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Der Schmied greift zur Maus statt zum Hammer

Modernisierungsprozess verbessert Verfahren und Werkstoffe
Der Schmied greift zur Maus statt zum Hammer

Der 14. Internationale Schmiedekongress in Wiesbaden machte deutlich, dass sich die traditionsreiche Schmiede-Branche vom empirischen Handwerk zur automatisierten Großtechnologie entwickelt.

Dipl.-Ing. Klaus Vollrath ist Journalist in Herne

Rund 300 Schmiedefachleute aus aller Welt trafen sich kürzlich in Wiesbaden zum 14. Internationalen Schmiedekongress. Die Veranstaltung zeigte, dass sich in der Branche derzeit ein umfassender Modernisierungsprozess vollzieht, der zu Verbesserungen bei Werkstoffen und Verfahren führt. Dies wiederum ermöglicht Fortschritte in wichtigen Schlüsselbranchen, beispielsweise bei der Energieerzeugung.
Dass es bei Schmiedeteilen oft um technische Spitzenprodukte geht, lässt schon der Preis erkennen: Ein Ring für die Brennkammern von Flugzeug-Triebwerken mit einem Gewicht von 8 kg kostet die Kleinigkeit von rund 16 000 DM. Geschmiedet sind auch die Gehäuse der Turbopumpen großer Trägerraketen, die beim Start riesige Mengen an Treibstoff in extrem kurzer Zeit gegen den Verbrennungsdruck in die Triebwerke pressen müssen.
„Die beiden Beispiele zeigen, dass viele der Annehmlichkeiten der technischen Zivilisation auf den Vorzügen geschmiedeter Teile beruhen“, sagt Dipl.-Ing. Arno Frank, Hauptabteilungsleiter Umformtechnik beim Verein Deutscher Eisenhüttenleute (VDEh) in Düsseldorf. Doch leider werde das Bild der Branche, die solche High-Tech-Komponenten anfertigen könne, vielfach noch immer von nostalgischen Assoziationen mit dörflicher Hufschmied-Idylle bestimmt. Dabei sehe die Wirklichkeit ganz anders aus. Die Abläufe in der Freiformschmiede oder im Ringwalzwerk würden zunehmend von modernen Computersystemen, ausgefeilter Software und hochmoderner Anlagentechnik bestimmt.
„Dass Freiformschmiede bis vor wenigen Jahren manchmal eher als Handwerker denn als Wissenschaftler angesehen wurden, liegt ironischerweise gerade daran, dass unsere Prozesse viel komplizierter sind als bei vielen anderen industriellen Verfahren“ erklärt Dr.-Ing. Hans-Joachim Wieland, Abteilungsleiter Werkstofftechnik beim VDEh. Gerade die extreme Komplexität der beim Schmieden ablaufenden Vorgänge hat deren numerische Modellierung erst in den letzten Jahren möglich gemacht. Hinzu kommt, dass die erforderliche Rechenkapazität erst seit kurzem zu ausreichend niedrigen Kosten zur Verfügung steht. Erst diese Fortschritte bei Hard- und Software erlauben es nun, Schmiedevorgänge mit vertretbarem Aufwand am Computer nachzuvollziehen. Damit wandelt sich das Freiformschmieden zum modernen Near-Net-Shape-Verfahren, das mit Hilfe rechnergesteuerter Anlagen reproduzierbare und dokumentierte Qualität erzeugt.
„Freiformschmieden fertigen meist maßgeschneiderte Einzelstücke oder Kleinstserien“, erläutert Arno Frank. „Da dürfen keine Fehler passieren, denn wenn eine Edelstahl-Kurbelwelle mit einem Gewicht von 38 Tonnen verschrottet werden muss, geht es um rund eine halbe Million Mark Schaden.“ Die Computersimulation sei ein hervorragendes Instrument, um die Abläufe vorab zu untersuchen, noch bevor der Rohling in den Ofen geschoben werde. Dabei versuche man, den gesamten Fertigungsprozess vom Gussblock über das Erwärmen und Schmieden bis zur anschließenden Wärmebehandlung und Bearbeitung abzudecken. „Auf diese Weise lassen sich nicht nur Fehler vermeiden. Auch die Anlagenleistung kann durch Ermitteln optimaler Prozessparameter gesteigert werden“, so Arno Frank.
Die Entwickler arbeiten intensiv daran, die Bedienung der entsprechenden Programmsysteme so zu vereinfachen, dass auch Mitarbeiter aus der Produktion damit umgehen können. Im modernen Schmiedebetrieb sind viele Anlagen bereits jetzt nicht mehr ohne Kenntnisse der Computertechnik zu bedienen. Der moderne Schmied greift heute schon eher zur Maus statt zum Hammer.
Um entsprechende Simulationen praktische Realität werden zu lassen, muss auch die Anlagentechnik auf eine neue Stufe gehoben werden. „Bevor die riesigen Kräfte der Schmiedepresse auf das Werkstück losgelassen werden, sollten die Verhältnisse im und am Teil möglichst präzise bekannt sein“, ergänzt Arno Frank. Dies erfordere hochspezialisierte Messtechniken, da die Maße und eventuell sogar die Form des Schmiedestücks bei sehr hohen Temperaturen erfasst werden müssen. Diese Daten werden zusammen mit der Zielkontur, den Werkstoffkennwerten sowie einigen weiteren Vorgaben im Rechner verarbeitet. Dieser kann anschließend im Verlauf des Schmiedevorgangs den Schmiedeplan automatisch korrigieren.
Auch die Abläufe in der Schmiedepresse selbst werden zunehmend mit Hilfe von Sensorik und Messtechnik überwacht. Dies ist Voraussetzung für eine detaillierte Dokumentation des Fertigungsprozesses gegenüber dem Kunden und ermöglicht darüber hinaus Verbesserungen der dynamischen Eigenschaften sowie der Genauigkeit von Presse und Manipulator durch den automatisierten Vergleich von Soll- und Ist-Daten. Wesentliche Fortschritte gebe es auch beim Automatisieren der prozessbegleitenden Ultraschall-Fehlerprüfung.
„Deutliche Verbesserungen gibt es auch bei den Werkstoffen, beispielsweise im Kraftwerksbereich“, sagt Hans-Joachim Wieland. „Bei Dampf-Großkraftanlagen erspart jeder Bruchteil eines Prozents an Verbesserung des Wirkungsgrads etliche Tonnen an sogenannten Klima-Gasen und Schadstoffen sowie erhebliche Kosten.“
Entscheidender Hebel für einen gesteigerten Wirkungsgrad seien Temperatur und Druck des in die Turbine eintretenden Dampfs. Bis vor wenigen Jahren galten Temperaturen von etwa 540 °C und Drücke von 180 bar als Obergrenze. Im Rahmen umfangreicher Forschungsprojekte gelang es inzwischen, warmfeste Turbinenwerkstoffe zu entwickeln, die Temperaturen von 650 °C und Drücke von 300 bar aushalten. Dadurch lässt sich im Ergebnis der Wärmeverbrauch um bis zu 8 % und der als klimaschädlich eingestufte CO2-Ausstoß sogar um 20 % reduzieren.
Weitere Forschungsprojekte verfolgen das Ziel, die Dampfeintrittstemperaturen auf über 700 °C zu steigern. Dies erfordert jedoch den Übergang zu Nickel-Basis-Werkstoffen, die besonders hohe Anforderungen an die Produktion und die Verarbeitungsverfahren stellen.
Freiformschmieden in Deutschland
Deutschlands Freiform-Schmiedebranche ist relativ klein: 39 Schmieden und Ringwalzwerke umfasst die Aufstellung des VDEh. 1999 erzeugten ihre rund 7000 Mitarbeiter insgesamt 600 000 t Freiformschmiedestücke, Stabstahl und gewalzte Ringe. Damit erwirtschafteten die Unternehmen einen Umsatz von etwa 1,5 Mrd. DM. Diese Zahlen blieben in den letzten fünf Jahren weitgehend konstant. Die Anforderungen an die Mitarbeiter sind in letzter Zeit durch hohe Investitionen in die Automatisierung der Prozesse erheblich gestiegen. Stark zugenommen hat der Trend, die Bearbeitungstiefe zu steigern, da die Kunden immer intensiver bearbeitete Werkstücke bestellen.
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