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Der sanfte Übergang in die Rente birgt Gefahren

Altersteilzeit: Unternehmer müssen vorsorgen
Der sanfte Übergang in die Rente birgt Gefahren

Der Berufsausstieg auf Raten ist die Wunschvorstellung von vielen Mitarbeitern. Doch der Unternehmer muss vorsorgen: Denn ohne Insolvenzsicherung können Zeitguthaben für Mit-arbeiter zum unkalkulierbaren Risiko werden.

Brigitte Thurn ist Journalistin in Köln

Flexible Arbeitszeitsysteme liegen im Trend: Bereits 40 % der Beschäftigten in Deutschland hatten nach Erhebungen des Ifo-Instituts in Köln 2001 ein Arbeitszeitkonto. Besonders prall gefüllt sind die Zeitguthaben bei einem Altersteilzeitvertrag. Die meisten Beschäftigten entscheiden sich für das so genannte Blockmodell. Bei durchgängiger Zahlung des Teilzeitentgelts leisten sie in der ersten Phase Vollzeitarbeit und sind im zweiten Abschnitt freigestellt. Auf den Zeitkonten lagert in vielen Fällen ein Plus von einem ganzen Arbeitsjahr und mehr.
In über 700 Tarifverträgen ist die Altersteilzeit geregelt. Die Abschlüsse gelten für immerhin 16,2 Millionen Beschäftigte, von denen – so die Bundesanstalt für Arbeit – 1,7 Millionen zur Zeit bereits über 55 Jahre alt sind, und somit zur Zielgruppe gehören. Zum 31. März waren bei der BfA 58 000 Mitarbeiter in Altersteilzeit gemeldet, aber diese Zahl ist nur ein Anhaltspunkt. „Unternehmen beantragen die von der BfA gezahlte Förderung erst zum Zeitpunkt der Wiederbesetzung der Stelle, also zu Beginn der Freistellungsphase“. erklärt Michael Schmitz von der BfA. „Die uns vorliegenden Anträge auf Vorausentscheid deuten daraufhin, dass das Potenzial beträchtlich höher ist.“
Mitarbeiter gehen davon aus, dass ihr Guthaben sicher ist
Mitarbeiter gehen davon aus, dass ihr zum Teil über Jahre hin angespartes Guthaben aus Gehalt und Sozialversicherungsbeiträgen sicher ist. Doch sie könnten sich täuschen. Arbeitszeitkonten sind Kredite der Beschäftigten an den Arbeitgeber – und im Insolvenzfall sind die Außenstände stark gefährdet. Ein beunruhigender Zustand angesichts der größten Pleitewelle der Nachkriegszeit: In der ersten Hälfte dieses Jahres werden laut Vereine Creditreform 18 800 Unternehmen zahlungsunfähig – 25,2 % mehr als im gleichen Vorjahreszeitraum. Das Insolvenzgeld des Arbeitsamtes deckt nur die Lohn- und Gehaltsansprüche der letzten drei Monate vor der Pleite; Rückstellungen in der Bilanz eines Unternehmens sind keine Sicherung, weil sie Teil der Insolvenzmasse sind.
Auch das Gesetz zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen von 1998, das so genannte Flexi-Gesetz, schützt Mitarbeiter nicht vor Verlusten. Der Paragraph 7a SGB IV fordert Arbeitgeber und Arbeitnehmer lediglich auf, „Vorkehrungen“ zu treffen, um die Guthaben zu sichern, schreibt aber keine obligatorische Insolvenzsicherung vor. Sanktionen für den Fall, dass man sich nicht einigt sind nicht vorgesehen.
„Das Gesetz ist nach wie vor ein zahnloser Tiger“, erklärt Marc Schietinger vom Institut Arbeit und Technik (IAT) im Wissenschaftszentrum NRW, „es ist zwar eine Muss-Vorschrift, aber Verstöße bleiben folgenlos.“ Allerdings habe der Druck der Gewerkschaften bewirkt, dass man sich in manchen Branchen mit dem Problem befasst. Mit einigem Erfolg: Knapp 300 Tarifverträge kennen Maßnahmen zur Insolvenzsicherung.
„Es sind nur eine Handvoll Anbieter, die auf diesem Nischenmarkt agieren,“ informiert Marc Schietinger. So werben etwa Commerzbank, HypoVereinsbank, Nord/LB und die Versicherungsgruppe Allianz für Produkte zur Sicherung der Zeitguthaben.
Eine Standardlösung zur Insolvenzsicherung gibt es nicht. Die großen Konzerne haben aber schon vorgesorgt. Die Altersteilzeitverträge der Thyssen-Krupp AG beispielsweise enthalten die Garantie, die Ansprüche der im Stammhaus und in den Tochterunternehmen Beschäftigten zu befriedigen. Hundertprozentigen Schutz bieten aber auch solche Konzernklauseln nicht. Sollte irgendwann einmal ein Insolvenzantrag gestellt werden müssen, könnten auch die Mitarbeiter finanzielle Verluste erleiden.
Die Hochtief AG hat die Arbeitszeitkonten der Beschäftigten durch Verpfändung von Wertpapieren gesichert. Der Kurs dieser Papiere wird alle sechs Monate überprüft und gegebenenfalls angepasst. Die VW AG hat fünf risikoarme Investmentsfonds auflegen lassen, an denen sich die Mitarbeiter beteiligen können, indem sie einen Teil des Gehalts, Mehrarbeit oder Zeitguthaben in Zeit-Wertpapiere umwandeln. Bei Hewlett-Packard werden die Lohnguthaben in externe Fonds eingezahlt.
Es ist ein grundsätzliches Problem der Insolvenzsicherung, dass viele Modelle an den Firmen vorbei gehen, die es nötig hätten. Konzernklauseln können nur in Großunternehmen vereinbart werden. Flächendeckend und branchenübergreifend anwendbar ist allein das Fondsmodell. Allerdings bleibt auch bei schwankungs-armen Anlagen wie Geldmarkt- oder Rentenfonds immer ein Restrisiko. Gefahrlos für Arbeitnehmer sind Fondslösungen nur dann, wenn das Unternehmen garantiert, mögliche Kursverluste zeitnah aufzufangen.
Bei der Absicherung der Zeitguthaben stehen die Vertragspartner letztlich vor der gleichen Entscheidung wie ein Privatanleger: Soll das Geld in jedem Fall sicher aufgehoben sein, oder ist man bereit, ein höheres Risiko einzugehen? In der Kieler IBAK Helmut Hunger GmbH & Co. KG stellte sich diese Frage im Grunde nicht. „Wir haben 1999 mit unserer Bank ein Festgeldmodell entwickelt“, erklärt Karsten Bauer: „Diese sichere Anlageform entspricht unserer Firmenphilosophie.“
Momentan nutzen vier der 169 Mitarbeiter der High-Tech-Firma das Blockmodell der Altersteilzeitregelung. „Gegen Fonds-Anlagen haben wir uns entschieden, weil wir wirklich jedes Risiko ausschließen wollten“, erläutert der Personalchef und betont: „Natürlich kann man mit Festgeld nicht die hohen Renditen erzielen, mit denen Fondsaufleger werben, aber dafür macht man auch keine Verluste.“
Einbußen sollen die Altersteilzeitler bei IBAK auch dann nicht erleiden, wenn sie länger als sechs Wochen krank werden. Karsten Bauer: „Unsere Betriebsvereinbarung sieht vor, dass in einem solchen Fall der Betrag, den die Kassen dem Mitarbeiter dann nur noch zahlen, wieder auf 82 % des vollen Lohns aufgestockt wird.“ In der Altersteilzeit sei das Gehalt oft knapp kalkuliert. „Da müssen sich die Mitarbeiter darauf verlassen können, dass sie keine zusätzlichen Abstriche machen müssen.“
So sichern Unternehmer: Arbeitszeitkonten für Beschäftigte
Fondslösungen:
Das Modell dient vor allem zur Sicherung von Altersteilzeitansprüchen. Der Betrieb eröffnet für den Beschäftigten ein Depotkonto und zahlt darauf die Beträge ein, die der Mitarbeiter verdient, aber nicht ausgezahlt bekommen hat – inklusive der Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung.
Beschäftigter und Arbeitgeber treffen eine Verpfändungsvereinbarung über die eingezahlten Fondsanteile. Sie stellt sicher, dass der Betrieb nur mit Einverständnis des Beschäftigten über das Depot verfügen kann. Im Falle einer Insolvenz zahlen Kapitalanlagegesellschaft und Versicherung aus den Depotmitteln das Gehalt des Angestellten und führen auch die Sozialabgaben ab.
Kautionsversicherungen:
Eine Versicherung bürgt im Insolvenzfall für die Zeitguthaben der Beschäftigten. Das Unternehmen zahlt die Versicherungs-
prämie, muss aber nur 25 % des versicherten Kapitals vorschießen. Diesen Liquiditätsvorteil erhalten nur Firmen, die eine vor Vertragsabschluss fällige und bei hohen Summen jährlich erforderliche Bonitätsprüfung bestehen.
Bankbürgschaften:
Ein Geldinstitut bürgt – ebenfalls nach einer Bonitätsprüfung – für die Zeitguthaben der Beschäftigten. Da auch die Sozialversicherungsabgaben abgedeckt sein müssen, dürften die Kosten deutlich über denen einer normalen Kreditaufnahme liegen. Nachteilig ist auch, dass die Bürgschaftssumme auf die Kreditlinie des Unternehmens angerechnet wird.
Lebensversicherungen:
Diese Sicherungsform ist bisher am wenigsten erprobt. Der Beschäftigte hat keinerlei Risiko, da er in dem Versicherungsvertrag „unwiderruflich“ als Bezugsberechtigter eingetragen ist, aber er muss nach geltendem Recht jedes Jahr Steuern für Beträge zahlen, die auf den Konten der Versicherung zwischengelagert sind.
Industrieanzeiger
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