Startseite » Allgemein »

Ein Schuss erzeugt komplette Blinkergläser

Im 2K-Spritzguss entstehen komplexe Teile ohne Nacharbeit
Ein Schuss erzeugt komplette Blinkergläser

In 68 s ist ein Satz Blinkergläser für einen BMW fertig – einschließlich Katzenauge und Dichtung. Um qualitativ hochwertige Teile zu erhalten, muss die Temperaturverteilung im Werkzeug exakt stimmen.

Was im Volksmund schlicht als Blinkerglas bezeichnet wird, heißt im Fachjargon Lichtscheibe – ein Ausdruck, der dem Anspruch an die Planung und Herstellung solcher Teile schon eher gerecht wird. Schließlich handelt es sich um komplexe und schwierig herzustellende Spritzgießteile.

Ein Unternehmen, das über das erforderliche Know-how verfügt, ist die Vema GmbH mit Sitz in Göggingen, nahe Sigmaringen. Die Firma wurde 1982 von Werner Veser und Josef Macho gegründet und beschäftigte sich von Anfang an damit, hochwertige technische Spritzteile herzustellen. Inzwischen fertigen die Gögginger auch Einlegeteile, Montagebaugruppen, Optik- und Sichtteile sowie Designteile. Obwohl heute 40 Mitarbeiter in Produktion und Verwaltung beschäftigt sind, hat sich das Unternehmen einen familiären Charakter bewahrt.
Rund 60 % ihrer Produkte liefern die Schwaben an Automobilhersteller und -zulieferer. Die Produktion besteht mittlerweile aus 18 Arburg Allrounder Spritzgießmaschinen. Vier der Anlagen mit Schließkräften zwischen 800 und 2200 kN hat der Lossburger Maschinenhersteller für den Zweikomponenten-Spritzguss ausgelegt.
Auf zwei Mehrkomponenten-Maschinen fertigen die Gögginger die Lichtscheiben für BMW. Neben der orangefarbenen Ausführung produzieren die Spritzgieß-Spezialisten auch eine klare Variante für durchgehend weiße Lichtbänder. Die orangefarbene Version entspricht dem US-amerikanischen Standard, dem sich die Europäer 1998 angeschlossen haben. Neben dem seitlichen Blinkeffekt schreibt dieser auch einen reflektierenden Bereich an der Fahrzeugseite vor. BMW wollte jedoch kein separates Katzenauge anbringen und entschloss sich deshalb, den Reflektor in die gebogenen Lichtscheiben der vorderen Blinker zu integrieren.
Zwei unterschiedliche Aufgabenstellungen machen die Teile unter spritzgießtechnischen Gesichtspunkten besonders anspruchsvoll:
– Als Zweikomponententeil wird die Lichtscheibe aus Polymethylmethacrylat (PMMA) und der Dichtungsbereich aus Thermoplastischen Elastomeren (TPE) in einem Arbeitsgang hergestellt. Dabei wird zunächst die Lichtscheibe produziert, dann die Dichtung angespritzt.
– Im seitlichen Reflektorbereich der orangefarbigen Lichtscheibe gibt es einen definierten, lichtdurchlässigen Sektor. Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, muss die Prismenstruktur variiert werden.
PMMA und TPE enthalten keine gemeinsamen Polymeranteile. Damit sich die beiden Materialien überhaupt verbinden können, muss dem Elastomer deshalb eine Komponente zugeführt werden. Geschäftsführer Josef Macho nennt eine weitere Schwierigkeit bei der Produktion der Lichtscheiben: „Eines der entscheidenden Kriterien für die Güte der Teile ist die Werkzeugtemperierung.“ PMMA und TPE verbinden sich im Werkzeug nur dann qualitativ hochwertig, wenn die Temperaturverteilung exakt eingehalten wird. Erschwerend wirken hier die unterschiedlichen Verarbeitungstemperaturen beider Kunststoffe. Das Plexiglas benötigt Formtemperaturen zwischen 65 und 80 °C, während sich das Elastomer zwischen 30 und 40 °C am besten verarbeiten lässt. Um eine optimale Verbindung mit dem TPE sicherzustellen und kurze Zykluszeiten zu erreichen, kühlen die Gögginger Spritzgieß-Spezialisten das PMMA entsprechend herunter. Wie exakt hier gearbeitet werden muss, zeigt die geringe Temperaturspanne, die einzuhalten ist: Sie liegt bei ± 2° C. Wird dieses Toleranzband über- oder unterschritten, stimmen die Teile zwar mechanisch noch, die minimal veränderte Krümmung der Lichtscheibe wirkt sich jedoch negativ auf das Rückstrahlverhalten des Reflektors aus. Eine stichprobenartig durchgeführte, vergleichende Lichtmessung zeigt, ob die produzierten Scheiben die Rückstrahlkraft des Referenzteils erreichen.
Die Rückstrahlergeometrie entsteht durch die Reflektorkerne. Weil diese im Galvanisierungsverfahren hergestellt werden, heißen sie auch galvanische Einsätze oder Galvanos. Nur wenige Firmen in Deutschland können Galvanos auch in einer gekrümmten Fläche wie einer Lichtscheibe herstellen. Ein Paar dieser verchromten Einsätze kostet rund 80000 DM. Ablagerungen im Galvano führen zu stark abfallenden Reflektionswerten der Katzenaugen. Deshalb müssen die Einsätze etwa alle 10000 Schuss ausgebaut und gereinigt werden.
Im Zweifach-Werkzeug entsteht in einem Schuss eine Lichtscheibe für den linken und eine für den rechten vorderen Blinker. Gespritzt werden die Teile auf zwei Arburg Allrounder 520 V 2000, die jeweils mit einem horizontalen Aggregat der Größe 675 und einem vertikalen 350er ausgerüstet sind. Über die Selogica-Steuerung werden auch die notwendigen drei Kernzüge, fünf zusätzliche Temperierkreisläufe sowie die pneumatischen Geiger-Entnahmegeräte bedient. Als besonderen Vorteil der Steuerung sieht Josef Macho „die Flexibilität und die Möglichkeit, den Ablauf der Einzelschritte frei zu programmieren“. Außerdem könne der Bediener den Zyklus in bestimmten Grenzen so verändern, dass ein optimaler zeitlicher Ablauf gewährleistet sei.
Der Gesamtzyklus zum Herstellen der beiden Lichtscheiben dauert rund 68 s. Damit lassen sich pro Tag zwischen 1800 und 2000 Teilesätze produzieren. Am Ende des Zyklus bewegen die Auswerfer im Werkzeug die fertigen Teile um etwa 10 mm nach vorn. Der Arm des Entnahmegeräts nimmt die Spritzlinge mit Hilfe von Saugern auf und legt sie auf einem parallel zur Maschine angeordneten und getakteten Förderband ab.
Die Qualitätsüberwachung erfolgt zunächst nah am Allrounder, indem das Maschinenpersonal eine Sichtkontrolle durchführt. Um die Qualität der Verbindung zu kontrollieren, werden pro 100 Schuss ein bis zwei Stichprobenteile in einer Abzugsprüfung zerstört. Den Anspruch an die Qualität der eigenen Produkte demonstrieren die Gögginger nicht nur mit der Zertifizierung nach DIN EN ISO 9002; das Unternehmen ist auch von der Robert Bosch GmbH, Stuttgart, und der Geberit GmbH, Pfullendorf, auditiert. Dieses QS-Engagement wurde auf Kundenseite honoriert: Vema war 1995/96 Lieferant des Jahres der Bosch-Gruppe.
Die Schwaben liefern die Lichtscheiben typenspezifisch auf Abruf ihres Kunden. Das bedeutet in der Praxis, dass nicht alle Varianten der Blinkergläser kontinuierlich produziert werden. Die flexible Auslegung der Formen – lediglich die Kerne, nicht das gesamte Werkzeug wird getauscht – macht den Produktionswechsel innerhalb kurzer Zeit möglich. Dadurch genügen zwei Mehrkomponenten-Maschinen für die Produktion der Blinkerscheiben.
Immer öfter sind die Gögginger von Anfang an in die Entwicklung ganzer Komponenten einbezogen, wie bei der Leuchtweitenregulierung des Mercedes W 203. Um die Kunden von der Planung bis zur Realisierung von Spritzteilen durchgehend betreuen zu können, hat Vema der Spritzgießproduktion den eigenen Werkzeug-, Vorrichtungs- und Modellbau vorgeschaltet. Zehn Mitarbeiter stellen an computergesteueten Maschinen Formen und Werkzeuge nach den Vorgaben der hauseigenen Konstruktionsabteilung her. In den Formenbau integriert ist der Mess- und Prüfbereich, der unter anderem über eine 3D-Messmaschine verfügt. Firmengründer Macho kommentiert die Situation der Hersteller technischer Spritzteile so: „Ohne einen schnellen und nach modernen Gesichtspunkten funktionierenden Werkzeugbau ist heute kein lukrativer Auftrag mehr zu bekommen.“ hw
Unsere Webinar-Empfehlung
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 4
Ausgabe
4.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Tipps der Redaktion

Unsere Technik-Empfehlungen für Sie

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de