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Deutsche Anlagenbauer im Bio-Ölrausch

Biokraftstoffe als Wachstumsmotor der Verfahrenstechnik
Deutsche Anlagenbauer im Bio-Ölrausch

Mit Biokraftstoff-Anlagen verdienen deutsche Anlagenbauer schon heute weltweit gutes Geld. Ob und wie sich der Wirtschaftsstandort Deutschland auf diesem Sektor verändert, hängt von der Politik ab sowie von der Arbeit der Lobbyisten aus Automobil- und Mineralölkonzernen.

Thomas Preuß ist Journalist in Stuttgart

Erneuerbare Energien entwickeln sich zu einem Wachstumsmotor für Deutschland: Allein 2005 investierte die Branche hierzulande 8,7 Mrd. Euro in Anlagen und neue Produktionskapazitäten. Bis 2020 sei ein Investitionspaket von 200 Mrd. Euro geplant, sagt Johannes Lackmann, Präsident des Bundesverbandes Erneuerbare Energie e. V. (BEE), Berlin. Das wäre das Zehnfache der bisher für konventionelle Kraftwerke geplanten Investitionen. Vor allem für den Mobilitätssektor erwartet Lackmann schier Unglaubliches: Von rund 4 % Anteil am Kraftstoffverbrauch im vergangenen Jahr soll dieser Betrag auf 60 % bis 2050 ansteigen – bis dahin könnten die fossilen Brennstoffe in etwa reichen.
Der Zuwachs bei den erneuerbaren Energien soll nicht nur die Abhängigkeit von Öl- und Gasimporten senken; auch die hiesigen Anlagenbauer dürften profitieren. Schon 2005 hat die deutsche Verfahrenstechnik nach Erkenntnissen des VDMA einen um 59 % höheren Auftragseingang verzeichnet als im Jahr zuvor. Dazu tragen unter anderem Anlagen zur Gewinnung von Bioethanol und Biodiesel bei. Beide sind Kraftstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen. Bioethanol stammt aus Getreide, Zuckerrüben oder Zuckerrohr und dient der Verwendung in Ottomotoren. Als Grundstoffe für Biodiesel – wenig überraschend: für Dieselmotoren – kommen Pflanzenöle aus Palmfrüchten, Sojabohnen, Raps- und Sonnenblumensamen oder Kokosnüssen in Frage, daneben Fettsäuren und tierische Fette.
Von den 200 Mrd. Euro, die deutschlandweit bis 2020 in die Erschließung der erneuerbaren Energien investiert werden sollen, könnten laut Lackmann 10 Mrd. Euro in die Gewinnung von Kraftstoffen fließen. Der Weltmarkt für Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien werde 2020 schon mehr als 450 Mrd. Euro betragen, vermutet Lackmann, und die deutschen Anlagenbauer könnten beim Export mit ihren Kollegen aus der Automobilindustrie gleichziehen.
Zu den Global Playern im Anlagenbau für Biokraftstoffe zählen die Unternehmen der Bochumer GEA Group AG. Es vergeht kaum ein Monat, in dem etwa die Lurgi AG mit Sitz in Frankfurt/M., keine Millionenaufträge für Biodiesel- und Bioethanol-Anlagen vermelden kann. Schon mit Fertigstellung der im letzten Halbjahr in auftrag gegebenen Anlagen dürften 60 bis 70 % des weltweit produzierten Biodiesels aus Lurgi-Anlagen kommen. In Deutschland, schätzt der Lurgi-Vorstandsvorsitzende Klaus Moll, sollen es sogar 70 bis 80 % sein. Wie Lurgi sind übrigens auch die GEA-Töchter Barr Rosin, GEA Wiegand und Westfalia Separator mit unterschiedlichen Schwerpunkten gut im Markt aufgestellt und auf der Messe Achema in Frankfurt vertreten (Halle 4, Stand D13-G22).
Stimmt die Prognose von Peter Schenk, GEA-Vorstandsmitglied und Vorsitzender des VDMA-Forums Prozesstechnik, werden in Europa bis 2010 mindestens 100 neue Biokraftstoff-Anlagen für rund 3 Mrd. Euro erstellt. Denn bis dahin soll der Anteil an Biokraftstoffen in der EU – politisch gewollt – auf mindestens 5,75 % oder knapp 14 Mio. t Bio-Kraftstoff steigen. BEE-Chef Lackmann rechnet allerdings damit, dass dieser Wert schon 2007 überschritten wird.
Allerdings ist selbst die nahe Zukunft der Branche ungewiss: Die deutsche Regierung hat im Koalitionsvertrag eine Beimischungspflicht anstelle der heute gültigen Steuerbefreiung für die Biokraftstoffe vereinbart. So wäre für die heimischen Produzenten jeder Anreiz für ein eigenes Engagement dahin, und die Kraftstoffe würden wohl auf dem Weltmarkt beschafft. „Damit gehen aber in Deutschland und der EU wichtige Entwicklungsstränge verloren“, warnt Lackmann. „Und dabei sind wir doch technologische Marktführer und Technologieexporteure!“
Die Zwangsbeimischung hätte auch weitere Folgen: Zwar sind derzeit maximal 5 % Beimischung erlaubt, die Automobillobby will aber 10 % oder mehr. Dann müssten auch die Motoren umgerüstet werden – und mit steigendem Bio-Anteil im Benzin würden eines Tages ältere Autos das neue Benzin nicht mehr vertragen. Für die deutsche Automobil-Branche wäre das wohl ein kleines Konjunkturprogramm.
Gegenüber Mineralöldiesel hat Biodiesel zahlreiche Vorteile – obwohl er einen um etwa 10 % höheren Verbrauch verursacht: Er ist biologisch abbaubar, senkt die CO2-Emissionen, ist schwefelfrei und nicht toxisch, enthält weder Benzol noch andere Aromaten. Auch die Gebrauchseigenschaften können sich sehen lassen: Biodiesel steigert unter anderem die Leistung und Lebensdauer von Motoren und weist bessere Zünd- und Schmiereigenschaften auf. Biodiesel ist allerdings nicht für alle Fahrzeuge freigegeben: Er bereitet zum Teil Einspritzpumpen Probleme, und für das Kraftstoff-Leitungssystem sind spezielle Kunststoffe erforderlich. Zum Fahren mit Bioethanol wiederum sind Flex-Fuel-Motoren nötig und zum Beispiel in Brasilien seit Jahren gängig. Sie verbrauchen etwa 20 % mehr Sprit als herkömmliche Ottomotoren.
Neben Biodiesel und Bioethanol zählen zu den Bio-Treibstoffen der so genannten „ersten Generation“ schlichtes Pflanzenöl, Biogas und Biomethanol. In leicht umgerüsteten Motoren kann Pflanzenöl auch ohne Umesterung problemlos eingesetzt werden. Auch Biogas lässt sich direkt verfahren, es sind aber große Tanks nötig – und die Reichweite ist eher gering.
Automobil- und Mineralölkonzerne forschen derzeit an Biokraftstoffen der „zweiten Generation“. Darunter fallen solche auf Erdgas- und Kohlebasis sowie so genannte BTL-Kraftstoffe. BTL steht für „Biomass to Liquid“: Aus Biomasse, wie Holz, Stroh, ganzen Pflanzen, aber auch aus Hausmüll oder anderen Grundstoffen wird mit derzeit noch nicht ausgereiften Verfahren ein flüssiger Kraftstoff gewonnen. Die Automobilindustrie hätte mit diesen synthetischen „Designer“-Kraftstoffen den geringsten Aufwand mit der Umrüstung ihrer Motoren. Denn dabei ergäbe sich eine Art „Superdiesel“ mit weniger Aromaten und ohne Schwefel, der besser wäre als heutiger Kraftstoff und der die Abgasnormen erfüllte.
Bis synthetische Kraftstoffe die ideale Konsistenz haben und auch in großem Maßstab produziert werden können, werden allerdings noch Jahre ins Land ziehen. Die ostdeutsche Choren Industries GmbH aus Freiberg, die eng mit Shell, DaimlerChrysler und Volkswagen kooperiert, marschiert hier hier mit einem eigenen Verfahren technologisch voran. Für die Autohersteller wären diese Kraftstoffe bequem – und die Mineralölindustrie setzt auf BTL, weil, wie BEE-Präsident Lackmann argwöhnt, „der Markt dann in wenigen Händen bliebe“.
Dagegen ist die Biodiesel- und Bioethanolbranche mittelständisch geprägt, die Anlagen sind oft nicht größer als ein Einfamilienhaus und auch die Investitionssummen bleiben überschaubar. Diese Struktur liegt in den Rohstoffen begründet, die aus bäuerlichem Anbau stammen. Auch der Vertrieb liegt in vielen Händen und ist nicht nur von einigen großen Konzernen geprägt.
Die Auswirkungen dieser Entwicklungen auf den Wirtschaftsstandort Deutschland lassen sich zum heutigen Zeitpunkt kaum vorhersagen. Während ein Sprecher der GEA-Gruppe „keine signifikanten Veränderungen“ erwartet, rechnet Johannes Lackmann vom BEE mittelfristig etwa mit steigenden Preisen für Holz und landwirtschaftliche Produkte, höheren Pachterlösen von Agrarflächen in der Nähe von Bio-Anlagen und weltwirtschaftlich mit einer Verschiebung zwischen ressourcenarmen und -reichen Ländern.
Von dem Bio-Boom profitieren freilich nicht nur die Anlagenbauer. Auch die chemische Industrie engagiert sich in diesem Markt. So bietet etwa die Düsseldorfer Degussa AG Katalysatorlösungen für die Umesterung nativer Öle an. Auch spezielle Antioxidantien für Biodiesel finden sich im Programm, denn der Treibstoff altert bei der Herstellung, der Lagerung und dem Einsatz im Motor deutlich schneller als mineralischer Diesel.
Dessen Tage scheinen gezählt: „Sobald der Ölpreis Regionen von 80 oder 90 Euro je Barrel erreicht“, sagt Johannes Lackmann, „sind die erneuerbaren Kraftstoffe auch ohne Subvention wettbewerbsfähig.“ Damit sei ein Ende der Benzinpreissteigerungen absehbar. Und er setzt nach: „Manche Ölkonzerne kaufen heute schon Wald!“
Mineralölkonzerne setzen auf Designer-Kraftstoffe
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