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Elektronik weiß, wie das Auto am besten fährt

By-Wire-Technik: Ingenieure verabschieden sich von der Mechanik
Elektronik weiß, wie das Auto am besten fährt

Elektromotoren und Aktoren ergänzen die Mechanik in Fahrzeugen und werden sie nach Ansicht von Experten eines Tages ganz ersetzen. Ein paar Jahre wird es noch dauern, bis sich die sogenannten By-Wire-Techniken durchsetzen. Für die Zulieferer steht daher eine Umstellung an.

Von unserem Redaktionsmitglied Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de

Kein Lenkrad, kein Schalthebel, keine Pedale. Statt dessen versteckt sich in der Türverkleidung des Konzeptfahrzeugs Bertone-SKF-Novanta eine elektronische Bedieneinheit, die Guida, die sich auf Knopfdruck dem Fahrer entgegenstreckt – denn im Novanta sind alle Funktionen, die sich schon mechatronisch ausführen lassen, mit der By-Wire-Technik gelöst: Was der Mensch möchte, wird durch eine Leitung – by wire eben – elektronisch vermittelt und mit Elektromotoren umgesetzt. Durch Drehen dieser Einheit lenkt der Fahrer, das Drehen der Griffe entspricht wie beim Motorrad dem Gasgeben, und ein kräftiges Zusammendrücken der Griffe signalisiert den Sensoren im Moosgummi, dass die Bremsen gefordert sind.
Die große Leere im Innenraum und unter der Motorhaube ist allerdings keine Spielerei: Wenn es ein Automobilbauer schafft, Lenksäule, Zahnstange und auch sonst möglichst viele Stahlteile aus dem Pkw zu verbannen, hat er das Gewicht des Fahrzeugs reduziert und kann einfacher konstruieren und montieren. Dafür muss er die potenziellen Käufer mit dem geringeren Spritverbrauch von der ungewohnten Bauweise überzeugen – und ein paar technischen Herausforderungen begegnen.
Auch wenn es nach Expertenmeinung noch dauern wird, bis sich solche Techniken im Pkw durchsetzen, wird der Trend an der Zuliefer-Branche nicht spurlos vorübergehen. Zurzeit erfordern die By- Wire-Entwicklungen einen langen Atem, da sie kurzfristig keine höheren Umsätze versprechen. Peter Scharnberger, Director Business Development beim italienischen Geschäftsbereich Drive-by-Wire der Göteborger SKF AB, ist allerdings davon überzeugt, dass die mechatronischen Lösungen schließlich die mechanischen verdrängen werden. Die Lagerspezialisten engagieren sich auf diesem Gebiet: Sie haben das By-Wire-System des Bertone-SKF-Novanta entwickelt. „Ob genau so ein Auto jemals gebaut wird, können wir getrost mit einem Fragezeichen versehen“, gibt Scharnberger zu. „Aber wir wollten zeigen, was man schon tun könnte.“ Daher sind die Ingenieure mit dem Konzeptfahrzeug den radikalen Weg gegangen und haben das Auto nach dem Vorbild moderner Flugzeuge ausgestattet – nicht zuletzt, um Aufsehen auf Automobilausstellungen zu erregen.
Manche By-Wire-Ansätze sind vielleicht weniger spektakulär, aber schon verbreitet. „Viele Autofahrer wissen gar nicht, dass sie elektronisch Gas geben“, sagt Scharnberger. Ein Kabel und ein Aktor ersetzen die mechanische Verbindung zwischen Gaspedal und Drosselklappe. So eine Lösung, die nicht viel Kraft übertragen muss, lasse sich über das bisher übli- che Standard-12-V-Bordnetz realisieren. Gleiches gelte für automatische Schaltungen oder Parkbremsen. Von nennenswerten Stückzahlen sei noch nicht die Rede – „aber die Parkbremse ist die By-Wire-Technik, die sich als nächste durchsetzen wird“, sagt Scharnberger.
Wer wie SKF an Gaspedal und Parkbremse arbeitet, setzt auf Techniken, bei denen sich die Investitionen voraussichtlich in den nächsten drei oder vier Jahren rentieren. Darüber hinaus sind die Lagerexperten in langfristig interessanten Bereichen aktiv. „Bis wir elektronisch lenken und bremsen, werden aber noch ein paar Jahre ins Land gehen“, vermutet der Mechatronik-Experte von SKF. Für die Anwendungen wie Lenken und Bremsen, für die mehr Kraft erforderlich ist, wird das 12-V-Bordnetz nicht ausreichen. Vielmehr sei erst dann mit einer größeren Verbreitung zu rechnen, wenn in den Fahrzeugen ein Netz mit 42 V zur Verfügung steht. Als realistisch für diese Veränderungen nennen Experten die Jahre 2010 oder 2012.
Ein weiteres Thema für die By-Wire-Akteure ist die Sicherheit: Das Gesetz schreibt ein redundantes Rückfallsystem vor, das alle sicherheitsrelevanten Funktionen auch bei einem Ausfall garantiert. Behielte man die Mechanik aus diesem Grunde bei, hätten sich viele Vorteile der Elektronik erledigt. Sinnvoll wäre es also, die Vorschriften mit zwei By-Wire-Systemen zu erfüllen.
Auch wenn die Markteinführung dieser Technik noch aussteht, beginnen manche Zulieferer bereits, sich umzuorientieren. Nach Auskunft von Werner Blaß, Geschäftsführer des Fachverbandes Elektrische Antriebe im ZVEI, Frankfurt/M., schreiben beispielsweise die Hersteller von Kleinmotoren seit etwa zehn Jahren eine Erfolgsstory. „Selbst im einfachsten Kleinwagen surren heute bis zu zehn Kleinmotoren, in einem Mittelklassewagen können es bis zu 100 sein – weil sich fast alles außer den Rädern heute schon durch diese Motoren bewegt.“ Klar sei allerdings auch, dass ein Motor allein keine elektronische Lenkung mache und die Hersteller zunehmend als Lieferanten von Subsystemen gefordert seien. Wer aber einen Scheibenwischer-Motor herstellt, könne auf einen Markt für neue Produkte im By-Wire-Bereich hoffen, so Scharnberger.
Eine schnelle Umstellung im Denken der Zulieferer hält Dr. Gernot Spiegelberg, Senior Manager Systeme und Technologien beim Geschäftsbereich Power Systems der Stuttgarter Daimler-Chrysler AG, für erforderlich: „Es wird bei ihnen zukünftig viel stärker darum gehen, funktionale Software zu entwickeln und zu verkaufen, als sich mit der Integration von Hardware zu befassen.“ Für die elektronischen Systeme in den sicherheitsrelevanten Bereichen sieht der Experte noch höhere Anforderungen als bei bisherigen mechatronischen Systemen, die den Komfort im Fahrzeug steigern. „Die By- Wire-Techniken sind meiner Ansicht nach nur dann sinnvoll, wenn die Aktivitäten der einzelnen Systeme im Fahrzeug zentralisiert und koordiniert ablaufen“, sagt Spiegelberg. Das ist aus heutiger Sicht geradezu revolutionär, denn bisher gebe es zwischen den Anbietern der Funktionen keine nennenswerte Zusammenarbeit. Vielmehr stünde jedes Teilsystem im Fahrzeug für sich. Schlussfolgerung: Trotz der Fortschritte bei der Elektronik muss das Gehirn des Fahrers weiterhin die Bewegungen des Autos koordinieren – indem die Hände an der Bedieneinheit dosiert drücken und drehen.
Diese Koordination wollen Forscher und Unternehmen im EU-Projekt „Powertrain Equipped with Intelligent Technology“ (Peit) auf einen Rechner übertragen. Spiegelberg, der das Projekt leitet, beschreibt die Vision der Beteiligten: Sie entwerfen einen kompletten Antriebsstrang für Schwerlastfahrzeuge, in dem sich mechatronische Bremse, Lenkung, Gaspedal und Kupplung untereinander abstimmen – im Dienste der Sicherheit und der Energieersparnis. Bis 2005 läuft das Projekt, dessen Ergebnisse auch auf Pkw übertragbar sein sollen. Weitere Forschungsarbeiten sind geplant, in die auch die Unfallvermeidung mit integriert werden soll.
Von der By-Wire-Technik allein wird die Zukunft des Automobils jedoch nicht bestimmt, wie ein weiteres Beispiel zeigt: Im Konzeptfahrzeug Hy-Wire des US-amerikanischen General-Motors-Konzerns sind viele Funktionen mechatronisch realisiert – und es hat darüber hinaus einen Brennstoffzellen-Antrieb.
By-Wire-Technik braucht redundantes Rückfallsystem

By-Wire-Technik
Mögliche Funktionen:
  • Gaspedal
  • Handbremse
  • Kupplung
  • Bremse
  • Lenkung
Technische Hürden:
  • Einheitliches Kommunikationssystem im Fahrzeug
  • Bordnetz mit 42 V (statt bisher 12 V) für Bremse und Lenkung
  • Sicherheit – Gesetzgeber fordert bisher eine mechanische Rückfallebene
Weitere Informationen:
EU-Projekt für intelligenten Antriebsstrang, der alle Funktionen integriert www.eu-peit.net

Motor für Lenkhilfe muss robust sein

Eine Aktivlenkung, die die Geschwindigkeit des Fahrzeugs berücksichtigt, haben die Entwickler für den neuen BMW der 5er-Reihe vorgesehen. Damit der Fahrer beim Parken wenig kurbeln muss, aber dennoch nicht bei einer kleinen Lenkbewegung auf der Autobahn aus der Spur kommt, war ein innovativer Antrieb für die Lenkhilfe erforderlich. Sein Kern ist ein Planetengetriebe mit elektronisch kommutiertem EC-Motor der St. Georgener Papst-Motoren GmbH & Co. KG. Seine Komponenten sollten nicht nur leistungsstark und zuverlässig arbeiten, sondern auch leise sein, geringe Drehmomentpulsationen aufweisen und zwischen den niedrigen Drehzahlen für eine dezente Lenkunterstützung und dem dynamischen Hochlauf beim Einparken wechseln können. Weitere Herausforderungen an die Entwickler: Weil die Temperatur unter der Motorhaube zwischen – 40 °C und 125 °C schwankt, das Getriebe im Lenkungsbereich aber dennoch spielfrei arbeiten soll, reichte eine Dehnungsfuge nicht aus, um die Materialausdehnung auszugleichen. Daher ist der Motor mit einer federbelasteten, um wenige Grad schwenkbaren Rotorwelle ausgestattet. Sie sichert den spielfreien Kontakt der Schneckenwelle des Motors zum Schneckenrad.
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