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Der EU-Beitritt ist für die Manager das Sahnehäubchen

EU-Osterweiterung: Positive Signale aus den Führungsetagen
Der EU-Beitritt ist für die Manager das Sahnehäubchen

Erst den EU-Beitritt, dann den Euro: Das wollen die meisten Manager in Ost und West. Doch einen dramatischen Wandel durch die Erweiterung wird es nicht geben, sind sich Experten sicher.

Von unserem Redaktionsmitglied Tilman Vögele-Ebering – tilman.voegele@konradin.de

Gespräche auf der Hannover Messe bestätigen: Die Erweiterung der Europäischen Union Richtung Mittel- und Osteuropa (MOE) kann kommen. Zumindest wenn es nach der Meinung der deutschen Führungskräfte in Unternehmen geht. Eine Studie belegt den Trend: Insgesamt 74 % der deutschen Manager beurteilen die EU-Osterweiterung positiv und erwarten Vorteile für ihr Unternehmen. Das ergab eine Umfrage des Münchener Consulting-Unternehmens Czipin & Proudfoot.
Befragt wurden 1200 Top-Entscheider in Deutschland, Frankreich, Österreich und England. Ähnlich zustimmend wie in der Bundesrepublik ist die Meinung in Österreich mit 73 % pro Beitritt. Eher zurückhaltend ist die Stimmung in Frankreich (63 %) und Großbritannien (54 %). „Die Distanziertheit der Briten und Franzosen ist hauptsächlich auf den fehlenden Kontakt zu ost-europäischen Ländern zurückzuführen“, kommentiert Alois Czipin, Geschäftsführer von Czipin & Proudfoot, die Ergebnisse. Deutschland und Österreich hätten als MOE-Nachbarn schon seit vielen Jahren enge Geschäftsbeziehungen und Kontakte gepflegt.
Erweiterung ist für die Geschäftsleute nicht zwingend
Das Geschäft mit den Nachbarländern ist Normalität. So bezeichnen trotz der allgemeinen Zustimmung nur 56 % der befragten Manager den EU-Beitritt als zwingend notwendig. Für fast jeden zweiten ist also die Mitgliedschaft des Handelspartners in der EU nicht essenziell.
Grund: Die Beitrittskandidaten, die gute Chancen auf eine Aufnahme haben, folgen einem festen Fahrplan Richtung EU, und die Geschäfte verlaufen bereits in geordneten Bahnen.
Beispiel Tschechien: „Allzuviel wird sich nach dem formalen Beitritt nicht ändern“, meint beispielsweise Daniela Johannsen, die Leiterin der deutschen Vertretung von Czech Invest in Köln. Die Agentur für Aus-landsinvestitionen betreut Unternehmen, die sich in der Tschechischen Republik niederlassen wollen. 2001 war wieder ein Rekordjahr bei den Direktinvestitionen für die Wirtschaftsförderer. Aber: „Die meisten ausländischen Unternehmen arbeiten schon seit über zehn Jahren bei uns“, betont die Investitions-Beraterin.
Schon jetzt integriert sich das Nachbarland in die Gemeinschaft. Zum Beispiel sind alle Investitionsanreize und Fördermittel für neue Investitionen mit der EU-Kommission in Brüssel abgestimmt. Nach dem Beitritt sollen dann jede Menge Übergangsregelungen für ein sanftes Zusammenwachsen zwischen Ost und West sorgen.
Dass das Zusammenarbeiten zwischen Deutschland und Tschechien Normalität ist, beweist eine Umfrage von Czech Invest. So halten 78 % der Tschechen ausländische Investitionen für nutzbringend. Geschätzt werden ausdrücklich die deutschen Arbeitgeber im Land. 73 % der Tschechen haben Vertrauen in die Firmen aus der Bundesrepublik Deutschland.
Nach dem derzeitigen Stand der Beitrittsverhandlungen werden in drei oder vier Jahren zehn neue Partner zum europäischen Verbund dazu-kommen. Insgesamt hatten sich 13 Kandidaten beworben.
Es haben sich vier Ländergruppen herausgebildet. Die erste: Die Mittelmeerländer Zypern und Malta sind praktisch beitrittsreif. Die drei baltischen Staaten, Polen, die Slowakei, die Tschechische Republik sowie Slowenien und Ungarn haben gute Beitrittschancen, wenn die von der EU geforderte Strukturmaßnahmen umgesetzt werden. Schlechter sieht es aus für Bulgarien und Rumänien – die dritte Gruppe. Rumänien erfüllt noch keines der geforderten Kriterien.
Eine Sonderrolle nimmt der Beitrittskandidat Türkei ein. Dort bemängelt die Kommission, dass das Land auf dem Weg zur Marktwirtschaft noch nicht weit vorangekommen sei. Außerdem würden trotz Verfassungsreform noch Menschenrechte verletzt.
Die meisten Wirtschaftsexperten, so auch im Osteuropa-Institut in München oder beim BDI, gehen davon aus, dass der Beitritt keinen wesentlichen Wachstumssschub auslösen wird, so wie noch vor Jahren gedacht. Die Liberalisierung zwischen West und den Top-Beitrittskandidaten sei schon weit fortgeschritten, beispielsweise beim Güter- und Kapitalverkehr sowie im Handel.
Positive Effekte erwarten die Wirtschaftsexperten langfristig dadurch, dass nichttarifäre Handelshemmnisse wegfallen. Ein Segen wird voraussichtlich, wenn die Grenzkontrollen abgeschafft werden. Dann sollen die legendären Lkw-Staus an den Grenzen zum Osten der Vergangenheit angehören.
So denken auch die Unternehmer. Viel werde sich nicht ändern, „aber etwas mehr Geschäft“ erhoffe er sich schon, meint beispielsweise Aivar Reivik, Geschäftsführer der Electro Mechanics Ltd Plant Volta aus dem estnischen Tallinn. „Ich kann jetzt schon Metall aus Russland importieren und Produkte in den Westen exportieren so viel ich will“, sagt der Chef des Stanzteil- und Elektrobauteil-Herstellers.
Seine wichtigsten Kunden sind Firmen vor der Haustür: in Skandinavien und dort vor allem im Euroland-Mitglied Finnland. Durch den EU-Beitritt und den Wegfall der Grenzkontrollen erwartet der Firmenchef dann doch etwas mehr Nähe zu Westeuropa. „Wir haben immer noch einen Lohnkostenvorteil“, erklärt Reivik seinen Wettbewerbsvorteil. Und das Interesse von deutschen Firmen an seinen Zulieferprodukten sei groß, wie die Hannover Messe gezeigt habe.
Eine große Mehrheit der Manager in Mittel- und Osteuropa fordert zudem, dass die gemeinsame europäische Währung eingeführt wird. Laut einer Studie der Bank Austria wollen 52 % der Top-Chefs ihre Zloty, Forint und Kronen lieber heute als morgen gegen Euros eintauschen. Weitere 41 % befürworten die Euro-Einführung nach einer Übergangsfrist.
Fast alle Chefs in MOE-Ländern wollen den Euro
Die Deutsche Bundesbank hingegen warnt vor einer übereilten Währungsunion. An erster Stelle müssten die Konvergenzkriterien erfüllt sein, um inflationären Tendenzen vorzubeugen: Das sind eine moderate Inflationsrate, stabile lang-fristige Zinssätze, ein geringes öffentliches Defizit sowie moderate Wechselkursschwankungen zum Euro.
Offen ist auch die Frage, wie sich die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen entwickeln wird. Denn auf der einen Seite lockt die Westfirmen ein riesiger MOE-Markt, auf der anderen droht Konkurrenz. Laut der Studie von Czipin & Proudfoot erhoffen sich über die Hälfte der befragten Unternehmer zwar Vorteile bei der Entwicklung der Lohnkosten. Dass der Beitritt sich auf das Produktivitätsniveau negativ auswirken könne, befürchten aber immerhin 24 % der deutschen Manager. In Österreich sind es gar 35 %.
Deshalb rät Unternehmensberater Czipin den Managern, sich rechtzeitig mit den Chancen und Risiken für das eigene Unternehmen aktiv auseinanderzusetzen. Er warnt vor Euphorie oder Pessimismus. Czipin: „Unternehmer sollten der EU-Erweiterung auf jeden Fall mit realistischen Erwartungen entgegensehen.“
Industrieanzeiger
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