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Der Feind im eigenen Haus

Wirtschaftskriminalität: So beugen Unternehmer vor
Der Feind im eigenen Haus

Wirtschaftskriminalität durch die eigenen Mitarbeiter ist so häufig wie nie. Viele Unternehmen haben Nachholbedarf beim Thema Sicherheit: Schon mit einfachen Maßnahmen könnten sich Inhaber vor Unterschlagung und Betrug schützen.

„Null Toleranz“, so lautet die Schlagzeile der jüngsten Ausgabe der Siemens-Mitarbeiterzeitschrift. Gebeutelt von den Vorfällen um Bestechung, Schwarze Kassen und Untreue geht der Konzern in die Offensive. „Siemens duldet kein ungesetzliches Verhalten“, lässt sich Vorstandschef Klaus Kleinfeld zitieren. Externe Experten prüfen Strukturen und Prozesse, ein Ombudsmann soll Hinweisen nachgehen, ein neuer Mann für die Innenrevision ist schon da.

Kriminalität als Problem der Konzerne? Mitnichten. Jeder fünfte Mitarbeiter klaut im Büro, hat die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) in einer Umfrage herausgefunden. Es ging um Kleinigkeiten, die stibitzt werden. Und dennoch ist es Diebstahl. Wenn er auffliegt, kann er die Kündigung bedeuten.
„Das Unrechtsbewusstsein ist häufig nicht mehr vorhanden“, beobachtet Manfred Lotze, Geschäftsführer der Detektei Kocks aus Düsseldorf, die sich auf Manager- und Mitarbeiterkriminalität spezialisiert hat. Er registriert „einen allgemeinen Werteverfall“, schon bei der Bewerbung werde häufig geschummelt (Nachgefragt S.16).
Delikte durch die eigenen Mitarbeiter werden zum Massenphänomen: Jedes zweite große deutsche Unternehmen war in den vergangenen drei Jahren Opfer wirtschaftskrimineller Handlungen. So lautet das Ergebnis einer aktuellen Studie der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft KPMG. Die Dunkelziffer sei hoch. „Auf jeden entdeckten kommen fünf nicht entdeckte Fälle“, schätzt Dieter John, KPMG-Partner und Leiter des Bereiches Forensic.
Je größer das Unternehmen, desto häufiger werden Diebstahl, Unterschlagung oder Spionage aufgedeckt. Die Kontrollmechanismen der Großunternehmen führen laut KPMG zu höheren Aufdeckungsraten. Alarmierend sei, dass die Zahl der zufällig entdeckten Delikte sprunghaft steigt, was Rückschlüsse auf das Ausmaß der Gaunereien zulässt. Knapp zwei Drittel der Delikte fliegen derzeit durch Kommissar Zufall auf. 1999 waren es nur rund 15 %. Dieter John: „Das ist eine dramatische Tendenz.“
Während bei den Chefs die Theman IT-Sicherheit und Cyber-Kriminalität ganz oben stehen, sind für die meisten Schäden klassische Vermögensdelikte verantwortlich. Diebstahl, Unterschlagung, Untreue oder Betrug machen vier von fünf Fälle aus. Seltener sind die Delikte, die eine bestimmte Stellung voraussetzen, wie Korruption, Wettbewerbsdelikte sowie Produktpiraterie. Das Top-Management war für 2 % der Fälle verantwortlich, verursachte aber die größten Schäden.
Grundsätzlich wird jede Hierarchiestufe zum Täter. Zwei spektakuläre Beispiele aus der Vergangenheit: Der Bank-Manager Nick Leeson verschleierte Spekulationsverluste in Höhe von 1,4 Mrd. US-$ und trieb seinen Arbeitgeber in den Ruin. Bei Hewlett-Packard in Böblingen entwendete andererseits in den 90er-Jahren eine Teilzeitkraft Speicherplatten im Wert von 50 Mio. Euro – und betrieb einen schwunghaften Handel mit Elektronik-Bauteilen. Im vergangenen Jahr war die Öffentlichkeit ob der erneuten Bestechungsskandale in der Automobilbranche schockiert. Besonders kurios: Ein OEM-Einkäufer presste seinem Systemzulieferer sogar einen hoch dotierten Job für die Freundin ab.
„Einen absoluten Schutz gegen Wirtschaftskriminalität gibt es nicht“, räumt KPMG-Fachmann John ein. Es gebe lediglich Ansatzpunkte, um dem Risiko vorzubeugen. „Früherkennung und systematische Prävention müssen Chefsache werden“, fordert er. Experten wundern sich, dass gerade im Mittelstand nicht einmal die einfachsten Regeln beachtet und Vorkehrungen gegen kriminelle Mitarbeiter getroffen werden:
  • Stellenbewerber, Arbeitszeugnisse und Lebenslauf genau prüfen
  • Vier-Augen-Prinzip in sensiblen Bereichen
  • Regelmäßige Inventuren, um Abweichungen festzustellen
  • Stichproben, um Geschäftsvorfälle zu prüfen
  • Stimmigkeit des Lebensstils der Mitarbeiter im Auge behalten
  • Regelmäßige Revision
  • Gute Atmosphäre schaffen und für angemessene Entlohnung sorgen.
Das Versicherungsunternehmen Euler-Hermes hat 9000 Fälle von versicherten Vertrauensschäden untersucht. Ergebnis: Zwei Drittel der unehrlichen Mitarbeiter sind männlich. Mit zunehmendem Alter sinkt die Schadenhäufigkeit. Ein Drittel der Schäden entsteht durch Mitarbeiter unter 30, ein weiteres Drittel durch Angestellte zwischen 30 und 40 Jahren. Je länger die Betriebszugehörigkeit, desto seltener ist Kriminalität. Ein schwacher Trost: Denn wenn ein langjähriger Mitarbeiter in die eigene Tasche wirtschaftet, sind die Schäden umso höher. Experten nennen mehrere Gründe für die wachsende Kriminalität in Unternehmen: unsichere Jobs, Anonymität in Konzernen, fehlende Identifikation, wenig Kontrollinstanzen in schlanken Strukturen.
„Gerade bei Mittelständlern gibt es große Sicherheitslücken“, beobachtet Dr. Berthold Stoppelkamp, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft für Sicherheit in der Wirtschaft e.V (ASW). Mittelständische Chefs sprechen nicht gern über das Thema. „Wenn etwas vorfällt, möchte man ungern zugeben, dass das eigene Fehlverhalten dazu beigetragen hat“, erklärt der Sicherheitsexperte. Stoppelkamp rät dazu, einen Mitarbeiter in der Firma zu benennen, der sich nebenamtlich mit Sicherheitsfragen beschäftigt – damit das Thema nicht in Vergessenheit gerät. Für Tipps und Kontakte empfiehlt er, die regionalen Sicherheitsverbände anzusprechen, die dem Dachverband ASW angeschlossen sind.
Ein Problem ist es für Unternehmer stets, im Zuge der Prävention alle Mitarbeiter – auch die ehrliche Mehrheit – einem Generalverdacht unterziehen zu müssen. Doch genau dazu rät Unternehmensberater Roger Odenthal, Autor des Buches „Tatort Arbeitsplatz“. Ein verantwortungsbewusstes Management entziehe sich diesen Ungerechtigkeiten nicht durch Untätigkeit. Sein Tipp: „Zuverlässige Mitarbeiter erwarten Kontrollen als Belohnung für regelkonformes Verhalten.“
Dass vor Dieben aus dem eigenen Haus kein Produkt sicher ist, zeigte vor kurzem ein kurioser Fall in Hamburg. In der Holsten-Brauerei gelang es organisierten Dieben, über ein Jahr hinweg 60 Hektoliter Bier zu unterschlagen. Die simple Masche: Die Mitarbeiter beluden die Bierlaster mit mehr Paletten als auf dem Ladeschein ausgewiesen – bis das irgendwann auffiel. Der Unternehmer schaut trotzdem in die Röhre. Über den Verbleib des Gerstensaftes ist nichts bekannt.
Tilman Vögele-Ebering tilman.voegele@konradin.de
Cyber-Kriminalität meist ein Gespenst
Ehrliche Mitarbeiter akzeptieren Kontrollen

„Viele Täter schummeln schon vorher“

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Nachgefragt

Herr Lotze, warum nimmt die Kriminalität durch Mitarbeiter zu?
Es ist der allgemeine Werteverfall, das Unrechtsbewusstsein ist häufig nicht mehr vorhanden. Wir erleben das in der täglichen Praxis: Viele Täter haben schon beim Bewerbungsverfahren geschummelt, und das ist oft der Beginn einer kriminellen Karriere.
Kommen die Täter aus einer besonderen Hierarchiestufe?
Wir sprechen ausdrücklich von Manager- und Mitarbeiterkriminalität. Der Vorgesetzte kann häufig leichter zum Täter werden, denn er ist meist selbst die Kontrollinstanz und gerät leichter in Versuchung.
Was sind sonst die Motive?
Nach meinen 40 Berufsjahren als Wirtschaftsermittler erlebe ich immer wieder die Gier als Motiv Nummer eins. Die Mitarbeiter handeln nicht aus einer richtigen Notlage heraus. Gründe sind die Versuchungssituation, die fehlende Aufsicht und Kontrolle sowie eine Mitnahmementalität.
Was tun?
Möglichst präventiv wirken, das heißt Sicherheit spürbar machen und Aufsicht und Kontrolle schon im Bewerbungsverfahren praktizieren. Damit reduzieren die Verantwortlichen einen Teil der Gelegenheitsdelikte. Gegen Profi-Ganoven müssen andere Mittel her: Wir verfügen über ein Reportoire, um die Prävention zu unterstützen: Bewerber-Überprüfung, Schwachstellen-Analyse und Sicherheitsberatung, Einkäufer-Loyalitäts-Test. Wir werden leider fast immer erst gerufen, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Für den Arbeitgeber ist das dann eine Blamage: Er hat ja jemanden eingestellt, der sein Vertrauen missbraucht hat. tv
Checklisten, Infos und Seminare: www.detektive-kocks.de

Kosteneffizienz
Der Einsatz eines Detektives gegen Mitarbeiterkriminalität lohnt sich in den meisten Fällen. Bei einem Anfangsverdacht liegt der Chef in neun von zehn Fällen richtig, berichten Ermittler. Ist der Täter überführt, kann ihn das Unternehmen zudem in Regress nehmen.

Checkliste: Auf Nummer sicher
Allgemein: Hat Ihr Unternehmen eine
hohe Mitarbeiterfluktuation?
Diebstahl: Liegt Ihre Inventurdifferenz höher als der Branchenschnitt?
EDV-Manipulation: Fehlen in Ihrem Unternehmen Vorkehrungen im internen und externen Datenverkehr (z.B. Firewall, Verschlüsselungen)?
Geheimnisverrat: Weiß Ihre Konkurrenz mehr über Sie, als Sie dürfte?
Vorgetäuschte Krankheiten: Sind die Fehlzeiten in Ihrem Unternehmen höher als der Branchenschnitt?
Vertragsverstöße und Prozessrisiken: Haben Sie Probleme, Vertragsverstöße nachzuweisen beziehungsweise sie vor Gericht zu beweisen?
Außendienstschlendrian und Abrechnungsbetrug: Liegen die Produktivitätskennziffern der Außendienstmitarbeiter unter dem Durchschnitt?
Markenpiraterie: Erleiden Sie ungewöhnliche regionale Absatzverluste?
Sabotage/Erpressung: Wurden Mitarbeiter bei Beförderungen übergangen? Nehmen Betriebsstörungen auffällig zu? Gibt es öffentliche Konfliktpotenziale mit Interessengruppen?
Rufmord: Erleiden Sie ungewöhnliche regionale Absatzverluste, die auf Gerüchte zurückgeführt werden können?
Forderungsausfälle: Vermuten Sie bei eigentlich zahlungsunfähigen Kunden noch Zahlungsreserven?
Einkäuferkorruption: Kaufen Ihre Konkurrenten billiger ein als Sie?
Mitarbeiterloyalität: Zweifeln Sie an der Ehrlichkeit von Mitarbeitern?
Quelle: Detektive Kocks
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