Startseite » Allgemein »

Deutschland sticht Niedriglohnland aus

Globalisierung: Effiziente Produktionsnetzwerke aufbauen
Deutschland sticht Niedriglohnland aus

Wer bei der Produktion nur auf Lohnkosten schaut, agiert kurzsichtig. Folgekosten aufgrund von Qualitätsmängeln oder zusätzlicher Logistik können die Bilanz umkehren, schlimmstenfalls geht Know-how verloren. Das Globale Varianten-Produktionssystem (GVP) schafft Klar- heit – und macht selbst eine Montage in Deutschland rentabel.

Mit Hilfe des Globalen Varianten-Produktionssystems (GVP) sollen sich nicht nur die Risiken der Globalisierung beherrschen, sondern ihre Chancen nutzen lassen. „Insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen wollen wir mit der GVP-Methodik eine Möglichkeit aufzeigen, ihre Produktion zu internationalisieren“, berichtet Carsten Wagner, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Fabrikanlagen und Logistik (IFA) der Leibniz-Universität Hannover. Vor allem gehe es darum, Alternativen zu einer Verlagerung von Montagetätigkeiten ins Ausland aufzuzeigen. „Den Standort Deutschland zu stärken, war oberstes Projektziel“, ergänzt IFA-Institutsleiter Prof. Peter Nyhuis.

Die GVP-Methodik ist Ergebnis eines BMBF-geförderten Forschungsprojektes innerhalb des Rahmenkonzepts „Forschung für die Produktion von morgen“, das 2004 aus einem Ideenwettbewerb des Ministeriums zum Thema „Kompetenz Montage: Global agieren, am Standort Deutschland montieren“ hervorging. Neben Wissenschaftlern des IFA waren Mitarbeiter des Instituts für Integrierte Produktion gGmbH (IPH), des Soziologischen Forschungsinstituts (SOFI) an der Georg-August-Universität Göttingen sowie der Unternehmen Intorq, Sartorius, Sennheiser, Xenon und Zufall an dem Verbundprojekt beteiligt.
Zu Beginn der Forschungsaufgaben stand die gemeinsame Erkenntnis der Teilnehmer, dass „ausschließlich (lohn-)kostengetriebene Aus- und Verlagerungen von Fertigungs- und Montageumfängen nicht nur volkswirtschaftlich problematisch und betriebswirtschaftlich riskant, sondern auch strategisch zu kurzfristig“ seien. Will heißen: Wer ausschließlich in Billiglohnländern produziert, läuft Gefahr, aufgrund unerwarteter Folgekosten sein Ziel – die kostengünstigere Fertigung – zu verfehlen. „Solche Folgekosten können Logistik- oder Koordinationskosten sein oder sich aus Lieferverzögerungen sowie Qualitätsmängeln ergeben“, erläutert Carsten Wagner, „darüber hinaus bleiben Stärken des Standorts Deutschland ungenutzt.“
Die GVP-Methodik gibt dem Anwender deswegen Werkzeuge an die Hand, Produktionsnetzwerke „globalisierungsgerecht“ zu planen und zu gestalten. Vier Module wurden entwickelt:
  • Produktstrukturierung: Mittels des Produktmodells lässt sich ein Produkt abbilden, per Kennzahlensystem analysieren und so umgestalten, dass es eine möglichst geringe Komplexität bei gleichzeitig hohem Kundennutzen besitzt.
  • Kooperationsbeziehungen: Ein Werkzeug, mit dem sich systematisch Fragestellungen rund um die Zusammenarbeit in grenzüberschreitenden Produktionsnetzwerken bearbeiten lassen – was häufig in dieser Form vernachlässigt wird.
  • Technologiedifferenzierung: Vielleicht einer der Kernbausteine des GVP-Ansatzes, bei dem die Prozesskette unter Berücksichtigung produktionstechnischer Kernkompetenzen gestaltet wird. Anders formuliert wird hier eine Antwort auf die Frage gegeben, was auch weiterhin in Deutschland produziert werden sollte.
  • Produktionsstufen und Logistik: Die konkrete Auslegung des Produktionsnetzwerkes auf Basis der Produktstruktur und unter Berücksichtigung logistischer Faktoren. Um auch künftige Entwicklungen zu bewältigen, muss dieses Netzwerk nicht nur effizient, sondern auch flexibel sein.
Wer mit der GVP-Methodik arbeitet, kann zuverlässiger feststellen, welche Produkte sich für die internationale Herstellung eignen. „Spezifische Technologien und notwendiges Fertigungswissen sind global nicht frei verfügbar“, führt Carsten Wagner aus, „daher sind die Freiheitsgrade für die internationale Herstellung mancher Produkte begrenzt.“
Die Göttinger Sartorius AG als international aufgestellter Labor- und Prozesstechnologie-Anbieter war als Projektteilnehmer Mitentwickler der GVP-Methodik und wandte diese direkt auf die eigene Produktion an. „Uns ging es darum, international wettbewerbsfähig zu produzieren und Lösungsansätze für ein globales Produktionssystem zu erkunden“, erläutert Volker Große-Heitmeyer, Leiter Produktionssystemgestaltung innerhalb der Sartorius-Konzernsparte Mechatronik. Betrachtet wurden Produkte auf der Ebene von Baugruppen, die jeweils sowohl Fertigungs- als auch Montageumfänge erfordern. „Diese wurden anhand verschiedener, im Projekt entwickelter Kriterien mit Blick auf die optimale Fertigungstiefe und den bestmöglichen Produktionsstandort bewertet“, so der Sartorius-Mitarbeiter weiter.
Sartorius konnte mit der GVP-Methodik am Standort Göttingen die Produktion hochauflösender Prozesswaagen halten – bei deutlich geringeren Kosten und einer innovativeren und damit wettbewerbsfähigeren Produktstruktur. „Eine entscheidende technologische Lösung war dabei die Entwicklung einer Baugruppe, die als Kernelement ein monolithisches Wägesystem enthält“, fährt Volker Große-Heitmeyer fort. Dieses werde per High-Speed-Cutting aus dem Vollen gefräst; das Gesamtsystem schließlich vor allem per Software kundenspezifisch angepasst.
Hohe Materialbestände, geringe Standardisierung und starker Personaleinsatz hätten die Produktionskosten früher in die Höhe getrieben, so die Göttinger. Auf Basis des monolithischen Wägesystems ließen sich die Kosten um mehr als die Hälfte auf 45 % senken. Eine alternative Fertigung in einem Niedriglohnland hätte die Kosten dagegen nur auf 53 % gesenkt, und zusätzlich zahlreiche Gefahren wie etwa den Verlust von Know-how mit sich gebracht. Trotz hoher Lohn- und Lohnnebenkosten sei Deutschland ein optimaler Standort für die Herstellung technologisch anspruchsvoller Bauteile und Produkte, so Volker Große-Heitmeyer abschließend.
Michael Corban Fachjournalist in Nufringen

Hinweis
Hilfestellung bei der praktischen Anwendung der GVP-Methodik geben ein strukturierter Leitfaden in Buchform (einschließlich der Beispiele aus der Praxis) sowie softwaregestützte Checklisten. Ein Praxisseminar findet zudem am 12. und 13. Mai 2009 im Produktionstechnischen Zentrum Hannover (PZH) statt.
Weitere Informationen finden sich auf der Projekt-Homepage.

Globalisierung
Wer vorschnell seine Produktion auslagert, gefährdet schnell das ganze Unternehmen. Mit dem Globalen Varianten-Produktionssystem steht nun ein Methodenbaukasten bereit, um globale Produktionsnetzwerke transparent und damit beherrschbar zu machen. So können Kernkompetenzen und der Standort Deutschland ge- sichert werden, ohne auf das Erschließen neuer internationaler Absatzmärkte zu verzichten.
Unsere Webinar-Empfehlung
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
Ausgabe
6.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de