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Den Energiefressern auf der Spur

Reinraum-Klimaanlage: Verfahren misst Luftströme, Temperaturen, Feuchten und Drücke
Den Energiefressern auf der Spur

Wegen des enormen Luftmengenbedarfs und der hohen Aufbereitungsqualität der Luft zählt die Reinraumtechnik zu den großen industriellen Energieverbrauchern. Insofern lohnt es sich hier, nach Einsparpotenzialen zu fahnden. Ein Verfahren des Steinbeis-Transferzentrums Energie-, Umwelt- und Reinraumtechnik hilft dabei weiter.

Für die meisten Gebäude gibt es heute Regelwerke, mit denen sich über standardisierte Energiebilanzverfahren der Energiebedarf ermitteln lässt – und somit der Nachweis erbringen lässt, dass sie Grenzwerte einhalten. Bei Produktionsprozessen im Bereich der Reinraumtechnik sind sie allerdings nicht anwendbar. „Die Abstimmung der Prozesstechnik auf die Prozessanforderungen ist häufig so komplex und individuell, dass die Energieoptimierung nur nachrangig behandelt werden kann. Insofern kann eine Standardisierung bei der Reinraumfertigung meist nicht angewendet werden“, stellt Michael Kuhn klar, Leiter des Steinbeis-Transferzentrums Energie-, Umwelt- und Reinraumtechnik in Offenburg (STZ Euro).

Dennoch treibt das Thema die Verantwortlichen in den Unternehmen um. Kein Wunder: Der Energieverbrauch der Lüftungs- und Klimaanlagen für Reinräume kann bis zu 60 % des Gesamtenergiebedarfs der Reinraumproduktion betragen. Angesichts steigender Energiepreise und Verpflichtungen zur CO2-Emmisionsminderung suchen daher viele Betreiber nach Möglichkeiten der Optimierung. „Allerdings läuft die Inbetriebnahme der Klimaanlagen häufig unter hohem Zeitdruck und unter Bedingungen ab, die nicht den späteren Produktionsbedingungen und Witterungsverhältnissen entsprechen“, sagt Kuhn.
Wer Betriebsoptimierungsmaßnahmen an der Klimaanlage durchführt, steht allerdings oft vor einem Problem: Wenn nämlich eine Trennung zwischen den prozessbedingten und den Klimaanlagen-bedingten Energieströmen nicht möglich ist. Das heißt, es wird nur der Gesamtenergieverbrauch, also die Einspeisung ins Gebäude, gemessen. Anhand dieser Zählerdaten kann man somit nicht auf den Erfolg oder Misserfolg seiner Energiesparmaßnahmen an der Klimaanlage schließen, da die prozessbedingten Energieverbräuche stark von der Produktionsauslastung abhängen und zudem die Energieverbräuche der Klimaanlagen – beziehungsweise die Außentemperatur und der Außenluftwassergehalt – witterungsabhängig sind. Außerdem ist ein dokumentierter und nachvollziehbarer Nachweis über die eingesparten Energieströme notwendig.
Diese Punkte berücksichtigt das Verfahren des STZ Euro, das seit August vergangenen Jahres bereits bei einem Biotechnologie-Hersteller im Schweizer Kanton Basel zum Einsatz kommt. Von diesem Unternehmen hatten die zuständigen Behörden im Rahmen der Baubewilligung einen Nachweis über die Betriebsoptimierung der Klimaanlagen gefordert, der über einen Zeitraum von drei Jahren zu führen ist.
Das Verfahren, das nach Angaben von Kuhn ab einer Luftmenge von ca. 20 000 m3/h für Einzelanlagen wirtschaftlich sinnvoll anwendbar ist, umfasst die automatisierte Energiedatenerfassung der Anlagen, die Anlagensimulation auf Basis der erfassten Energiedaten und die Vorausberechnung des künftigen Energiebedarfs und der Energiekosten für die geplanten Energieeinsparmaßnahmen sowie den fortlaufenden Soll-Ist-Vergleich. Dies erfolgt unter Berücksichtigung beziehungsweise Bereinigung der Einflüsse durch Witterung und Produktionsauslastung auf die Energieverbräuche.
Dabei werden über einen Zeitraum von einem Betriebsjahr die relevanten Daten kontinuierlich erfasst und ausgewertet. Daraus ergeben sich der Ist-Zustand und die Datenbasis für die Anlagensimulation, mit der ein zusammen mit dem Anlagenbetreiber erarbeiteter und festgelegter Sollzustand berechnet werden kann.
Basis für das Verfahren bilden hochwertige Sensoren, deren Daten gesammelt und mit einer speziellen Software aufbereitet und analysiert werden. Die Qualität und Platzierung der zusätzlich installierten Sensoren ist laut Kuhn maßgeblich für die erreichbare Genauigkeit der Energieverbrauchsberechnung. So wurden beim Schweizer Biotechnologieunternehmen neben Sensoren, die Temperatur, Feuchte, Luftströme und Drücke messen, zusätzlich Differenzdruckaufnehmer für die Ventilatormessdüse und den Differenzdruck über den Ventilatoren an sieben Lüftungs-Zentralgeräten installiert. Um jegliche Beeinflussung von GMP-relevanten Daten und Funktionen ausschließen zu können, wurde ein von der Gebäudeleittechnik getrenntes System aufgebaut. Die Messdaten können im Sekundentakt erfasst und verdichtet werden. Diese werden einmal täglich an den PC des unabhängigen Offenburger Dienstleisters zur Bilanzierung und Auswertung übertragen.
Hauptvorteil des Verfahrens im Vergleich mit der Datenerfassung über Energiezähler ist die verfügbare Detailinformation über die tatsächlichen Luftströme, Temperaturen, Drücke und so weiter in der Anlage. „Energiezähler liefern bei korrekter Systemeinbindung zwar recht präzise die realen Energieverbräuche. Deren Bewertung ist aber nur möglich, wenn die mit dem neuen Verfahren ohnehin erfassten Daten zusätzlich erfasst und ausgewertet werden“, so Kuhn. Ein Soll-Ist-Vergleich auf Basis von Energiezählerdaten sei aufgrund der komplexen thermodynamischen Zusammenhänge allenfalls für den Stromverbrauch möglich. Bei der neuen Methode werden allerdings Hilfsenergieverbräuche und Wärmeverluste nicht erfasst. Bei den Energiezählern sind diese zwar enthalten, können aber nicht zahlenmäßig ausgewiesen werden. Kuhn: „Unser Schweizer Kunde hat im Vorfeld die Kosten beider Methoden miteinander verglichen. Dabei war die Datenerfassung, also Hard- und Software einschließlich Installation, über unsere Methode nur rund 1000 Euro teurer als die Variante mit den Energiezählern.“
Den Soll-Energiebedarf berechnet das STZ Euro durch Anlagensimulation unter Berücksichtigung der zulässigen Grenzwerte für Temperatur, Feuchte und gegebenenfalls Luftwechsel, der optimalen regelungstechnischen Betriebsweise sowie der geplanten Wirkungsgrade der Wärmerückgewinnung und der Ventilatoren. Dieser energieoptimale Zustand wird in den Folgejahren dynamisch anhand der realen Wetterdaten und – wenn erforderlich – anhand der Produktionsauslastung, also Wärmelast und Nutzungszeiten, aktualisiert.
Mit dem Verfahren ist es außerdem möglich, beliebige Überwachungsfunktionen in der Software zu hinterlegen, über die zeitnah und automatisiert die für die Energieeffizienz relevanten Größen kontrolliert werden. Bei Abweichung von vorher definierten Grenzwerten kann beispielsweise der Energiemanager über eine SMS benachrichtigt werden. Ein Beispiel: Wenn der Sollzuluftstrom für den Absenkbetrieb überschritten wird und es sich um einen Samstag oder Sonntag handelt, erhält er die SMS „Zuluftstrom zu hoch“.
Sabine Koll Journalistin in Böblingen
Industrieanzeiger
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