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„Dort stark bleiben, wo wir schon stark sind“

Wirtschaftsminister Dr. Döring im Exklusiv-Interview:
„Dort stark bleiben, wo wir schon stark sind“

Im Ländervergleich eine Top-Position und einen gesunden Mittelstand als Rückgrat: Aus dieser Lage heraus zeigt sich Wirtschaftsminister Dr. Walter Döring im Industrieanzeiger-Interview sicher, dass die baden-württembergische Wirtschaft auch den kommenden Strukturwandel bewältigen wird.

Das Gespräch führten unsere Redaktionsmitglieder Iris Frick und Tilman Vögele-Ebering

Herr Dr. Döring, wie stellen Sie sich das Bundesland Baden-Württemberg in 50 Jahren vor?
Niemand hat so prophetische Gaben, um halbwegs verlässlich einen derart weiten Blick in die Zukunft zu wagen. Mein Wunsch ist aber, dass wir in 50 Jahren nach wie vor bei den zentralen Wirtschaftsdaten im Vergleich der Bundesländer die Nummer eins in Deutschland sind. Und ich bin zuversichtlich, dass die baden-württembergische Wirtschaft diese Herausforderungen bestehen wird, wenn die politischen Rahmenbedingungen – vor allem für den Mittelstand – entsprechend gestaltet sind.
Welche Rolle werden Ihrer Meinung nach die mittelständischen Unternehmen dann noch spielen?
Sie werden weiterhin das Rückgrat unserer Wirtschaft bilden. Bei aller Globalisierung, bei Fusions- und Konzentrationswellen, werden die Aufgaben für Spezialisten erhalten bleiben. Diese Mischung aus Großindustrie und den vielen kleineren Unternehmen trägt wesentlich dazu bei, dass wir diesen Wohlstand in Baden-Württemberg erreicht haben.
Sie sind Wirtschaftsminister im sprichwörtlichen Musterländle. Was, glauben Sie, ist die größte Leistung des Landes?
Es ist die Fähigkeit der Menschen, mit Veränderungen fertig zu werden und den Wohlstand unseres Landes und seiner Bürger zu mehren. Sprich: den Strukturwandel zu bewältigen. Vor 50 Jahren lag der Anteil der Forst- und Landwirtschaft bei neun Prozent, heute bei einem Prozent. Der Dienstleistungssektor hat umgekehrt von 37 auf 60 Prozent zugenommen. In den letzten fünf Jahren haben wir in den Bereichen die besten Ergebnisse, die für die Menschen wichtig sind: Wir haben bei der Arbeitslosigkeit die besten Daten, wir konnten allen jungen Menschen eine Lehrstelle bieten, in vielen Bereichen bringen wir Spitzen-Qualität auf den Markt.
Die Pfeiler der Wirtschaft – Maschinen- und Fahrzeugbau sowie Elektronikindustrie – sind reife Branchen. Was soll den Technik-Standort in Zukunft stärken?
Wir werden in den Bereichen stark bleiben, in denen wir heute stark sind. Zudem werden neue Felder hinzukommen. Der hohe Reifegrad der Branchen Automobil und Produktionstechnik hat auch seine Vorteile. Die Patentstatistik zeigt, dass dort die Innovationskraft am höchsten ist. Außerdem wird der Bereich der Kommunikationstechnologie stärker. Massiv hinzu kommt die Branche der Biotechnologie. Es wissen leider viel zu wenige Menschen, dass wir in Baden-Württemberg heute im Bereich High-Tech vom Europäischen Amt für Statistik als die High-Tech-Region Nummer eins in ganz Europa bewertet werden.
Gibt es Wirtschaftszweige, die besonders gefördert werden sollen, um die Strukturveränderung voranzutreiben?
Ich persönlich bin ein starker Anhänger der Biotechnologie, ich sehe da eine große Zukunftschance. Wir haben jetzt schon gute Ergebnisse erzielt. In den vier Bio-Regionen und Bioparks haben wir rund 400 Gründungen. Die meisten dieser Gründungen sind außerdem mittelständisch strukturiert.
Wie wollen Sie das Land für neue High-Tech-Branchen attraktiv machen? Es gibt einen ausgeprägten Standortwettbewerb im Bundesgebiet selbst und in Europa.
Die EU hat ja das Ziel, in Zukunft die Subventionen weiter einzuschränken. Ich befürworte grundsätzlich nur dann Subventionen, wenn sie als Anfangsunterstützung zeitlich befristet und degressiv gestaltet sind. Der Standort Baden-Württemberg ist erfreulicherweise viel weniger wegen der Subventionen interessant als wegen der hohen Dichte von Forschungs- und Ausbildungseinrichtungen, wegen der hohen Qualifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – auch wegen des hohen Lebensstandards.
Neue Arbeitsplätze entstehen unter dem Strich meist im Dienstleistungssektor. Welche Folgen hat das für die Industrie?
Dienstleistungen sind bei uns der klare Gewinner des Strukturwandels. Etwa 85 Prozent der neuen Arbeitsplätze in den Jahren 2000 und 2001 entstanden im tertiären Sektor. Von 100 Menschen sind mittlerweile 62 im Dienstleistungssektor beschäftigt. Zu einer starken Industrie ist das kein Widerspruch: Zählt man die dazu, die im Service von Industrieunternehmen arbeiten, kommt man sogar auf 70 Prozent.
Die Region Stuttgart vereint ein Drittel der Wirtschaftskraft des Landes. Was tun Sie, damit die Schere zwischen Ballungsraum und flachem Land nicht zu weit aufgeht?
In keinem anderen Bundesland geht die Schere so wenig auseinander wie hier. Wir haben bei der Arbeitslosigkeit eine Spanne von 5,6 bis 8,5 Prozent. Diese Spanne ist sichtbar, aber nicht so groß wie selbst in Bayern, wo die Arbeitslosigkeit in der Spitze zehn Prozent erreicht. Unser gesamtes Förder-Instrumentarium, das wir als Ministerium haben, wird bewusst gleichmäßig in den badischen und in den württembergischen Landesteil gebracht.
EU und Berlin geben immer mehr den Ton an: Können Sie überhaupt als Bundesland noch Wirtschaftspolitik gestalten oder haben die Länder als Erfolgsmodell ausgedient?
Wichtig ist, dass wieder ein gesunder Wettbwerbs-Föderalismus in den Vordergrund gerückt wird. Das geht bis hin zur Diskussion über eine Länderneugliederung. Das Thema wird immer so behandelt, als ob es völlig abwegig wäre. Wenn unsere Vorgänger genau so hasenfüßig an diese Aufgabe herangegangen wären wie wir heute, gäbe es immer noch kein Bundesland Baden-Württemberg.
Wie nah sind Sie als Wirtschaftsminister eigentlich noch an den Unternehmen dran?
Es vergeht fast kein Tag, an dem ich nicht in einem Betrieb bin oder einen Unternehmer treffe. Dies ist die notwendige Nähe für mein Amt. Ich erfahre zudem nirgendwo so viel und so konzentriert wie auf einer Messe, beispielsweise auf einer Cebit oder einer Hannover Messe. Dort haben die Unternehmer wenig Zeit und reden deshalb Klartext.
Macht es Ihnen noch Spaß, im Land Baden-Württemberg Wirtschaftsminister zu sein?
In einem Land, in dem man zieht und zerrt und es geht nichts voran, wäre es viel schwieriger. Hier erlebe ich aber jede Woche Momente, in denen ich sage: Donnerwetter, das ist sagenhaft! Solche Highlights erlebe ich oft bei kleinen und mittleren Unternehmen. Es existieren hier so viele Hidden Champions. Ich bin dann in einer 20-Mitarbeiter-Firma und die rücken damit heraus, dass sie weltweit die einzigen sind, die etwas auf eine bestimmte Art machen. Das ist einfach faszinierend, das macht mir viel Spaß, und deshalb bin ich gerne hier.
Industrieanzeiger
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