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Der Nachwuchs darf täglich den Kunden zeigen, was er kann

Lernfabrik: Alle Unternehmensprozesse im Kleinen
Der Nachwuchs darf täglich den Kunden zeigen, was er kann

In einer so genannten Lernfabrik lernen Auszubildende technische Berufe prozessorientiert und praxisnah. Mittel- und langfristig ist das Konzept eine gute Investition in die Zukunft, wie das Beispiel des Metallverarbeiters H. P. Kaysser zeigt.

Sabine Krell ist Journalistin in Ditzingen bei Stuttgart

Thomas Kaysser tritt in den Eingangsbereich seines Unternehmens, um seinen Besuch abzuholen. Der Unternehmer hat sich wieder einmal Zeit genommen, um seine Lernfabrik vorzustellen. Seit ihrer Einweihung im Juni vergangenen Jahres hat diese Abteilung großes Interesse bei Presse und Kunden geweckt.
Er öffnet die Tür zu den Produktionshallen, geht einige Meter über die sauber gefegten Wege. „Die Lernfabrik steht im Herzen unserer Fertigung“, erklärt Kaysser, „hier bilden wir alle wesentlichen betrieblichen Prozesse im Kleinen ab, damit unsere Lehrlinge eine hohe Eigenverantwortlichkeit bekommen und lernen, was eine schlanke Organisation ist.“
Der 48-jährige Chef der H.P. Kaysser GmbH + Co. in Nellmersbach bei Stuttgart steuert auf einen Arbeitsplatz in einer Ecke der Abteilung zu. Dort sitzt an einem CAD-Arbeitsplatz Horst Klenk, den er vor vier Jahren als Ausbildungsmeister einstellte und mit dem er die neue Lernfabrik detailliert geplant, organisiert und vorbereitet hat.
Klenk erklärt gemeinsam mit Christoph Bauer, einem angehenden Konstruktionsmechaniker im dritten Lehrjahr, wie sie einen Kundenauftrag in der richtigen Qualität und termingerecht in der Lernfabrik bearbeiten. Der 20-Jährige ist einer von derzeit 18 Auszubildenden. Er zeigt Computerausdrucke aus der Betriebsdatenerfassung (BDE), Bauteilelisten, Fertigungsbegleitlisten. „Wenn der Kunde eine Zeichnung bringt, erstellen wir ein Angebot und legen den Auftrag an“, erklärt er. Und wo nötig, werde eine CAD-Zeichnung erstellt, ergänzt Ausbildungsmeister Klenk.
Dieser ist gemeinsam mit einem Facharbeiter ausschließlich für die Lernfabrik da. „Ich wüsste nicht, dass es noch eine andere Firma gibt, wo es so gemacht wird, wie bei uns“, überlegt er. Am Ende der Ausbildung soll „jeder alles können“, wie Klenk erläutert: vom ersten Kundenkontakt über die komplette Kalkulation, die Fertigung, Oberflächenbearbeitung, Qualitätskontrolle, Nachkalkulation und bei Bedarf auch bis zum Außentermin.
Firmenchef Thomas Kaysser steht bei seinen Auszubildenden. Der diplomierte Maschinenbauer und Wirtschaftsingenieur lässt sich mehrere Werkstücke zeigen. Robert Vodopija ist im ersten Lehrjahr und damit in der Grundausbildung, die er nun komplett bei Kaysser in der Lernfabrik absolvieren kann. Er muss nicht wie seine Vorgänger nach Grunbach in das IHK-Bildungshaus.
Der 19-Jährige hat eine Feile in der Hand und konzentriert sich auf das Stück Stahl, das er in den Schraubstock eingespannt hat. „Wir haben jetzt schon im ersten Lehrjahr Aufträge erledigt“, erklärt der angehende Zerspanungsmechaniker und verdeutlicht: „Was wir herstellen, wird nicht weggeworfen.“ Horst Klenk hält prüfend das Werkstück in die Höhe. „Die Fläche ist o.k.“, urteilt der 43-jährige Ausbilder. „Nur noch hier etwas wegfeilen, damit es im Winkel ist“, rät er. Der junge Mann spannt sein Werkstück wieder ein und setzt die Feile an.
Fast alle Einrichtungsgegenstände und Maschinen der Lernfabrik haben die Auszubildenden selbst hergestellt oder für ihre Belange eingerichtet. Klenk zeigt auf den Schubladencontainer, in dem einige der 360 Kundenaufträge abgelegt sind, die seit dem Start der Lernfabrik gefertigt wurden: „Der kleinste lag bei 15 Euro, der größte bei 12 500.“ An einem dieser Aufträge arbeitet Walter Dainer. Der 20-jährige Konstruktionsmechaniker mit Schwerpunkt Feinblechtechnik ist im dritten Lehrjahr.
Er steht an der Gesenkbiegepresse – eine von insgesamt zehn Maschinen der Lernfabrik, darunter eine Stanze, ein Nibbler, eine Flachbett-Laserschneidmaschine, Dreh-, Fräs- und Bohrmaschinen. Alle sind sie der Kostenstelle der rund 550 m² umfassenden Abteilung zugeordnet. Hinzu kommen Schweiß-, Mess- und Anreißplätze, Scheren sowie der CAD-Arbeitsplatz.
Die Presse senkt das Werkzeug in den Edelstahldeckel, den der Lehrling angelegt hat und der letzte von vier 90°-Außenwinkeln entsteht. „Früher konnte man nur rumstehen und zuschauen. Jetzt kann ich selbst an die Maschine“, sagt Lehrling Dainer und blickt auf. Er arbeitet an einem richtigen Serienauftrag, 500 Stück. „Das ist aber nicht die Regel“, ergänzt Meister Klenk. Normal seien kleine Serien mit maximal zehn Stück.
Kleinserien, Prototypen, Muster gibt es viele bei Kaysser, der mit einer sehr hohen Fertigungstiefe rund 6500 verschiedene Produkte herstellt, die Einzelanfertigungen nicht mitgezählt. Alle Aufträge werden über BDE erfasst und den Kostenstellen zugerechnet. Jeden Monat erhält Firmenchef Kaysser eine Auswertung.
Er schlägt mit der Lernfabrik zwei Fliegen mit einer Klappe. „Unsere Lehrlinge lernen anhand unterschiedlichster Einzelteile den Kunden schnell und effizient zu bedienen.“ Damit bearbeiten sie laut Kaysser 5 % der Aufträge des Unternehmens. „Sie haben eine hohe fachliche Kompetenz für genau unseren Bedarf und erwirtschaften dabei 60 Prozent ihrer Kosten“, verdeutlicht der Firmenchef. Das sind 60 % von 20 000 Euro, die der Hauptgesellschafter des Familienunternehmens in zweiter Generation an monatlichen Kosten für die neue Abteilung veranschlagt. Etwa 50 000 Euro hat er für die Einführung plus rund 150 000 Euro für zusätzliche Einrichtungen benötigt, ohne die Maschinen, die er aus der Fertigung abgezogen hat.
„Betriebswirtschaftlich kann man es nicht auf Heller und Pfennig rechnen“, erklärt Kaysser. „Für mich ist es eine große Investition für die mittlere und ferne Zukunft“, sagt er und verweist auf Jugendarbeit und soziale Verantwortung, die in dem Familienunternehmen schon immer eine große Rolle gespielt haben. Dabei sei die Ausbildung immer primär, der Umsatz innerhalb der Lernfabrik sekundär. Kaysser: „Deshalb ist Ausbildung bei uns Chefsache.“
Aus diesem Grund stehen keine abgeschriebenen Maschinen in der Lernfabrik sondern moderne. Es gibt eine Kapazität von nunmehr 20 Ausbildungsplätzen statt zehn vor vier Jahren, und es gibt jetzt Ausbilder Horst Klenk. „Die soziale und technische Kompetenz unserer Auszubildenden würde ich mit eins plus bewerten und auch die Kunden sind sehr zufrieden“, beschreibt Thomas Kaysser den Erfolg der neuen Abteilung. Sein Urteil: „Meine Erwartungen sind mehr als erfüllt.“
Lernfabrik schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe
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