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Contra Plastikmüll – die Industrie denkt um

Kreislaufwirtschaft: K 2019 zeigt erste Lösungsansätze
Contra Plastikmüll – der Kampf beginnt

Viel zu lange hat die Branche sich nicht bewegt. Die Plastikmüll-Problematik trifft sie nun mit voller Wucht – ausgerechnet im „K-Jahr“. Sie muss Lösungen liefern. Auf der K 2019 werden erste Konzepte erkennen lassen, wie die Kunststoffwelt sich verändern muss. Auch der VDMA wird aktiv. ❧

Olaf Stauß

Nicht die Kunststoffindustrie hat die Probleme publik gemacht, deswegen soll zuerst eine private Einrichtung zu Wort kommen. Der Leiter des Nova-Instituts, Michael Carus, lässt schon durch sein Aussehen durchblicken, dass er alternativen Konzepten zugeneigt ist. Trotzdem hält er Kunststoffe für unverzichtbar. Als Gründe nennt er „ihre hohe Produktionseffizienz und zum Beispiel ihre geringe Dichte, mit der sie bei Transporten punkten können“.

Doch er legt die Finger in die Wunde und schont dabei auch nicht die Europäer mit ihren Sammelsystemen: „In der EU werden weniger als 10 % der Altkunststoffe zu neuen Kunststoffen recycelt. Dabei sind Thermoplaste sortenrein gesammelt sehr gut stofflich recycelbar, besser als die meisten anderen Materialien.“ Carus vertritt sehr weitgehende Vorgaben für das Sammeln und die Recyclingfähigkeit. Nachzulesen ist das Interview online: http://hier.pro/WuBsb

Weltweit werden 348 Mio. t Kunststoffe jährlich produziert, etwa 8 Mio. t landen im Meer. Lange wurde nichts dagegen getan. Doch jetzt kommt ein Umdenken in Gang, wie künftig anders gewirtschaftet werden kann. Neue Konzepte werden auf der K 2019 vorgetragen – vorerst zarte Pflänzchen und auch tastende Versuche. Sie zeigen aber auch, dass technische Grundvoraussetzungen vorhanden sind und neue Ansätze möglich.

Borealis etwa kann unter den Rohstoffherstellern als Vorreiter gelten. Der Konzern mit Sitz in Wien hat durch seine immerhin seit 2016 in die Wege geleiteten Akquisen drei Recycler im Portfolio. Er produziert 3,5 Mio. t Neuware und bis zu etwa 100.000 t Rezyklat – „das ist Borealis heute“, sagte CEO Dr. Alfred Stern bei der Jahrestagung des VDMA im Juni. Die Jahrestagung 2019 hatte ebenfalls die Kreislaufwirtschaft zum Thema.

Die Industrie muss die Recyclingfähigkeit von Kunststoffen verbessern

Stern ist sich mit anderen Managern einig, dass die Rezyklierfähigkeit der Kunststoffe und der Produkte („Design for Recycling“) verbessert und Kreisläufe geschlossen werden müssen, teils durch gesetzgeberische Vorgaben. Und: „Wir müssen die Wertigkeit der Rezyklate steigern wie früher bei den commodities“ – also wie bei den Massenkunststoffen PE und PP, die starke technische Verbesserungen erfahren hatten.

Wichtig ist das Verwenden sortenreiner Kunststoffe und das sortenreine Sammeln, damit besser recycelt werden kann. Auch das ist Konsenz. Weiter denkt die Branche zusätzlich an chemisches Recycling, das in Zukunft den Wiederaufbau von Polymeren aus Grundbausteinen ermöglichen soll. Dies wäre beispielsweise eine Option für nicht-recycelbare Mehrschichtverpackungen, die aus bis zu elf dünnen Funktionsschichten mit verschiedenen Kunststoffen bestehen. Als letzte Option kommt thermisches Verwerten durch Verbrennung in Frage, wenn mechanisches Recycling nicht möglich ist.

BASF leistet unter anderem mit dem Projekt ChemCycling einen Beitrag: Ende 2018 setzte der Chemieriese erstmals Pilotmengen eines aus Kunststoffabfällen gewonnenen Pyrolyseöls in der Kunststoffproduktion ein. Vier Partner entwickelten Produkte aus dem so produzierten Material in ihren Bereichen – Jaguar Land Rover (JLR), Storopack, Südpack und Schneider Electric.

Borealis wiederum erarbeitete mit BASF, Südpack und Zott eine prototypische Mehrschichtverpackung, die komplett aus Rezyklat besteht: BASF lieferte dafür das chemisch recycelte PA, Borealis das nachhaltig produzierte PE. Mit Verpackungshersteller Mondi hat Borealis eine Monomaterial-Verpackungslösung für Fleisch- und Milchprodukte entwickelt, die sich mechanisch recyceln lässt.

Sabic plant ein Werk für chemisches Recycling

Sabic will nach eigenen Angaben ein Werk für chemisches Recycling aufbauen, das ab 2021 teilkommerziell produzieren soll, und hat dazu Kooperationsvereinbarungen getroffen mit Abnehmern wie Unilever, Tupperware Brands, Vinventions und Walki Group.

Quer durch die Branchen entstehen neue Ideen. Es sind erste Puzzle-Stücke für ein Umschwenken. Die FM Kunststofftechnik GmbH stellt zum Beispiel einen Mehrweg-Kaffeebecher her, der vollständig kompostierbar ist und sich im Erdreich tatsächlich zersetzt – nicht erst bei 60 °C wie PLA. Das verwendete Material ist ein Biopolyester, der mit bis zu 40 % Sonnenblumenschalen angereichert wird, ein Abfallprodukt beim Herstellen von Sonnenblumenöl. Spritzgießmaschinenbauer Billion unterstützte den Verarbeiter bei der dafür nötigen Anpassung der Maschine.

Brückner Maschinenbau will in Düsseldorf neue Anlagenkonzepte für rezyclierfähige Monomaterialfolien vorstellen, die bisherige Mehrlagenfolien aus verschiedenen Materialien ersetzen können. Ein schwieriges Unterfangen, weil auch solche Verpackungen für Lebensmittel höchste Ansprüche erfüllen müssen. Eine Rolle spielen „extrem dünne Funktionsschichten im Nano-Bereich“. „Im Unternehmenskonsortium Ceflex arbeiten wir mittlerweile mit mehr als 100 Firmen intensiv an dem Problem“, sagt Michael Baumeister, Geschäftsführer Technik.

Der Maschinenbau als ganzes hat die Kreislaufwirtschaft über seinen Verband VDMA zu seiner Sache gemacht. Auf der Jahrestagung 2019 der Abteilung Kunststoff- und Gummimaschinen sagte ihr Vorsitzender Ulrich Reifenhäuser: „Die Kunststoffindustrie muss etwas tun. Wir müssen die werkstoffliche Recycelbarkeit herstellen, soweit irgend möglich.“ Und Thorsten Kühmann, Geschäftsführer des Fachverbands, ergänzte: „Das Thema wird uns sehr lange beschäftigen. Wir müssen es anpacken und einen Weg aus der Krise finden.“

VDMA stellt Kreislaufwirtschaft in den Fokus des Messeauftritts

Auf der K will der VDMA den gesamten Zyklus der Kreislaufwirtschaft in der Kunststoffindustrie darstellen von der Produktion über das Recyceln bis zur Rückführung in die Produktion. Partner aus der gesamten Wertschöpfungskette sind beteiligt und zeigen in Düsseldorf, wie geschlossene Kreise aussehen können. „Es soll deutlich werden, dass sich die Kunststoffindustrie um die Abfallproblematik kümmert und bereits funktionierende Lösungsvorschläge hat“, erklärt Kühmann.

Was können Maschinenbauer tun? „Es braucht Technologien, um die Anteile von Rezyklat in der Produktion wertschöpfend steigern zu können“, meinte dazu Dr. Christoph Steger, CSO von Engel Austria, auf der VDMA-Jahrestagung. Ein großes Problem sei zum Beispiel die schwankende Qualität der gemischten Kunststoffabfälle aus den Haushalten. „Unsere Aufgabe als Maschinenbauer ist es aber nicht nur, die Maschinen fit zu machen. Wir müssen auch die Kunden abholen und mitnehmen.“ Unterstützung und Beratung seien gefragt.

VDMA positioniert sich
mit Geschäftsführer-Interviews

Schon seit Monaten im Vorfeld der K 2019 bezieht der VDMA Stellung mit einer Interviewserie, in der neben Kühmann weit mehr als zehn Geschäftsführer von Mitgliedsunternehmen zu Wort kommen. Das ist ein starkes Signal, weil der Fachverband und die Mitglieder sich damit festlegen. Die Chef-Interviews wurden der Presse zur Verfügung gestellt. Wir zitieren daraus im Folgenden.

Reifenhäuser, CSO der Reifenhäuser-Gruppe, machte den Anfang als Fachverbands-Vorsitzender. „Es ist schon paradox. Kunststoff ist ein ideales Material für viele Anwendungen. Er ist leicht, einfach zu verarbeiten, relativ günstig und in ausreichenden Mengen verfügbar. Darum nimmt seine Bedeutung im Wettbewerb mit anderen Materialien stetig zu“, sagte er im Interview. „Auf der anderen Seite wird Kunststoff nach der Verwendung meist nicht richtig behandelt. Er wird nicht gesammelt, sondern weggeschmissen. Das ist das eigentliche, große Problem.“

Reifenhäuser: Kunststoffabfall sollte ein Wert zugewiesen werden

Als ganz wichtig sieht er an, dem Kunststoffabfall einen Wert beizumessen. Der beste Ansatz seien Recycling-Quoten für neue Kunststoffprodukte, Preiserhöhungen zum Trotz. Man müsse an die Verantwortung der Verbraucher appellieren. Reifenhäuser wird auch gleich konkret. „Wenn der Gesetzgeber vorschreibt, dass alle Kunststoffprodukte 30 Prozent Recyclingmaterial brauchen, dann sind die Voraussetzungen für alle gleich. Es braucht dann vielleicht drei Jahre, bis man bei uns in Europa auf einmal eine ganz andere Recyclingindustrie hat.“

Thorsten Kühmann vom VDMA schlägt zusätzlich verbindliche Qualitätsstandards für Rezyklate vor, damit weniger Neuware eingesetzt wird. „Die gibt es bislang nicht und deshalb weiß derjenige, der Rezyklate einsetzt, nie genau, welche Qualität er bekommt.“ Und schließlich gebe es noch ein Mengenproblem bei Rezyklaten. Niemand könne heute sicher sein, ob ein Material über einen längeren Zeitraum für ihn verfügbar sei oder nicht.

Der CEO des Recyclinganlagen-Herstellers Erema, Manfred Hackl, weist andererseits im VDMA-Interview darauf hin, dass schon heute höherwertiges Regranulat produziert werden könne – dank technologischer Fortschritte. „Regranulat wird schon längst nicht mehr nur für Parkbänke gebraucht, sondern in vielen hochwertigen Produkten eingesetzt.“


David Romaric Tinkou: „Ich bin froh, dass ich bei Coperion an erfahrene Experten für bioabbaubare Compounds geraten bin.“ Hier alle zusammen vor der ZSK-Extruderanlage im Technikum in Stuttgart. Bild: Coperion

Contra Plastikmüll in Benin

Auch in Afrika tut sich etwas. Benin hat im Juli 2018 erdölbasierte Plastiktüten und -verpackungen verboten. Der Blasfolienhersteller Asahel Benin Sarl musste daraufhin seine PE-basierte Produktion umstellen. Von Coperion bezog er eine Compoundieranlage für bioabbaubare Compounds und betreibt sie nach intensiven Tests jetzt in Benin.

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