wird auf der Emo in Paris eine Vertikal-Fräsmaschine mit Linearantrieb präsentieren – faßt die Problemstellungen zusammen: “Wir Konstrukteure müssen an diese Maschinen ganz anders herangehen. Jedes Bauteil ist auf Steifigkeit durchzurechnen.“ Die bewegten Massen müssen möglichst gering sein und sollen mit maximaler Steifigkeit in Einklang gebracht werden. Hierzu sind aufwendige Berechnungsverfahren notwendig, beispielsweise die Finite Elemente Methode.
Handlungsbedarf sehen viele Werkzeugmaschinenbauer bei ihrem eigenen Vertrieb. Solange die Vertriebsmitarbeiter nicht in der Lage sind, den Anwendern die Vorteile der Linearantriebstechnik näher zu bringen und ihnen glaubhafte Kosten-Nutzen-Rechnungen mit überzeugenden Amortisationszeiten vorzulegen, wird die Skepsis bleiben.
Kugelgewindetriebe werden nicht vom Markt verschwinden
Bei dieser Vorgehensweise mit spitzem Bleistift muß kundenbezogen gearbeitet werden. Das gesamte Spektrum der Werkstücke, die auf den neuen Maschinen produziert werden sollen, ist mit einzubeziehen. Nur wenn sich der Mehrpreis der Maschinen durch weniger Stückkosten argumentieren läßt, können die neuen Maschinen verkauft werden.
In einem Punkt ist sich die Fachwelt einig: Selbst bei einem wachsenden Marktanteil der Werkzeugmaschinen mit Linearantrieben würde das nicht das Ende der bewährten Kugelgewindetriebe bedeuten. Denn Spindelantriebe sind und bleiben die bessere Alternative bei allen Low-Cost-Maschinenanwendungen. Überdies sind auch die Hersteller der Spindelantriebe bemüht, die Verfahrgeschwindigkeiten und die Drehzahlkennwerte weiter in die Höhe zu treiben. Gute Kugelgewindetriebe erreichen heute Drehzahlkennwerte von 150000 bis 160000. Zwar ließen sich durch größere Steigungen theoretisch höhere Geschwindigkeiten erreichen, doch würde dadurch die Steifigkeit in axialer Richtung und die Vorschubkraft reduziert. Gefragt ist der gesunde Mittelwert. Beispielsweise gelten Steigungen von 30 bis 40 mm bei einem Durchmesser von 50 mm als obere Grenze, will man nicht riskieren, daß Steifigkeit und Vorschubkraft in die Knie gehen. Durch leichtere Bauteile lassen sich auch mit Spindelantrieben Maschinen realisieren, die 80 m/min fahren.
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