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Einkäufer ernten Respekt

Vom Beschaffer zum Strategen: die neue Rolle der Einkäufer
Einkäufer ernten Respekt

Der Einkauf fristete über Jahrzehnte hinweg als Beschaffer ein Schattendasein. Durch die steigende Komplexität, die Internationalisiserung und strategischen Aufgaben kann er sich in manchen Fällen bis in den Vorstand hocharbeiten.

Die Auftragsbücher sind voll, die Lager sind leer. Das behindert die Produktion fast ebenso stark wie der umgekehrte Fall. Um trotzdem die Versorgung sicherzustellen, muss der Einkauf neue Wege gehen und sich strategisch neu ausrichten. „Die Einkäufer müssen sich mit immer volatiler werdenden Rohstoff- und Beschaffungsmärkten befassen und eine gesamtwirtschaftliche Sicht einnehmen“, rät Dirk Schäfer, Geschäftsführer Projekte bei Kerkhoff Consulting. Das bedeutet mehr Verantwortung für den Einzelnen. Wer sich bisher damit begnügte, Bestellungen aufzugeben und den Wareneingang zu quittieren, wird sich mit seiner neuen Rolle schwertun, denn sie beinhaltet die Koooperation mit anderen Abteilungen.

„Man muss aber nicht unbedingt das ganze Unternehmen umkrempeln“, so Schäfer, „es genügt manchmal, sich auf zwei bis drei Abteilungen zu beschränken.“ Will man aber die Fertigungstiefe überprüfen – also entscheiden, welche Produkte man selbst herstellt oder von extern einkauft –, dann ist es eine unternehmensweite Aufgabe. „Jedes zehnte Unternehmen betrachtet die Reorganisation als Gesamtaufgabe, 90 Prozent führen sie mit Konstruktion und Einkauf in einem eigenen Projekt durch“, schätzt Schäfer. Zurzeit werden in einigen Unternehmen als Pilotprojekte Abteilungen für die Kostenanalyse aufgebaut, wie es sie bereits in der Autoindustrie gibt. Die bringen den technischen Input und sind auf dem Arbeitsmarkt schwerer zu finden als gute Einkäufer. „In zwei bis drei Jahren werden Kostenanalyseteams eine hohe Bedeutung haben“, so Schäfer. Die Zeiten, als man mit einem Anruf drei Prozent auf alles bekam, sind vorbei. „Heute geht es um strategische Lieferantenbeziehungen.
Innerhalb der Unternehmen führte der Einkauf jedoch häufig ein Schattendasein und wurde lediglich als Beschaffer betrachtet, als ein Bindeglied zwischen der Konstruktion und Produktion auf der einen Seite und den Lieferanten auf der anderen. Wenn die Preise stiegen, wurde es dem Einkäufer angelastet, der scheinbar nicht genug Verhandlungsgeschick an den Tag legte. Dabei ist es durchaus möglich, dass zwar die Produkte teurer wurden, die Abwicklung und der Service sich jedoch so stark verbesserten, dass sich das unternehmensintern in barer Münze auszahlt. Gute Einkäufer sorgen dafür, dass ihre Erfolge an den richtigen Stellen bekannt werden. Die Kommunikation trägt Früchte. Schäfer: „Der Einkauf agiert heute auf Augenhöhe als gleichberechtigter Partner zu anderen Abteilungen und kann sogar eigene strategische Projekte anschieben.“
Dr. Holger Hildebrandt, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V., sieht das ähnlich: „Ein Unternehmen, das den Beschaffungsmanager nur als ausführendes Bestellorgan vorgelagerter Firmenbereiche versteht, handelt nicht nur unökonomisch, sondern auch existenzgefährdend.“ Ein hohes Ansehen genieße der Einkauf innerbetrieblich insbesondere in Branchen, die sich durch eine geringe Fertigungstiefe kennzeichnen und in denen die Qualität der Vorlieferanten und deren Produkte und Rohstoffe eine bedeutsame Rolle spielt. Exemplarisch hierfür stehen die Automobilindustrie, die Pharma-Branche sowie der Anlagen- und Maschinenbau. „Auch im Finanz- und Dienstleistungsbereich wächst das Ansehen des Einkaufs“, beobachtet der BME-Chef. Vor allem Global Player, so sein Rat, sollten die Beschaffung unternehmensintern nachhaltig fördern. „Der Einkauf muss künftig noch stärker in den Vorständen der Großunternehmen vertreten sein als bisher. Hier besteht noch Potenzial.“
In Sachen Respekt hat sich in den vergangenen Jahren bereits einiges getan: „Früher war der Einkaufsleiter dem Produktionsleiter unterstellt“, erklärt Schäfer, „heute berichtet er direkt an die Geschäftsführung oder ist sogar selbst Mitglied, weil bekannt ist, wie viel er zum Unternehmenserfolg beitragen kann“, zitiert Schäfer ein Beispiel aus seiner Beratungserfahrung. Selbst wenn eine solche Position nicht vorgesehen ist, haben zahlreiche Unternehmen zumindest einen Head of Supply Chain. „Ein guter Einkauf ist fast immer wettbewerbskritisch“, so Schäfer. Wenn die Supply Chain funktioniert, kann man sogar mehr verkaufen. Ungeschulte Einkäufer machen immer noch etliche vermeidbare Fehler: „Wenn die Ernte vorbei ist, verkauft man keine Ballenpressen mehr“, so Schäfer. Ein Unternehmen konnte zum Beispiel statt 6000 nur 4000 Maschinen verkaufen. „Das lag daran, dass sie auf Grund einer schlechten Einkaufsstrategie sehr lange Lieferzeiten und Verfügbarkeitsprobleme hatten und nicht die Menge absetzen konnten, die der Markt tatsächlich nachgefragt hat.“
Einkäufer müssen an alles denken, was ihre Beschaffung beeinflussen könnte. „Einer der größten Fehler besteht darin, auf neue Herausforderungen nicht rechtzeitig zu reagieren“, so Hildebrandt, „das haben der Vulkanascheregen über Island, die Japan-Krise und der Bahnstreik eindrucksvoll bewiesen.“ Nur die Beschaffer seien erfolgreich, die ihr Risk Management permanent überprüfen und anpassen. Dazu gehört, die eigene Supply Chain nicht nur von einem Lieferanten abhängig zu machen. „Fällt der aus, müssen schnell alternative Zulieferer in die Bresche springen, damit die Lieferkette nicht reißt.“ Angesichts des wachsenden Einflusses von Investmentbanken und Fondsgesellschaften auf die Preisbildung an den Rohstoffmärkten wird von den Einkäufern zunehmend auch finanztechnisches Know-how gefordert. „Diese Aufgabe wird häufig unterschätzt.“
Gute Einkäufer, die etwas von Strategien, Finanzen und Prozessen verstehen und zudem gut intern kommunizieren und extern verhandeln können, sind auf dem Arbeitsmarkt rar. Wenn beispielsweise die Konstruktion ein Teil mit einem geringeren Stahlanteil entwickelt, um auf die gestiegenen Rohstoffpreise zu reagieren, heißt das noch lange nicht, dass die Preisvorteile auch beim Einkauf ankommen. „Vielen Unternehmen gelingt es nicht, durch eine Spezifikationsänderung einen Effekt beim Lieferanten zu erzielen“, so Schäfer. Damit der Lieferant nicht einfach dünnere Bleche zum gleichen Preis anbietet und sich über eine höhere Marge freut, muss man hart verhandeln können.
Auch mit elektronischen Beschaffungslösungen zur Optimierung der Geschäftsabläufe müssen sich Einkäufer gut auskennen. „Dank der robusten Konjunktur investieren deutsche Unternehmen wieder mehr in E-Procurement“, sagt Hildebrandt. Aus gutem Grund: Die Unternehmen senken ihre Einstandskosten im Durchschnitt um fünf Prozent beim Einsatz von Katalogsystemen oder Ausschreibungen. „Bei Auktionslösungen sind es sogar zwölf Prozent“, meint Hildebrandt. Hinzu komme die Reduktion der Prozesskosten von durchschnittlich 25 Prozent bei Katalogsystemen, zehn Prozent bei Ausschreibungslösungen und fünf Prozent bei Auktionen sowie eine Reihe nicht direkt quantifizierbarer Erfolge wie die Erhöhung der Compliance. Kleine und mittlere Unternehme (KMU) profitieren dabei in ähnlichem Umfang, bei einigen Lösungen sogar mehr als Großunternehmen und Konzerne. „E-Procurement-Lösungen lassen sich aber nicht nebenbei einführen“, betont Hildebrandt, „sie müssen kontinuierlich gepflegt und weiterentwickelt werden.“
Wer sich mit der Fülle und Vielfalt seiner neuen Aufgaben überfordert fühlt, sollte sich nicht scheuen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen: „Vor dem Hintergrund komplexer internationaler Güter- und Dienstleistungsströme nehmen Beschaffungsentscheider verstärkt strategische Aufgaben wahr und koordinieren den globalen Einkaufsprozess“, erklärt Hildebrandt. Um den Anforderungen neuer Organisationsstrukturen gerecht zu werden, gelte es für Global Player und KMU, zunehmend externe Dienstleister in den Beschaffungsprozess einzubinden. „Dienstleister unterstützen Einkaufsabteilungen bei der Konzeption von Projekten und übernehmen strategische sowie operative Einkaufsverantwortung.“ Die höchste Priorität liege darin, dass die externen Berater Leistungen standardisiert ausschreiben, Qualitätssicherung betreiben und Rahmenverträge aufsetzen. „Um das Leistungsportfolio der Beschaffungsdienstleister optimal zu beurteilen, ist der intensive Austausch mit Einkaufskollegen aus dem eigenen und auch anderen Unternehmen unerlässlich“, betont Hildebrandt, „denn aufwändige Marketingaktivitäten sagen noch nichts über deren tatsächliche Leistungsfähigkeit aus.“ Der BME unterstützt Mitglieder bei der Suche nach den passenden Anbietern und befasst sich mit dem Thema Beschaffungsdienstleister in einer eigenen Sektion.
Kirsten Seegmüller Freie Journalistin in Leinfelden
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