Herr Glaser, wie sieht sich Pilz beim Thema Digitalisierung aufgestellt – als Anbieter von Sicherheitskonzepten oder als übergeordneter Automations-Spezialist?
Die Themen der Digitalisierung und der sicheren Mensch-Maschine Interaktion sind für uns schon immer prägend. Sie bestimmen unsere Produktpalette der sicheren Automation. Pilz geht konsequent den eingeschlagenen Weg weiter und entwickelt gemeinsam mit seinen Kunden Lösungen für die smarte Produktion.
Dazu ein konkretes Beispiel: Für ausgedehnte, verteilte Anlagen und Maschinenlinien sind zunehmend flexible, dezentral arbeitende Automatisierungslösungen gefragt. Das ist der zentrale Gedanke unseres Automatisierungssystems PSS 4000. Pilz erweitert hierfür sein Portfolio um eine weitere Variante bei den SPS-Steuerungen: PSS67 PLC von Pilz ist die erste SPS-Steuerung in der Schutzart IP 67 für Aufgaben der Sicherheit und Automation. Durch die vollvergossene Modulelektronik ist diese Steuerung besonders robust gegen Umwelteinflüsse und eignet sich für die Installation außerhalb des Schaltschranks direkt an der Maschine. Die Steuerung lässt sich dort einbauen, wo sie benötigt wird. Das reduziert den Verkabelungsaufwand gegenüber Schaltschrank-basierten Systemen deutlich und erhöht die Flexibilität bei der Umsetzung modularer Maschinen- und Anlagenkonzepte.
Welche Rolle spielt Sicherheit im Industrie-4.0-Umfeld? Nimmt deren Bedeutung eher ab oder zu?
Anwender machen sich intensiv Gedanken, wo ihr Maschinenbedienkonzept Lücken aufweist und setzen beispielsweise eine Identifikation und Berechtigungsprüfung ein, welcher Werker denn zu welchem Zeitpunkt welche Maschinenfunktion aktivieren darf. Eigentlich definieren solche Überlegungen die einschlägigen Sicherheitsnormen seit geraumer Zeit: Jeder Anwendungsfall im gesamten Maschinenlebenszyklus muss bewertbar sein. Im Zentrum der Bemühungen um Industrial Security muss das Herzstück von Maschinen und Anlagen stehen – die Steuerung. Für sie gibt es jetzt vorgeschaltete Industrial Firewalls, wie zum Beispiel unsere Security Bridge, die sie auf flexible Weise manipulationssicher machen.
Wie integrieren Sie Sicherheitskonzepte in den digitalen Workflow?
Rein technisch betrachtet stellen Digitalisierung und Vernetzung im industriellen Umfeld nicht die Herausforderung dar. Es geht vielmehr um die Beherrschung der Komplexität modularer, verteilter und vernetzter Maschinen und Anlagen. Wo Dinge komplexer werden steigt die Gefahr, Fehler zu machen. Zu den wichtigen Aufgaben von Automatisierungsprodukten in Hard- und Software gehört es also, die steigende funktionale Komplexität möglichst anwenderfreundlich zu gestalten. Das gleicht der Quadratur des Kreises und ist von vielen Einflussfaktoren und Erfahrungswerten abhängig. Was für den Software-Entwickler einfach erscheint, muss es nicht automatisch für den Anwendungsprogrammierer sein. Nur ein richtig klares Bild über den realen Nutzungsgrad der Funktionen und sinnvoll vorgenommene Definitionen entlang des Maschinen-Lebenszyklus können helfen, ursprünglich verschiedene Sichten zusammenführen.
Wird der klassische Not-Halt dabei überhaupt noch gebraucht?
Natürlich. Aber wir müssen künftig stärker unterscheiden zwischen der Not-Halt-Funktion und dem ‚analogen Bedienknopf‘ an der Maschine. Der modulare und flexible Aufbau von Maschinen und Anlagen stellt auch Anforderungen an die Sicherheitsfunktionen – wie den Not-Halt. Damit die notwendigen und sinnvollen Sicherheitsfunktionen auch in modernen und modularen Fertigungskonzepten praktikabel umgesetzt werden können, wurde die entsprechende Norm ISO 13850 entsprechend überarbeitet: Erstmals ist jetzt auch für Sicherheitseinrichtungen ein dritter Zustand, nämlich ‚inaktiv‘ definiert.
Dadurch entstehen aber auch neue Herausforderung an das Produkt: Dieser Zustand muss ‚sichtbar‘ sein, damit der Werker ihn auch schnell und eindeutig wahrnehmen kann und entsprechend bedienen wird. Diese Not-Halt-Taster signalisieren durch ihre Beleuchtung, ob sie aktiv oder passiv geschaltet sind.
Welche Rolle spielen Recht und Normen im digitalen Umfeld? Gibt es zu viele oder eher zu wenig?
Grundsätzlich sind Recht und Normen aus der analogen Welt auch für das digitale Umfeld verbindlich. Hier stellt sich nicht die Frage der Quantität, sondern die nach der Umsetzbarkeit. Die DKE arbeitet momentan an einer Roadmap zum Thema künstliche Intelligenz (KI) und Ethik für Autonome Maschinen und Fahrerlose Transportsysteme. Durch unsere Mitarbeit in Normengremien und unser Engagement bei der Smart Factory KL eröffnet sich uns in Zukunft die Möglichkeit, wichtige Themen wie KI und Machine Learning im Umfeld der sicheren Automation mit zu gestalten.
Was raten Sie Interessenten, die sich dem Thema Digitalisierung nähern wollen?
Meiner Meinung nach gibt es nicht ‚die eine richtige Digitalisierungsstrategie‘. Das Wichtigste meines Erachtens ist, die Herausforderungen durch den Wandel anzunehmen und in der Umsetzung und Erprobung zu beginnen. Wir sehen die Digitalisierung als Chance. Nach unserer Einschätzung stellt die in Deutschland langjährig praktizierte enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit von Herstellern und Anwendern einen unschätzbaren Standort- und Wettbewerbsvorteil im internationalen Umfeld dar.
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