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„Das wird ein langer Weg…“

Konzertierter Aufbruch: Textilindustrie knüpft Fäden in Richtung Industrie 4.0
„Das wird ein langer Weg…“

Textiltechnik | Auch für die deutsche Textilindustrie kommt die vorgedachte Zukunft schneller als gedacht. Nach Veröffentlichung des Branchen-Strategiepapiers „Perspektiven 2025“, in dem auch von individueller Bekleidungsproduktion die Rede war, nimmt das Konzept einer „SpeedFactory“ bereits Gestalt an.

Hans-Werner OertelTechnologiejournalist InnoMedia Berlin

Fußball-Fans werden sich an folgende Mankosituation noch gut erinnern: Als die deutsche Elf 2014 zum vierten Mal Fußballweltmeister wurde, wollten Tausende möglichst schon am nächsten Tag ein Siegertrikot mit den vier Meistersternen erwerben. Dass die Ware jedoch erst Wochen danach ausgeliefert werden konnte, war und ist der arbeitsteiligen internationalen Produktionskette für Sportbekleidung mit ihren langen Vorlaufzeiten geschuldet.
Bis zum fünften Weltmeisterschaftstitel und mit Rückenwind durch Industrie 4.0 könnte der Fertigungsablauf, der zurzeit ein aktuelles Reagieren auf individuelle Wünsche selbst bei kleinen Losgrößen noch weitestgehend ausschließt, schon eine anderer sein – zumindest prototypisch. Die Vision von einer flexiblen Fertigung macht die intelligente Verknüpfung bestehender Produktionsprozesse notwendig. Adidas arbeitet an ersten Speedfactory-Produktionen für textile Sportschuhe an der Schnittstelle zwischen Datenstrom und Textiltechnik.
Der auf Industrie-4.0-Prozesse spezialisierte Aachener Textilforscher Prof. Yves-Simon Gloy vom Institut für Textiltechnik (ITA) unterstützt das Adidas-Bemühen. Fragestellungen, die seine Projektgruppe mit ihrer Spezialisierung auf Textilmaschinen und Produktionstechnik derzeit löst: Wie kommen die passenden Daten in die Maschine, damit diese weiß, was zu produzieren ist? Wie ist eine Kleinstserienfertigung bis zur Losgröße 1 mithilfe autonomer Steuerungssysteme zu realisieren – inklusive der dazugehörigen Produktionslogistik, Individualisierung und Fertigungseffizienz?
„Der Aufbau der ersten Speedfactory in Ansbach ist nun in vollem Gang“, sagt Gerd Manz, Vice President Technology Innovation bei Adidas. Ziel sei es, ein globales Netzwerk automatisierter Fertigung zu etablieren, das modernste Spitzentechnologie in Städte rund um den Globus bringe. „Das Pilotprojekt mit 500 Paar Schuhen wird uns helfen, die Grundlagen für eine kommerzielle Serienproduktion zu schaffen, sodass jeder Konsument vor Ort genau das bekommt, was er will, und zwar dann, wann er es will – schneller als je zuvor.“
Solche konzerngestützten Leuchtturmprojekte weisen auf erste für den Verbraucher sichtbare Wirkungen digital vernetzter Geschäftsprozesse und Geschäftsfelder der Branche hin. Der vom Gesamtverband Textil + Mode kreierte Slogan „Die Zukunft ist textil“ bekommt damit ebenso Nahrung wie die Feststellung von t+m-Präsidentin Ingeborg Neumann, dass „die Gestaltung der Textilindustrie 4.0 ein revolutionärer Prozess“ sei und ganz neue Produkte und Dienstleistungen hervorbringen werde.
Das Bild von der deutschen Textilindustrie, einst vor allem Hersteller von Mode-, Bekleidungs- und Heimtextilerzeugnissen, hat sich angesichts des Vordringens faserbasierter Leichtbauverbundwerkstoffe in Luftfahrt, Automobilbau, Medizintechnik und Architektur radikal gewandelt. Technische Textilien machen heute mit 13 Mrd. Euro etwa 50 % des Branchenumsatzes aus. Sie sind hoch innovative Werk- und Einsatzstoffe, die in zahlreichen textilfernen Industriezweigen als Innovationstreiber fungieren. Textilbeton, intelligente Textilien (Smart Textiles) oder textile Hochleistungsmaterialien formen zunehmend unsere Welt.
Dass Deutschland Weltmeister auch bei technischen Textilien ist, liegt am wissenschaftlichen Input der 16 dem Forschungskuratorium Textil (FKT) angeschlossenen Forschungsinstitute. Sie stellen sich mit unterschiedlichen Kompetenzschwerpunkten zunehmend den Herausforderungen des digitalen Zeitalters – so wie das Institut für Textiltechnik an der RWTH Aachen (ITA), das Zentrum für Management Research der Deutschen Institute für Textil- und Faserforschung Denkendorf (DITF-MR) und das Sächsische Textilforschungsinstitut Chemnitz (STFI) als Konsortialführer des vom BMBF geförderten Industrie-4.0-Clusters „futureTEX“.
Gerade haben FKT-Chef Dr. Klaus Jansen und der Textil-Gesamtverband die Arbeitsgruppe „textil+mode 4.0“ angeschoben, die am 11. Februar in Berlin zu ihrem ersten Gipfeltreffen mit Partnern auch aus dem Textilmaschinenbau und der Informatik zusammentritt. Die Organisatoren wollen den eher kleinen und familiengeführten Mittelstandsunternehmen der Textilindustrie eine Orientierungshilfe bei der weiteren informationstechnischen Vernetzung der Wertschöpfungskette geben.
Bekleidungsindustrie mit digitaler Vorreiterkompetenz
Im Sektor Bekleidung, wo oft sechs Kollektionen jedes Jahr produziert und ausgeliefert werden, hat die Digitalisierung samt Remote Service für die Anlagen bereits eine längere Tradition – und könnte Vorbildfunktion haben. Schon vor Jahren wurden Konzepte für eine sichere und zuverlässige Datenübermittlung zu Materialien, Schnitten, Konfektionsmaßen, Transport- und Lagergrößen entwickelt und umgesetzt – international verständlich und gültig. Up- und downstream (Datenströme vom Lieferanten zum Kunden sowie vom Handel zum Hersteller oder Materiallieferanten) sind hier längst ein Standard, der Logistik und Produktion steuert. Im weiteren Sinne gilt dies für die Datenkommunikation über die gesamte Wertschöpfungskette.
Von diesem Niveau ist die „restliche“ Textilindustrie mit ihren Flächenerzeugungs-, Veredlungs- und kundenspezifischen Zulieferprozessen noch deutlich entfernt. Gründe dafür liegen, so FKT-Chef Jansen, in den „nahezu unendlich diversen Produkt-, Material- und Anwendungskombinationen“ sowie in den verschiedenen „Sprachen“ und Standards solcher textilen Anwendungsgebiete wie Automobil-, Gesundheits- und Bauindustrie. Gemeinsame Kommunikationsstandards für eine automatisierte Produktion zu finden, wird eine der Herausforderungen von Industrie 4.0 sein, digitales Engineering inklusive. „Das wird ein langer Weg“, ist Jansen überzeugt.
Prof. Meike Tilebein, die Chefin des DITF-MR am größten europäischen Textilforschungsstandort in Denkendorf, hat als Managementdienstleisterin seit Jahren „die rentable Produktion kundenindividueller Produkte“ im Auge. Weil die Herstellung von Bekleidung – viel stärker aber noch die Herstellung technischer Textilien und speziell von Faserverbunden – immer noch durch manuelles Zutun gekennzeichnet sei, stünden dabei anspruchsvolle Simulationsaufgaben ebenso ganz oben auf der To-do-Liste wie die Datenhaltung via „eTextiles“ im Produktionsprozess. Motto: Jedes Jackett soll selbst wissen, welchen Produktionsprozess es hinter sich hat…
In aktuellen Forschungsprojekten des DITF-MR gelte es ferner, die sich teilweise ständig ändernden Produktionsprozesse zu modellieren und „Intelligenz in die Maschine zu bringen“. Sie sind Teil der Innovationsallianz Baden-Württemberg. Mitentscheidend für den Erfolg von 4.0 sei zudem, „die daran beteiligten Menschen in den komplexen und flexiblen neuen Prozessen digital und flexibel zu unterstützen“, sagt Tilebein. Stichworte hier: mobile, tragbare Endgeräte, textilunterstützte Sensorik oder Augmented Reality (erweiterte Realität).
Da Baden-Württemberg mit seinen Branchenunternehmen mit Weltgeltung über ein einmaliges Know-how verfügt, hat das zuständige Wirtschaftsministerium das Denkendorfer MR-Institut mit der Studie „Strick 4.0“ beauftragt. Das Land verbindet damit die Erwartung an die beteiligten Unternehmen und Forschungseinrichtungen rund um das Technikfeld Stricken, neue Industrie-4.0-Erfolgsrezepte zu entwickeln als Antwort auf die „Konkurrenz aus dem asiatischen Raum, die hohen Standortkosten in Deutschland und die Globalisierung der Absatzmärkte“.
Vom Sächsischen Textilforschungsinstitut Chemnitz (STFI) aus nimmt das Industrie-4.0-Cluster „futureTEX“ Fahrt auf. Das BMBF-geförderte Projekt soll exemplarisch ein Zukunftsmodell für die Fortexistenz von Traditionsbranchen in einem Hochlohnland schaffen: wwww.futuretex2020.de
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