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Die Prothese als Sportgerät

Radsportlerin kämpft um Medaillen: „Die Prothese muss perfekt passen“
Die Prothese als Sportgerät

3D-Druck | Denise Schindler startet bei den Paralympic Games in Rio mit einer Hochleistungsprothese, individualisiert durch den 3D-Druck. Das Projekt mit Autodesk ist so interessant, dass Angela Merkel und Barack Obama mit der Radsportlerin auf der Hannover Messe zusammentrafen. ❧ Olaf Stauß

„Druckfrisch“ kam die aktuelle Version auf den Stand von Autodesk, wo die Bundeskanzlerin und der US-Präsident sie begutachten und mit der Sportlerin sprechen konnten. Die Prothese zeigt, welches Potenzial moderne Design- und Produktionsmethoden in der Medizintechnik haben. „In Hannover präsentierten wir erstmals das Wettkampfmodell, mit dem ich auch in Rio um Medaillen kämpfen werde“, sagt Denise Schindler. „Nach mehr als anderthalb Jahren intensiver Entwicklung haben wir nun ein Modell erstellt, das den starken Belastungen im Leistungssport standhält und dabei noch bequemer ist als herkömmlich produzierte Modelle.“

Bundeskanzlerin Merkel und President Obama interessierten sich sehr für moderne Industrieverfahren, von denen auch jeder Einzelne profitiert. Sie ließen sich von Denise Schindler und Roland Zelles (Vice President Emea bei Autodesk) die Technik genau erklären. Hochwertige Scans, Computersimulationen und additive Fertigung (3D-Druck) sind zu durchlaufen, bis die Prothese am Bein der Sportlerin höchste Leistungen möglich macht.
Als Rennrad-Profi mit Beinamputation macht Denise Schindler klar, dass eine Sportprothese nicht nur den üblichen Anforderungen des Radsports standhalten muss. „Im Para-Sport kann selbst die kleinste Druckstelle zu schmerzhaften Verletzungen führen, das Training beeinflussen und sogar über Sieg oder Niederlage entscheiden. Meine Sportprothesen müssen daher perfekt passen“, erklärt sie. Für den Sportler bedeutet das bisherige Herstellverfahren aufwendige Anpassungen und Leistungs-Checks. Professionelle Sportprothesen sind daher teuer und werden von den Krankenkassen nicht bezahlt. Für Breitensportler sind sie daher meist unerschwinglich.
Autodesk arbeitet gemeinsam mit Denise Schindler und ihren Prothesen-Technikern an einem Verfahren, durch das Sportprothesen schneller, passgenauer und günstiger produziert werden können. Dabei wird der Beinstumpf von Denise Schindler mit einem Laserscanner erfasst. Auf Grundlage des so entstandenen digitalen Abbilds wird anschließend in der 3D-Konstruktionslösung „Autodesk Fusion 360“ ein Prothesen-Aufsatz modelliert und mit einem 3D-Drucker ausgedruckt. Die zur Zeit anspruchsvollste Herausforderung ist dabei, die von Prothesen-Technikern mit ihren Händen erfühlten Informationen in das digitale Prothesen-Modell zu übertragen – also harte, knochige Stellen und weiches Gewebe sowie andere anatomische Besonderheiten.
Es handelt sich dabei um Pionierarbeit. Wie üblich im Leistungssport, erfordert es zähes Dranbleiben. Auf einjähriges Erstellen und Optimieren des Designs folgten vierwöchige Tests am Bein. „Der Stumpf ändert sich mit dem Training und mit den Intensitäten“, erklärt Schindler – und das alles will berücksichtigt sein. Am ehesten lassen sich die Anforderungen vielleicht mit denen bei Ski-Rennläufern vergleichen. Für die Kraftübertragung benötigen sie einen optimal sitzenden Skistiefel, ja, für ein gutes Fahrgefühl sollten sie geradezu verwachsen mit ihm.
Kostengünstige Prothesen für jedermann?
Für die anstehenden Wettkämpfe probierte das Team aus Fachleuten und der Radsportlerin einiges aus. Sie variierten die Steifigkeit, sie modifizierten die Form für die Aerodynamik… „Jetzt haben wir die aerodynamische Form für die Bahn gefunden“, sagte Schindler in Hannover. Wiederum andere Kriterien gelten für die Straße.
Autodesk gibt mit dem Wettkampfmodell einen Ausblick auf zukünftige Herstellungsverfahren in der Medizintechnik. 3D-Modellierung und der 3D-Druck können dem Herstell- und Anpassungsprocedere einen entscheidenden Impuls geben. Denn im Prothesenbau kommen zwei Elemente zusammen, für die heute noch unterschiedliche Tools benutzt werden: Außer mit klassischen Maschinenbaumethoden müssen die Entwickler mit den individuellen anatomisch-organischen Formen des jeweiligen Stumpfes umgehen können. Die Software Autodesk Fusion 360 bietet die Möglichkeit, beide Welten zu vereinen, heißt es bei Autodesk.
Per 3D-Technik gelingt es, alle Experten über die Cloud einzubinden. So optimieren Spezialisten in London die Prothese, gedruckt werden die Komponenten in San Francisco und fertiggestellt wird sie dann vom heimischen Prothesenbauer Schindlers in Regensburg. Die Zeit verkürzt sich stark. Dauerte das Erfassen der Form früher (beginnend mit dem Gipsabdruck) eine Woche, so ist heute ein Scan in 15 min erledigt. Das Gewicht der Prothese konnten die Entwickler auf 812 g drücken. Dafür nutzen sie das additive Verfahren „Fused Deposition Modeling“ (FDM) und Polycarbonat als Material.
Denise Schindler hofft, dass ihre Prothese den Beginn eines Entwicklungsprozesses ausmacht: „Irgendwann werden wir in der Lage sein, auch Breitensportlern und Kindern Prothesen schnell und kostengünstig zur Verfügung zu stellen. Ein Durchbruch würde für sie die absolute Freiheit bedeuten, dem Sport nachzugehen, den sie möchten und an keine Einschränkungen gebunden zu sein“, sagt die passionierte Radrennerin. „Ich finde, das ist eine tolle Vision.“
Ist die Prozesskette eines Tages durchentwickelt und bewährt, verringert sich der Aufwand. Und natürlich gelten im Breitensport nicht dieselben Anforderungen wie bei Hochleistungssportlern. Das wirkt sich auf die Scan-Häufigkeit aus. Um ihre Wettkampfchancen zu wahren, wird bei Denise Schindler alle drei Monate ein Scan fällig. Im Breitensport reiche alle zwei bis drei Jahre eine Revision, so die Regel. „Aber bei Kindern, die wachsen, muss jedes halbe Jahr neu geguckt werden“, betont sie.
Schicksalsschlag und große Erfolge
Als Zweijährige kam Denise Schindler bei Eis und Schnee unter eine Straßenbahn, woraufhin ihr der rechte Unterschenkel amputiert werden musste. 2010 startete sie als Leistungsradsportlerin und wurde nur ein Jahr später Weltmeisterin im Straßenrennen und Gesamtsiegerin des Weltcups.
2012 gewann sie den Weltcup erneut und errang bei den Sommer-Paralympics in London die Silbermedaille im Straßenrennen. Bei den UCI-Paracycling-Bahnweltmeisterschaften 2014 gewann Denise Schindler zwei Silbermedaillen, im 500-Meter-Zeitfahren sowie in der Einerverfolgung. Im Jahr darauf wurde sie Weltmeisterin in der Einerverfolgung, errang Bronze im Scratch sowie Silber im Zeitfahren.
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