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Beim Service ist nichts zu verschenken

ZVEI-Initiative: Kunden können klassifizierte Dienstleistungen leichter bewerten
Beim Service ist nichts zu verschenken

Weil die Automatisierer zunehmend komplette Lösungen anbieten und Systeme integrieren, rücken Beratung, Schulung, Ingenieurdienste und Life-Cycle-Services in der Vordergrund. Sie bieten Platz für produkt- und anwendungsbezogene Dienstleistungen, die ein ZVEI-Initiativkreis jetzt strukturieren und klassifizieren will.

Von unserem Redaktionsmitglied Werner Möller ia-redaktion@t-online.de

Um den Betrieb von Kuka-Robotern in Werkshallen zu optimieren, setzen Bruno Geiger und Bernhard Böhrer auf Mobile Computing. Die Geschäftsführer der Kuka Controls GmbH in Weingarten und der Ecom Webfactory GmbH aus Buchen wollen als Dienstleister die Servicequalität auf ein neues Niveau bringen. Mit dem Software-Modul Webaccess kann der Augsburger Roboterhersteller von überall weltweit auf aktuelle Mess- und Leistungsdaten online zugreifen. Kuka-Kunden erwarten das heute und bezahlen auch dafür, denn sie haben die Vorteile wie
  • verkürzte Reaktionszeiten,
  • weniger Stillstand durch vorbeugende Instandhaltung und
  • optimierten Einsatz aller Ressourcen.
Dieses Beispiel zeigt den tiefgreifenden Wandel in der Automatisierungstechnik. War in der Vergangenheit das Geschäft sehr stark geräteorientiert, so werden heute mehr und mehr komplette Systemlösungen gefordert. Bislang isoliert arbeitende Maschinen kommunizieren über Datennetze und bilden komplexe funktionale Einheiten. „Das öffnet ein weites Feld für produkt- und anwendungsbezogene Dienstleistungen und Services“, weiß auch Bruno Geiger zu berichten. Genau hier setzt die ZVEI-Initiative „Services in Automation“ an, die Dienstleistungen in Klassen zusammenfassen und damit ihren Gegenwert schnell sichtbar machen will. Das Spektrum reicht von der Klasse 0 für produktbezogene Basisdienstleistungen bis zur Klasse 6 für anlagenbezogene erweiterte Dienstleistungen.
Dieser Ansatz erscheint sinnvoll, denn zunehmend verschmilzt die heutige Automatisierungstechnik mit der Informationstechnologie und auch mit Software. Deren Anteil an Automatisierungslösungen und deren Dienstleistungen steigt. „Waren es gestern nur 20 Prozent, so werden es morgen 80 Prozent sein“, rechnet Reinhold Emge vor, Vorsitzender des Arbeitskreises Systemaspekte im ZVEI-Fachverband Automation.
In der Vergangenheit wurden solche Services und Dienstleistungen oft als „Give-away“ platziert. Heute aber nehmen sie im Rahmen der kontinuierlichen Wertschöpfung, der langfristigen Kundenbindung sowie der Weiterentwicklung an Bedeutung zu. Daher kann es sich ein Unternehmen kaum noch leisten, diese Dienste einfach so mitzuliefern. Hier stellt sich die Frage:
  • Was sind im Zusammenhang von Services anerkannte Leistungsstandards?
  • Welche Service-Arten sind beim Kunden anerkannt?
  • Wie unterscheiden sich diese Serviceleistungen in der Automation gegenüber dem allgemeinen IT-Markt?
  • Welche Service-Arten sind kostenfrei und welche kostenpflichtig?
  • Welche Service-Arten und welche Geschäftsmodelle sind in der Automation Erfolg versprechend?
Um diese Fragen zu klären, hat der Fachverband Automation im ZVEI dieses Thema aufgegriffen. In einjähriger Arbeit hat eine Strategiegruppe, besetzt mit Experten aus 40 Mitgliedsfirmen, ein Klassifizierungssystem für Dienstleistungen in der Automation entwickelt. Sie haben Begriffe und Definitionen strukturiert und standardisiert, um eine Grundlage für das Gespräch mit dem Kunden zu schaffen. „Wir müssen unseren Kunden oder dem Betreiber einer Anlage während des gesamten Lebenszyklusses unsere Produkte wie Antriebe und Steuerungen auf Anforderung zur Verfügung stellen. Das Geschäftsmodell Verkaufen und Vergessen gehört der Vergangenheit an“, sagt auch Karl-Peter Simon, Vorsitzender des Strategiekreises.
„Die Dienstleistungsinitiative ist selbst kein neues Produkt“, erklärt Werner Blaß, Geschäftsführer des Fachverbands Elektrische Antriebe im ZVEI. Die Klassifizierung sei vielmehr eine Bestandsaufnahme von Dienstleistungen, welche die 40 an ihrer Erstellung beteiligten Firmen bisher schon erbringen. „Neu ist, dass wir die Dienstleistungen in Module und Klassen ordnen und ihnen Namen und Definitionen geben“, sagt Blaß. Neu ist auch, dass die teilnehmenden Firmen bestimmte Verpflichtungen für ihr Produkt eingehen. Diese sowie die zugeschnittenen Dienstleistungspakete werden dann ein Teil des Angebots sein, das der Kunde in den Händen hält. Ein solider Hersteller oder Anbieter von Automatisierungsprodukten war laut Blaß schon immer in der Lage, den Kunden bei der Auswahl, der Integration, der Inbetriebnahme, der Schulung und dem Betrieb seiner Produkte zu beraten. „Wir wollen mit der Initiative aber nun eine Grundlage schaffen, auf der Lieferanten und Kunden eine gemeinsame Sprache sprechen und auf dieser Basis besser Vereinbarungen treffen können“, sagt Werner Blaß.
Dennoch warnen Kritiker, dass hier zukünftig eine Zweiklassen-Automatisierung entstehen könnte, denn die Teilnahme an der Initiative steht nur den Mitgliedsfirmen des ZVEI offen. Auch mehren sich Stimmen, das System sei zu komplex aufgebaut, weil unter anderem die Klassen nicht automatisch aufeinander aufbauen. Hier beschwichtigt ZVEI-Experte Blaß: „Das System erscheint nur auf den ersten Blick komplex. In der praktischen Handhabung ist es einfach und logisch.“
Den ZVEI-Ansatz für sinnvoll hält Dr. Gerhard Heckelmann. „Automatisierungshersteller wie ABB stehen in Deutschland als Komponentenanbieter und Systemlieferanten vor einer differenziert zu betrachtenden Situation“, so der Leiter des Geschäftsbereiches Service bei der ABB Automation GmbH in Mannheim. Einerseits ist das Investitionsvolumen für Neuanlagen deutlich zurückgefahren worden. Daraus resultiert, dass die Kunden sich verstärkt Erhaltungs-, Erweiterungs- und Modernisierungsaufwendungen zuwenden. „Aus der ursprünglichen Folgetätigkeit des klassischen After-Sales-Service ist bei uns mittlerweile ein eigenes Geschäftsfeld geworden, dessen Anteil in den Branchen Chemie und Metallerzeugung schon über 50 Prozent am Gesamtvolumen ausmacht“, berichtet Heckelmann.“
Der Wechsel der Kundenbeziehung in Richtung Service vollzieht sich. Früher stand bei Neuinvestitionen des Kunden dem Anteil des Systemlieferanten ein entsprechender Anteil an Investitionen in die Anlagentechnik selbst gegenüber. Heute verlagern sich die Schwerpunkte bei Anlagenerhalt und Modernisierung zunehmend in Richtung Servicedienstleistungen. Heckelmann: „Damit wird unsere Serviceabteilung mehr und mehr zum Ansprechpartner für die Kunden. Ob unsere Mitarbeiter vom Service Kompetenz und Leistungsfähigkeit zeigen, bekommt bei Entscheidungen einen wesentlich höheren Stellenwert“, sagt Heckelmann. Oftmals entscheidet der Kunde bereits bei einer Neuinvestition über die Möglichkeit und Leistungsfähigkeit in der Servicebetreuung seines Lieferanten – denn diese wird seine Anlage und ihre Produktionsqualität über Jahre und Jahrzehnte beeinflussen. Wenn sich die Anbieter nun an der ZVEI-Klassifizierung orientieren, dann erhalten die Kunden eine wertvolle Hilfestellung bei der Vorauswahl.
Der Komponentenbereich muss hingegen anders beurteilt werden. Wenn Kunden beim Kauf beispielsweise eines Serienschalters keine zusätzlichen Serviceleistungen erwarten und die gesetzlichen Bestimmungen ausreichen, ist der Kauf über einen Händler mit Servicemöglichkeiten entsprechend der Klasse 0 ausreichend. Im Gegensatz dazu erwartet beispielsweise der Druckmaschinenhersteller für den gleichen Schalter wesentlich komplexere Dienstleistungen der Klassen 2 oder 3. „Hier muss jedoch eingeschränkt werden, dass das Einstufen in keinem Fall eine automatische Verpflichtung zur Dienstleistung darstellen kann und soll“, so der ABB-Experte.
Wer an dem Ansatz des ZVEI zweifelt, nennt gerne die mangelnde Internationalität und fehlende EU-Harmonisierung. Werner Blaß hält dagegen und betont die enge Zusammenarbeit mit den englischen (Gambica) und französischen (Gimelec) Partnerorganisation des ZVEI an einer gemeinsamen Lösung. Der deutsche und der französische Ansatz seien sich schon sehr ähnlich, sagt Blaß.„Unterschiede gibt es nur im Detail.“ Der englische Ansatz hingegen fiele davon ab, weil nur wenige große Unternehmen mitgewirkt haben. Blaß fordert hier eine gemeinsame englischsprachige Basis, besonders für die Länder, die noch keine Nomenklatur erstellt haben.
Für die Roboterexperten von Kuka und Ecom Webfactory ist das Beurteilen der Dienstleistungs- und Servicequalität eine lang geforderte Sache. Denn der Kunde muss sich auf den Lieferanten verlassen können. Das gilt nicht nur für Garantien, sondern beispielsweise auch für das Zertifizieren oder die internationale Patentbeobachtung.
Verkaufen und Vergessen gehört der Vergangenheit an

ZVEI-Klassen
Je nach Komplexität des Produkts, des Systems oder der Anlage werden die Dienstleistungsmodule nach den Vorschlägen des ZVEI in sieben Klassen eingeordnet.
  • Klasse 0 beginnt mit den gesetzlich notwendigen oder nach allgemeingültiger Auffassung selbstverständlichen Leistungen, die in der Regel kostenfrei gestellt werden.
  • Am oberen Ende der Skala stehen die Klassen 5 und 6 für das anlagenbezogene Geschäft.
  • Dazwischen liegt in den Klassen 1 bis 4 das weite Feld der Dienstleistungen für die ganze Palette der Produkte und Systeme der Automatisierungstechnik.
Für einfachere Produkte wie einen Leistungsschalter macht es möglicherweise keinen Sinn, Dienstleistungsmodule aus der Klasse 4, 5 oder 6 anzubieten. Für einen intelligenten Antrieb ist das schon eher denkbar.

„Für die globale Wirtschaft werden weitere erhebliche Marketingaktivitäten notwendig sein “

Nachgefragt

Weil Unternehmen den Dienstleistungskatalog übersichtlicher darstellen können, begrüßt Gerd Hoppe die ZVEI-Initiative Services in Automation.
Welche Vorteile bietet die ZVEI-Initiative aus Ihrer Sicht?
Die „Services in Automation”-Klassifizierung des ZVEI hilft, die Leistungspalette eines Anbieters schlagwortartig darzustellen, so dass der Kunde auf einen Blick erkennt, welchen Leistungskatalog ein Unternehmen zu bieten hat.
Ändert das etwas an Ihrer Kundenbeziehung?
Nein, denn unser eigener Erfolg lag immer auch darin begründet, dass über die Technologie und die Produkte hinaus eine Verantwortung als Systemanbieter auf allen Ebenen mit dem Kunden gelebt wurde. Beckhoff ist und war stets offener Komponenten- und Systemlieferant.
Meinen Sie nicht, dass die Klassifizierung einen Anbieter auch einengt?
Nein, die Übergänge zwischen den einzelnen Klassen von 0 bis 6 sind sicherlich fließend. Kunden werden über die Klassifizierung hinaus auch in Zukunft ihren gewünschten Leistungskatalog individuell verhandeln und beschaffen.
Müssen Kunden bisher kostenlose Leistun-gen in Zukunft bezahlen?
Da diese Klassifizierung keinen eigentlichen Mehrwert generiert, wird sie die Dienstleistung nicht verändern. Aber die Leistungskataloge werden besser strukturiert sein.
Wie steht Ihrer Meinung nach die Initiative international da?
Im internationalen Bereich kann eine solche Initiative nur gemeinsam mit weite-ren internationalen Partnern des ZVEI vermarktet werden – auf europäischer Ebene sind dazu Ansätze erkennbar. Für die globale Wirtschaft werden aber sicherlich weitere erhebliche Marketingaktivitäten notwendig sein.
Industrieanzeiger
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