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„Druckluft als Service ist für viele Firmen attraktiv“

Interview mit Thomas Kaeser, Vorstandsvorsitzender von Kaeser Kompressoren
„Druckluft als Service ist für viele Firmen attraktiv“

Mehr Druckluft mit weniger Energie – wie Firmen dies realisieren können, erklärt Thomas Kaeser, Vorstandsvorsitzender des Unternehmens, im Interview.

Sabine Koll

Wir stehen kurz vor der Hannover Messe und mithin vor der Comvac. Welche Trends erwarten Sie dort generell in Sachen Druckluft?

Im Fokus wird die Effizienz von einzelnen Maschinen und natürlich die Effizienz kompletter Druckluftstationen stehen. Es geht um die Druckluftqualität sowie natürlich auch um das Thema „Integrated Industry“, also die Integration von Druckluftsystemen mit Hilfe von Digitalisierung in dem kompletten Wertschöpfungsprozess der Industrie.

Welche Themen werden bei Kaeser auf der Hannover Messe im Fokus stehen?

Unser wichtigstes Thema Drucklufteffizienz, das wir schon seit Jahrzehnten mit unserem Motto „Mehr Druckluft mit weniger Energie“ darstellen, ist aktueller denn je. Natürlich ist eine Kette nur so stark wie ihr schwächstes Glied, und deswegen müssen auch die einzelnen Komponenten – das heißt Kompressoren, Drucklufttrockner und Filter – so effizient wie möglich sein. Jedes neu entwickelte Produkt ist deutlich effizienter als sein Vorgänger, aber zum Schluss kaufen die meisten Kunden nicht eine einzelne Komponente, sondern ein komplette Druckluftstation und diese muss natürlich richtig geplant, an den Bedarf des Kunden angepasst und so intelligent gesteuert werden, dass der gesamte Energieverbrauch möglichst niedrig ist. Mit unseren Werkzeugen Smart Engineering für die Digitalisierung der gesamten Druckluftstation und der simulationsbasierten maschinenübergreifende Steuerung Sigma Air Manager 4.0 gelingt es uns, die bestmöglichste Energieeffizienz jeder noch so individuellen Druckluftstation zu realisieren.

Sie waren einer der ersten Druckluft-Spezialisten, die ein Contracting-Modell angeboten haben. Sie bieten Ihren Kunden sozusagen „Druckluft as a Service“ an. Wie hat sich dieser Bereich in den vergangenen beiden Jahren entwickelt?

Dieser Bereich hat sich sehr gut entwickelt, da immer mehr Kunden an dem Konzept Druckluft als Energieform und daran, variable Kosten einzusetzen, interessiert sind. Die dadurch frei werdenden beziehungsweise nicht genutzten liquiden Mittel können dann für andere wichtige Themen wie Forschung und Entwicklung oder auch für Digitalisierung eingesetzt werden.

Für welche Produkte, die für die Industrie interessant sind, steht der Service zur Verfügung?

Grundsätzlich hat der Kunde die Möglichkeit, bei allen unseren Produkten diesen Service, also die Lieferung der Energieform Druckluft, zu nutzen. Der Schwerpunkt liegt jedoch bei industrieller Druckluft im größeren oder mittleren Bereich. Aber auch kleinere Kunden fangen an, diese Modelle zu nutzen.

Kann ein Kunde auch Kompressoren aus seinem Bestand in den Vertrag einbinden?

Grundsätzlich können wir auch Kompressoren aus dem Kundenbestand einbinden. Voraussetzung ist aber, dass es sich um ein Kaeser-Produkt handelt. Die hohe Verantwortung für die Verfügbarkeit des gesamten Systems fordert eine extrem kurze Lieferzeit für Ersatzteile, was wir nur mit Kaeser Produkten sicherstellen können. Bei einigen älteren Kaeser-Produkten, die man einbinden würde, hat man meist nur geringe oder keine Vorteile, da zwar die Kapitalkosten für die gesamte Station niedriger wären, die Strom- und die Servicekosten jedoch höher.

Von welchen Branchen wird Druckluft Contracting besonders stark nachgefragt?

Dieses Modell ist besonders interessant für Unternehmen, deren Aktivitäten besonderen Schwankungen unterlegen sind oder die immer wieder mit branchenorientierten Konjunkturschwankungen rechnen müssen. In der Krise 2009 haben uns viele Unternehmen aus der Automobilzulieferindustrie das Feedback gegeben, dass sie sich wirklich für das richtige Modell entschieden haben, weil ihre variablen Druckluftkosten deutlich gesunken sind.

Welche Vorteile bietet „Druckluft as a Service“ für die Kunden?

Er muss keine Investitionen tätigen, somit erhöht sich seine Liquidität. Daneben erhält er eine höchstmögliche Effizienz der gesamten Drucklufterzeugung und eine extrem hohe Verfügbarkeit der Druckluft, die durch die Digitalisierung noch weiter verbessert werden kann.

Ein solch digitales Geschäftsmodell muss rundum funktionieren – angefangen bei der Remote-Überwaschung der Anlagen über den Aufbau von Ressourcen im Rechenzentrum bis hin zu den Service-Technikern, die schnell vor Ort beim Kunden sein müssen. Welche Maßnahmen genau haben Sie dafür in den vergangenen Jahren ergriffen?

Neben beachtlichen IT-Investitionen an Hard- und Software ist es zusätzlich notwendig, über ein flächendeckendes und engmaschiges Servicenetz zu verfügen, da wir nicht Kompressoren, sondern Verfügbarkeit der Druckluft verkaufen. Die gesamte Planung und Errichtung der Druckluftstation muss voll digitalisiert werden, um die Potenziale des Monitorings und der Voraussage möglicher Ausfälle sicher zu stellen. Diese Techniken werden bei allen Contracting-Modellen angewandt.

Alle Maschinen und Anlagen, die „nach Hause telefonieren“ sind potenziell ein Risiko. Wie steht es um die Cybersicherheit bei diesem Modell? Welche Maßnahmen haben Sie ergriffen?

Das Risiko eines Missbrauchs mit den Daten ist relativ gering: Alle unsere Steuerungen sind nämlich so konstruiert, dass die Daten nur in eine Richtung nämlich von der Steuerung zu unserem Server gehen können. Das ist der sogenannte Read-only-Modus. Ein Eingriff in die Steuerung von außen ist konstruktiv nicht vorgesehen und somit nicht möglich. Die Daten des Kunden , die von uns gesammelt werden, sind erstens keine personenbezogenen Daten und zweitens in dem unwahrscheinlichen Fall, dass doch jemand die Daten abfangen sollte, für den Hacker vollkommen wertlos, da sie ohne den digitalen Zwilling über den nur wir verfügen, nicht interpretierbar sind.

Wie viel Prozent des Umsatzes erwirtschaften Sie derzeit mit diesem Service – und wie hoch soll der Prozentsatz in zehn Jahren sein?

Der Anteil dieses Modells am Umsatz liegt noch deutlich unter 10 Prozent, ich bin jedoch überzeugt, dass gerade mit der Nutzung digitaler Instrumente in zehn Jahren 30 bis 40 Prozent des Umsatzes möglich sind.

Doch die Digitalisierung der Druckluftwelt ist nicht alles. Auch die Hardware muss stimmen. Die Kaeser-Philosophie lautet „Mehr Druckluft mit weniger Energie“. Wo sehen vor diesem Hintergrund die größten Potenziale für die Optimierung von Druckluft?

Auch bei den einzelnen Komponenten und Kältetrocknern gibt es weitere Potenziale bei der Optimierung der Schraubenprofile, bei der Reduzierung von Druckverlusten, bei bedarfsorientierter Kühlung und bei der individuellen Maschinensteuerung, um die Effizienz weiter zu erhöhen.

Schauen wir uns mal die gesamte Kette der Druckluftversorgung an: Wie schaut es mit den Motoren aus? Welche Möglichkeiten sehen Sie hier?

Wir setzen bei unseren Komponenten grundsätzlich die effizientesten Motoren ein: IE3 und bei Neuentwicklungen wird die Effizienz noch durch die IE4-Motoren weiter verbessert. Frequenzgeregelte Kompressoren werden von Reluktanzmotoren angetrieben, das spart besonders im Teillastbetrieb viel Energie.

Weitere Möglichkeiten zur Energieeinsparung bietet Ihr Kältetrockner Secotec. Was ist das Besondere und wie wird er weiterentwickelt?

Unsere Secotec Kältetrockner sind richtige Energiesparer. Im Gegensatz zu den klassischen Kältetrocknern, bei denen meist der Kältekompressor durchläuft, egal ob mehr oder weniger Druckluft zu trocknen ist, nutzt der Secotec Trockner das Latent-Wärmespeicher-System, sodass im Teillastbereich der Kältekompressor nicht zu laufen braucht, aber der Kühlungsvorgang trotzdem reibungslos läuft. Auch hier gilt wieder „Mehr Druckluft mit weniger Energie“.

Welche Potenziale bergen Druckhaltesysteme? Wie funktionieren sie?

Das Druckhaltesystem stellt sicher, das insbesondere bei Schichtbeginn oder am Montagmorgen, wenn das gesamte Druckluftleistungssystem gefüllt wird, die Druckluftaufbereitung nicht überfahren wird und dadurch Feuchtigkeit in das Leitungssystem eindringen könnte. Wir setzen das Druckhaltesystem in fast allen Fällen ein, um die Funktionsfähigkeit der Trocknungskomponenten auch in Extremfällen sicher zu stellen.

Drehzahlgeregelte Kompressoren werden vielfach als die Lösung im Hinblick auf Energieeffizienz angepriesen. Stimmt das? Oder wann stoßen sie an ihre Grenzen?

Technische Lösungen dürfen nie Ideologien sein. Die Auswahl der unterschiedlichen Systeme orientiert sich immer an der Individualität der Anwendungsfälle und dadurch am Verbrauchsprofil des Kunden. Die Entscheidung, welches System eingesetzt wird, orientiert sich also immer noch an der detaillierten Analyse des Druckluftbedarfs und nicht an den Wünschen des Anbieters.

Welche Rolle spielen Leitsysteme wie Ihr Sigma Air Manager (SAM) im Hinblick auf Energieeffizienz?

Maschinenübergreifende Steuerungen wie unser Sigma Air Manager 4.0 spielen eine immer größere Rolle, da wir unseren Kunden zweifelsfrei nachweisen können, dass durch ihren Einsatz die Energieeffizienz des gesamten Systems in den meisten Fällen weiter über zehn Prozent verbessert werden kann.

Fast alle großen Kompressorenhersteller bieten Druckluftaudits an. Was bringen Sie? Unterscheiden sich die Audits von Kaeser von denen der Marktbegleiter?

Bei professionellen Druckluftaudits wird die gesamte Druckluftsituation – also Verbrauch, Drucklufterzeugung, Effizienz der einzelnen Komponenten, Effizienz der bestehenden Druckluftstation, Leckagen und zukünftige Entwicklung – detailliert aufgenommen, digitalisiert und Vorschläge gemacht, wie die Gesamteffizienz verbessert, die Verfügbarkeit und Sicherheit der Druckluftstation erhöht und die Zukunftssicherheit des Druckluftbedarfs sichergestellt wird. Entscheidet sich der Kunde für eine Renovierung oder Neuinvestition seines Druckluftsystems, können wir auch hinterher klar dokumentieren, wie die spätere Realität mit der Planung übereinstimmt. Der Kunde hat dadurch einen eindeutigen Beleg über den Nutzen, den er durch diese Veränderungen erzielen konnte.

Heute werden aus Gründen der Energieeffizienz druckluftbetriebene Antriebe für Linearbewegungen vielfach durch elektrische Antriebe ersetzt. Wie sehen Sie die Zukunft der Druckluft im industriellen Umfeld?

Natürlich fallen hier und da einige Anwendungen im Druckluftbereich weg und werden durch hydraulische oder elektrische Antriebe ersetzt. Aber wenn eine Anwendung wegfällt, kommen zwei oder drei Anwendungen dazu. Ich bin sicher, dass Druckluft auch langfristig eine der wichtigsten und sichersten Energieformen in der industriellen Wertschöpfung bleiben wird.

Kaeser feiert in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag. Nochmals 100 Jahre weiter gedacht: Benötigt die Industrie dann immer noch Druckluft?

Immer dann wenn produziert wird, wird Druckluft benötigt und das sicher auch in den nächsten 100 Jahren.

Wir werden das beide nicht mehr erleben – aber was denken Sie, wo wird Kaeser in 100 Jahren stehen?

Keiner kann die Zukunft voraus sehen, aber wir müssen uns heute so aufstellen, dass alle auch noch so unwahrscheinlichen Unwägbarkeiten der Zukunft gemeistert werden können: enger Kundenkontakt, kontinuierliche Innovation, Aus- und Weiterbildung, sowie die Nutzung der Digitalisierung in allen Bereichen sind wichtige Säulen für eine zukunftsorientierte Gestaltung.


Das erste Kolbenkompressorenprogramm von Kaeser aus den 1950er Jahren.

Kaeser feiert 100. Geburtstag

Der Coburger Druckluftspezialist Kaeser Kompressoren wird in diesem Jahr 100 Jahre alt. Angefangen hat alles in einer kleinen Werkstatt im Hahnweg in Coburg. Noch heute stehen dort die alten Gebäude, in denen Carl Kaeser Senior im Juni 1919 mit acht Mitarbeitern und zwei Auszubildenden begann, Ersatzteile und Motoren für Automobile zu fertigen, auch Zahnräder und Sondermaschinen für die Glasindustrie waren dabei. Das Geschäft lief gut. Das Unternehmen erreicht in wenigen Jahren einen Personalbestand von 150 Mitarbeitern. Nach dem zweiten Weltkrieg brach nahezu der gesamte Kundenstamm weg, der überwiegend in Thüringen und Sachsen – und damit ab diesem Zeitpunkt hinter der Grenze – saß. Da das Know-how aus der Automobilindustrie vorhanden war, wurde die Produktion einfach auf ähnliche Produkte umgestellt: Kolbenkompressoren. Kaeser entdeckte so die Druckluft für sich. 1948 verließ der erst Kolbenkompressor den Hahnweg.

Mitte der 1960er Jahre kamen die ersten Schraubenkompressoren auf den Markt – und Kaeser war dank einer Eigenentwicklung an der Spitze der Veränderung dabei. Das sogenannte Sigma Profil wurde geboren. Dies ist ein selbst entwickelter Schraubenkompressorblock mit einem damals völlig neuen energiesparenden Läuferprofil. Seitdem ist das Sigma Profil das Kernstück eines jeden Kaeser Schraubenkompressors und wird natürlich konsequent weiterentwickelt. Diese Innovationsfreude setzte sich bis heute fort. Dies gilt für die Hardware genauso wie für Software und Dienstleistungen. Vom Kältetrockner bis zu Steuerungen, vom Baukompressor bis zu völlig neuen Geschäftsmodellen, bei dem der Kunde sozusagen nur noch die Druckluft kauft oder Digitalisierung und Industrie 4.0 – Kaeser sieht sich mit innovativen und qualitativ hochwertigen Produkten und Dienstleistungen als Vorreiter in der Branche.



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