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Das schaffen die Anderen nicht

Prozessverbesserung: Effizient produzieren in Deutschland
Das schaffen die Anderen nicht

Immer mehr Firmen verlagern ihre Produktionen nach Deutschland zurück. Konzepte zur flexiblen Fabrik, Gruppenarbeit und Eigenverantwortung, ausgeklügelte Prozesse und IT-Integration machen den Nachteil der hohen Löhne immer stärker wett.

Adidas & Co. produzieren in Asien. Die Hamburger Sportschuhhändler Lars und Ulf Lunge bauen lieber eine Fabrik in Mecklenburg-Vorpommern auf. Die höheren Löhne in Deutschland schrecken sie nicht. Denn sie haben genug von mieser Qualität aus Fernost. Zwar haben im globalisierten Wirtschaftskreislauf beim Produzieren von Laufschuhen die Asiaten das Rennen gemacht, doch die Lunge-Brüder setzen auf deutsche Wertarbeit und wollen nur Grundmaterialien aus dem Inland verarbeiten. Das macht den Schuh mit 180 Euro zwar etwas teurer. Dafür soll er aber nicht nur 1000, sondern bis 3000 km halten. Mit der schnellen Marktreife neuer Schuhe, Lunges schaffen dies in einem Monat, wollen sie „die anderen schlagen“.

Die Lunges liegen im Trend. Immer mehr Firmen besinnen sich auf den Standort Deutschland. Konzepte zur flexiblen Fabrik, Gruppenarbeit und Eigenverantwortung, ausgeklügelte Prozesse und IT-Integration machen den Nachteil des hohen Lohnniveaus immer stärker wett. Ein gutes Beispiel ist das Gerätewerk der Siemens AG in Erlangen. „Beste Fabrik 2004“ prangt auf einem großen Plakat über dem Eingang zu Halle 42. In dem Werk stellt das Geschäftsgebiet Motion Control Systems elektronische Steuerungen und Antriebstechnik für Maschinen und Produktionsstraßen her. Eine Jury hatte diese Fabrik zur besten Europas gewählt, weil 1100 Menschen hier so arbeiten, wie man es in vielen Management- ratgebern nachlesen, aber in der Realität nur selten finden kann. Hohe Qualität, Liefertreue und Just-in-Time-Logistik sind Realität. Werkleiter Josef Röhrle erinnert sich: „Als ich zum Erlanger Gerätewerk kam, schrieben wir rote Zahlen und eine Schließung schien unvermeidbar“. Heute ist das Werk bei einem Umsatz von 570 Mio. Euro pro Jahr eine der profitabelsten Fabriken im Siemens-Konzern. Mit einem Marktanteil von über 27 % ist der Bereich Motion Control Systems an die Weltspitze aufgestiegen. Möglich machten dies das Konzept der fraktalen Fabrik, Gruppenarbeit und flexible Arbeitszeitkonten. Eigentlich kein Hexenwerk. Aber was macht Röhrle besser als andere? Die wichtigste Eigenschaft, die ein Mitarbeiter haben muss: „Er muss mir widersprechen können“, fordert der 57-Jährige. „Leute mit ungewöhnlichen Ideen brauchen wir.“ Und die spannt er in Teams zusammen. Je unterschiedlicher das Wissen und die Persönlichkeiten im Team sind, desto besser. Bei Veränderungsprozessen im Gerätewerk sei immer nur der nächste Schritt definiert, der langfristige Wandel bleibe in einem Graubereich. Der Weg ist also das Ziel. „Wenn es gut laufe“, mahnt er, „müsse der nächste Veränderungsschritt ins Visier genommen werden.“
„Mit Sicherheit immer eine Idee voraus“ – dieses Motto war auch für Johann Pröpster während der letzten 25 Jahre Leitmotiv beim Entwickeln und Herstellen von Blitzschutzbauteilen. Die Ideen und Produkte seines Unternehmens aus Neumark, wie die Orginal Multiklemme, haben die Blitzschutzbranche geprägt. “Unser Know-how liegt in der Art der Fertigung“, betont der Firmenchef. „Die Arbeitsgänge Prägen, Ziehen, Schneiden und Lochen haben wir in einen Prozessschritt integriert, so dass immer in einem Arbeitsgang das fertige Teil aus dem Stanzautomaten kommt“, so Pröpster. Obwohl an der Grenze zu Tschechien gelegen, will Pröpster mit seiner Fabrik in Neumark bleiben: „Nach einem missglückten Fertigungsausflug nach Osteuropa haben wir erkannt“, so der Blitzschutzexperte, „dass wir nur hier das beste Fachpersonal haben.“ Ausgelagert sind nur leichte Schraub- und Montagearbeiten, und die werden zur vollen Zufriedenheit seit Jahren von Behinderten in Werkstätten der näheren Umgebung erledigt.
Immer mehr Patriotismus bescheinigt auch eine aktuelle Studie der Wiesbadener TEC International Germany GmbH unseren Mittelständlern. Demnach glauben derzeit nur noch etwa 16 % der befragten Mittelständler, dass eine Produktionsverlagerung ins Ausland die aktuelle Situation verbessern würde. Mehrheitlich 84 % teilen nicht diese Meinung: Knapp 37 % stehen dieser Maßnahme skeptisch und fast 47 % sogar ablehnend gegenüber.
Vor gut einem Jahr herrschte im deutschen Mittelstand jedoch noch ein ganz anderes Stimmungsbild vor. Eine wichtige Ursache für diese aktuelle positive Trendwende sieht TEC-Vorstand Prof. Klaus Evard in den schlechten Erfahrungen mit ausländischen Arbeitnehmern. Diese verfügten oftmals nicht über die notwendigen Qualifikationen oder würden mit dem dann erlangten Know-how immer wieder von der Konkurrenz abgeworben. Zudem besteht an ausländischen Produktionsstätten oftmals eine erhöhte Gefahr von Industriespionage und Produktpiraterie, die bei deutschen Firmen zu Millionenverlusten geführt hätten. Darüber hinaus sieht Evard jedoch auch in der positiven konjunkturellen Entwicklung in Deutschland einen Grund. Nach Angaben von TEC wollten bereits im Februar 53 % der mittelständischen Unternehmen in Deutschland 2006 wieder mehr in Produktion und Technik investieren.
Fragt man die Unternehmen nach weiteren Gründen, dann nehmen die Mitarbeiter sowie deren Kenntnis über neueste Technologien und Werkzeuge eine Schlüsselposition ein. Ein Beispiel hierzu lieferte der Produk- tionsleiter des Antriebshersteller Berger Lahr GmbH & Co. KG. Was Ottmar Himmelsbach in den letzten Jahren bei der Schneider-Electric-Tochter in Lahr auf die Beine gestellt hat, kann sich sehen lassen. Sein Erfolgsrezept: Alle Verfahren wie Lean Production, Kaizen oder KVP studieren, Details sammeln und zu einem maßgeschneiderten Puzzle werden lassen. Das Beherrschen der Varianten entlang der Wertschöpfungskette bildete Himmelsbachs Schlüssel. Dazu gehören variantenreiche Produktionsstrukturen ebenso wie eine absatzsynchrone Montagelogistik, unkonventionelle Arbeitszeitmodelle und Entlohnungssysteme. Die Prozessanordnung erfolgt in so genannten U-Shapes, mit denen eine Art „Ein-Stück-Fluss“ umgesetzt wird. Allerdings ohne starre Kopplung von Mensch und Maschine. Alle Produktionsoperationen sind mit Arbeitsplätzen aneinander gereiht, ohne dabei Arbeitsschritte auszutakten. Alle Mitarbeiter sind mehrplatzfähig und teilen sich ihre Aufgaben je nach Volumen eigenständig. KVP-Systeme sind weitere Puzzle-Teile im System. An Kanban ist die absatzsynchrone Montagelogistik nach dem Pull-Prinzip festgemacht. Auf Deutsch: Es wird ausschließlich nach Aufträgen produziert. Das Zeitfenster nach Auftragseingang schließt sich nach vierzehn Tagen, dann ist der Antrieb beim Kunden.
Nach Lean-Production-Gesichtspunkten eleminiert sind lange Liegezeiten, hohe Bestände, Nacharbeit, Überproduktion sowie unnötige Transporte und Ressourcenverbräuche.
Bauteile und Baukastenkonzepte sind bereits im Stadium der Produktentwicklung standardisiert. Für Produkt-Neuentwicklungen werden sogar Variantenfenster gebildet, um alles technisch Sinnvolle zu bewerten. Vorgedachte Varianten mit vorausschauendem Design helfen, den Zeitpunkt der Variantenbildung so weit wie möglich an das Ende der Produk- tionskette zu verschieben. Der Erfolg spricht für sich. 600 Mitarbeiter erwirtschaften in Lahr zur Zeit 100 Mio. Euro Umsatz, Tendenz für 2006: 15 % Steigerung.
Michael Kaiser, Logistikleiter bei der Coburger Kaeser Kompressoren GmbH, schildert seinen Fall: „Stets genau zu wissen, wann die bestellten Kompressoren, Betriebsmittel und Wartungsteile für die Druckluft-Erzeugung vor Ort sind, ist für Industriekunden von größter Bedeutung. Für den Hersteller solcher Produkte setzt dies auf der anderen Seite eine leistungsfähige Logistik mit durchgängiger Anbindung an die zentrale Unternehmens-IT voraus. Kaeser meisterte diese Anforderung mit einem modernen Hochregallager, einem fahrerlosen Transportsystem und dem optimalen Zusammenspiel mit der zentralen SAP-Unternehmens-Software. Durch die Neuorganisation des Materialflusses reduzierten sich die Kosten des innerbetrieblichen Transportes erheblich.
„Um wettbewerbsfähig zu bleiben, muss eine prozess- und projektorientierte Ablauforganisation, verbunden mit entsprechenden Strukturen und Hilfsmitteln, umgesetzt werden“, meinte Ludwig Gansauge, Leiter Prozessmanagement bei dem Werkzeugbauer Siebenwurst GmbH & Co. KG in Dietfurt. Eine besondere Bedeutung dabei habe die Koordination von Abläufen und die verwendete IT-Infrastruktur einschließlich Software zum Informations-, Wissens- und Datenmanagement. Noch einen Schritt weiter schaut Josef Röhrle. Er findet immer noch Vorbilder, um von ihnen zu lernen, etwa von japanischen Unternehmen. In vielen Bereichen sei man heute auf Augenhöhe, die Qualitätskultur sei aber in Japan noch besser ausgeprägt. „In ein paar Jahren haben wir sie aber auch da eingeholt“, verspricht der Siemens-Werkleiter.
Alle Glieder der Kette müssen umdenken

„Das muss noch besser gehen“

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Nachgefragt

Wer ist die TEC?
TEC ist eine weltweite Organisation mittelständischer Führungskräfte. Hier haben wir 120 Mitglieder.
Was war die Motivation für Ihre Mittelstandsbefragung?
Wir wollen damit nicht nur ein Zeichen für den Standort Deutschland setzen, sondern unsere befragten Mitglieder mit den konkreten Ergebnissen konfrontieren.
Was heißt denn „konkret“?
Erfahrungen, die unsere Mitglieder im Ausland gesammelt haben, werden diskutiert
Wie oft treffen Sie sich?
Unsere Mitglieder treffen sich in Zwölfergruppen einmal im Monat einen ganzen Tag und berichten sehr vertraulich Ergebnisse und Probleme.
Welche Vorteile hat das?
Wir erkennen so beispielsweise schnell die weichen Risiken einer Auslandsfertigung, wie sinkende Kundenzufriedenheit oder eine hohe Reklamationsrate, und warnen die Mitglieder.

Marktchancen
Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Unternehmen prozess- und projektorientierte Ablauforganisation – verbunden mit entsprechenden Strukturen und Hilfsmitteln – umsetzen. Das Koordinieren und die verwendete IT-Infrastruktur einschließlich Software zum Informations-, Wissens- und Datenmanagement hat eine besondere Bedeutung. Nur wer seine innerbetrieblichen, organisatorischen und systembedingten Schnittstellen im Griff hat, kann gewinnen.
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