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Elektronik als Herrscherin über die Fahrzeuggeräusche

Adaptronik: ContiTech arbeitet an aktiven Systemen im Automobil
Elektronik als Herrscherin über die Fahrzeuggeräusche

Ein ehrgeiziges Projekt: Elektrisch ansteuerbare Aktoren sollen das Auto in eine intelligente Struktur verwandeln, die nur so viel Körperschall zulässt, wie es für den Fahrer gut ist. Das Ergebnis sind gezielt gestylte Geräusche und ein höherer Fahrkomfort.

„Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem die herkömmlichen Konzepte der Reduzierung von Schwingungen und Geräuschen weitgehend ausgereizt sind“, sagt Dr. Hans-Jürgen Karkosch, Entwickler bei der ContiTech Vibration Control GmbH in Hannover. Zum Beispiel bei der Motoraufhängung im Auto: Technisch gesehen verlangt eine hohe Fahrdynamik eine möglichst starre Anbindung des Motors an das Chassis. Das aber führt zu starken Geräuschen. Eine weiche Aufhängung wiederum erhöht zwar den Komfort, wirkt sich aber negativ auf die Fahrdynamik aus. Beispielsweise wird das Kurvenverhalten des Fahrzeugs beeinflusst, Straßenunebenheiten lassen sich weniger effektiv bedämpfen. ContiTech Vibration Control löst den Konflikt mit aktiven Tilgern und hat dieses Konzept bereits an vielen Versuchsfahrzeugen unterschiedlicher Fahrzeughersteller mit Erfolg getestet.

Seit 1996 beschäftigt sich die Vorentwicklung von ContiTech mit dieser Technologie und hält ein wichtiges Patent für einen elektromagnetischen Aktor. Der aktive Tilger ist umfangreich getestet und hat seine Tauglichkeit für die Serie bewiesen. „Gemeinsam mit Automobilherstellern haben wir Serienfahrzeuge mit aktiven Tilgersystemen ausgerüstet und erprobt“, berichtet Karkosch. „Unter allen Fahrbedingungen ließen sich Komfortverbesserungen erzielen.“
Das Prinzip des aktiven Tilgers von ContiTech basiert auf dem Einsatz von elektrischer Energie, mit der ein Aktor gezielt gegenläufige Schwingungen erzeugt, die dann beispielsweise in die Karosserie eines Pkw eingeleitet werden. „Diese gegenphasige Kompensation wird genutzt, um die Übertragung von störenden Vibrationen des Motors auf die Karosserie zu reduzieren und den damit einhergehenden akustischen Schalldruck im Fahrzeuginneren zu verringern“, erklärt Karkosch. Dabei können aktive Tilgersysteme den Geräuschpegel in der Fahrgastkabine um bis zu 12 dBA verringern. Das menschliche Ohr empfindet schon eine Absenkung um 10 dBA als eine Halbierung des Geräuschpegels.
Vier Komponenten bilden die Basis des aktiven Tilgersystems: der Aktor zur Kraftkompensation, das elektronische Steuergerät, ein Leistungsverstärker und ein Beschleunigungssensor. Der Sensor misst die Schwingungen, die über das Lager auf die Karosserie übertragen werden, und führt sie einem elektronischen Steuergerät zu. Dieses muss gemeinsam mit dem Verstärker das Sensorsignal so modifizieren, dass der Aktor eine um 180° phasenverschobene Schwingung generiert, die aber die gleiche Amplitude hat. „Hierdurch lässt sich eine störende Anregung ausgleichen. Hörbare Frequenzen werden leiser und Vibrationen, etwa im Bodenblech, werden fühlbar verringert.“ Zur Sicherung einer ausreichenden Kompensationswirkung muss die Gegenschwingung im gesamten Arbeitsbereich (20 bis 800 Hz) mit einer Genauigkeit von ± 5° in der Phase und ± 0,5 dB in der Amplitude erzeugt werden.
Ein Kernstück ist das elektronische Steuergerät, auf dem speziell entwickelte Regelalgorithmen implementiert werden. Eine Autotuning-Funktion übernimmt die Feinjustierung. Je nach Fahrzeugkonfiguration kann ein Steuergerät einen oder mehrere Aktoren gleichzeitig ansprechen. Regelt ein Steuergerät verschiedene Aktoren – und damit die Schwingungsunterdrückung an verschiedenen Stellen – lässt es sich im Pkw an geschützter Stelle unterbringen. Ist das Steuergerät integraler Bestandteil des Aktorsystems, so sind beide in einem Gehäuse vereint und können Platz sparend im Fahrzeug verbaut werden. Für die Entwicklung von Steuergerät und Sensoren greift ContiTech Vibration Control innerhalb des Konzerns auf die Kompetenz von Continental Automotive Systems zurück.
An die Aktoren werden hohe Anforderungen gestellt: Um im Motorraum verbaut werden zu können, sollten sie möglichst klein sein. Gleichzeitig ist ein großes Kraftpotenzial über einen weiten Frequenzbereich gefordert. Zudem muss die Verlustleistung des Aktors, die sich auf die innere Wärmeentwicklung auswirkt, angesichts der zu erwartenden hohen Umgebungstemperaturen gering sein. Bisher sind die in aktiven Tilgersystemen eingesetzten elektromagnetischen Aktoren massive Bauteile. Der nächste Entwicklungsschritt besteht in der Erprobung neuer, flexibler Materialien. „Wir suchen derzeit nach Alternativen. Erfolg versprechend sind Untersuchungen mit Piezo-Stapelaktoren und Piezofolien. Von der Funktionalität her erzielten sie ähnliche Ergebnisse“, erklärt Karkosch. „An die Produktion im industriellen Maßstab – etwa für die Automobilindustrie – ist aber noch nicht zu denken. Eher lassen sich Kleinserien verwirklichen.“ Im Fahrzeugbau könnte so ein Piezo-Aktor wie eine Folie verarbeitet werden. Mögliche Anwendungen wären großflächige Blech- aber auch Trägerstrukturen. Diese ließen sich signifikant beruhigen.
Nicht in allen Fällen ist es sinnvoll, den Körperschall im Fahrzeuginneren fast ganz zu reduzieren. Ein Fahrer rechnet bei steigenden Drehzahlen mit zunehmenden Fahrzeuggeräuschen – bleiben diese aus, kann es ihn irritieren. Die ContiTech-Ingenieure arbeiten deshalb auch an einem so genannten Sound-Engineering. Dazu lässt sich ein aktives Tilgersystem nutzen – beispielsweise durch die Kombination von Schwingungstilgung mit einer gezielten Körperschall-Erzeugung. Die Tilger werden dabei so angesteuert, dass sie in gewissen Frequenzbereichen Schwingungen reduzieren oder erhöhen. „So wird der vom Motor ausgehende Körperschall harmonisiert. Wechsel in der Schwingungsintensität können ausgeglichen und damit das störende Gefühl einer unsteten Geräuschentwicklung abgestellt werden“, sagt Karkosch. Seine Serienpremiere dürfte das aktive Tilgersystem wohl im Automobil feiern. Das Interesse daran ist mit der CO2-Diskussion wieder erstarkt, denn die Automobilindustrie setzt auf verbrauchsarme Antriebskonzepte. Insbesondere die Zylinderabschaltung, Hybridantriebe und hoch komprimierende Dieselmotoren finden hier Beachtung. Prinzipbedingt können diese Konzepte aber das Schwingungsniveau erhöhen und somit den Fahrkomfort verringern. Hier können aktive Tilgersysteme einen wichtigen Beitrag für mehr Fahrkomfort und damit auch für umweltfreundliche Fahrzeuge leisten. Die Technik ist aber prinzipiell auf jede schwingungstechnische Anwendung übertragbar. Dem Einsatz in anderen industriellen Anwendungen steht demnach aus technologischer Sicht nichts entgegen.
Mario Töpfer, Leiter Fachpresse bei der ContiTech AG, Hannover
Aktoren erzeugen gegenläufige Schwingungen

Aktionsplattform
Damit schnell wettbewerbsfähige Produkte aus der Adaptronik entstehen, gründete das Fraunhofer LBF in Darmstadt den Verein Rhein-Main Adaptronik als Integrations- und Aktionsplattform. Zu den elf Netzwerkpartnern gehören die Unternehmen Adam Opel, ContiTech Vibration Control, Harmonic Drive, KSB, Schenck RoTec, Stress and Strength, ISYS Adaptive Solutions und der TÜV Hessen.

Neue Technologien
Weniger Schwingungen und Vibrationen, weniger Geräusche – für hochpräzise Maschinen ein extrem wichtiges Ziel. Auch für den Automobilbau gilt dies, selbst wenn sich heute niemand mehr über den Lärm im Innern beschwert. Denn wenn die Autos leichter werden, nehmen ihre Schwingneigung und somit der Geräuschpegel automatisch wieder zu. Adaptronische Konzepte leisten Abhilfe, ohne die Masse zu steigern, indem sie Gegenschwingungen erzeugen.
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