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Empfindliche Bauteil-Oberflächen werden nicht beeinträchtigt

Magnetumformen: Werkstücke ohne Berührung hochdruckfest verbinden
Empfindliche Bauteil-Oberflächen werden nicht beeinträchtigt

Das Magnetumform-Verfahren bietet überall dort Vorteile, wo konzentrische Bauteile formschlüssig miteinander zu verbinden sind oder wo ein metallischer Mantel mehrere Einzelteile umschließen soll. Da das Verfahren berührungslos erfolgt, lassen sich auch beschichtete Werkstücke ohne Beeinträchtigung der Oberfläche bearbeiten.

Von unserem Redaktionsmitglied Dr. Bernhard Reichenbach

Werkstücke ohne Berührung verformen und fügen – das Magnetumformen macht’s möglich. Damit lassen sich unterschiedliche Teile wie Rohre, Ringe und Anschlußstücke in gewünschter Form zu einem Produkt verbinden – ohne Löten, Schweißen, Kleben oder Schrauben. Und das ist noch nicht alles: Die Werkstücke können auch zusammengedrückt, aufgeweitet und verschlossen werden. Außerdem lassen sich Bördelungen und regelmäßige Beulstrukturen anbringen.
Das Potential des Verfahrens reicht allerdings über reine Umform- und Fügeoperationen hinaus und beeinhaltet auch Anwendungen wie das Kalibrieren, Prägen und sogar das Trennen. So können beispielsweise ebene Bleche, Rohre und Profile mit beliebig geformten Durchbrüchen versehen werden. Voraussetzungen sind Matrizen mit entsprechenden Konturen.
Die größte Bedeutung kommt derzeit allerdings dem Fügen durch Herstellen formschlüssiger Verbindungen zu. „Dank moderner Werkzeugtechnologie können auch nichtrotationssymmetrische Teile, beispielsweise rechteckige Profile, gefügt werden“, erläutert Dipl.-Ing. Charlotte Beerwald, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Umformtechnik der Universität Dortmund.
Das Verfahren basiert auf magnetischer Impulstechnik und läuft wie folgt ab: In einem Kondensator gespeicherte elektrische Energie wird über eine als Werkzeug wirkende Arbeitsspule entladen. So entsteht kurzzeitig ein starkes Magnetfeld, das auf das benachbarte Werkstück einen magnetischen Druck ausübt. Sobald dieser die Fließspannung des Werkstoffs überschreitet, wird das Teil berührungslos kaltverformt. Dadurch entsteht – etwa bei zusammengesteckten Rohren und Hülsen – eine dichte, hochdruckfeste Verbindung.
Das Magnetumformen eignet sich für alle plastisch umformbaren und elektrisch gut leitfähigen Werkstoffe. Günstige Voraussetzungen bieten somit Kupfer und Aluminium, deren Legierungen sowie andere Leichtmetall-Legierungen. „Da Aluminium vermehrt als Konstruk-tionswerkstoff im Leichtbau zum Einsatz kommt, wird die Technik für die Serienfertigung entsprechender Komponenten interessant“, merkt Charlotte Beerwald an.
Zwar läßt sich auch Stahl impulsmagnetisch umformen, doch ist aufgrund der relativ geringen Leitfähigkeit dieses Materials und der notwendigen hohen Umformdrücke der Wirkungsgrad des Verfahrens stark reduziert. Es besteht jedoch die Möglichkeit, Teile aus schlecht leitendem Material mit einer gut leitenden Hülle, etwa Aluminiumfolie, zu umgeben. „Die Folie ermöglicht eine Strominduktion und überträgt die Umformkraft auf das Werkstück“, erläutert Charlotte Beerwald.
Magnetumformanlagen sind leicht und sicher zu bedienen
Das Umformen metallischer Werkstücke mit elektrisch nicht leitfähiger Beschichtung zählt ebenfalls zum Programm. Dabei durchdringt das Magnetfeld den Überzug und erzeugt erst im leitfähigen Grundwerkstoff die gewünschte Kraftwirkung. Die Beschichtung – etwa für Isolation oder Korro-sionsschutz – wird somit nicht beeinträchtigt.
Per Magnetumformen lassen sich aber auch nichtmetallische Fügepartner verbinden, sofern einer davon impulsmagnetisch umformbar ist. Entsprechende Metallteile können so auf Werkstücke aus Kunst- und Verbundwerkstoffen, Glas oder Keramik aufgepreßt werden. „Für entsprechende innovative Verbindungen besteht ein großes Potential“, stellt Charlotte Beerwald fest. „Dies gilt insbesondere im Zusammenhang mit der Umsetzung von Leichtbaukonzepten in Mischbauweise.“ Ein Anwendungsschwerpunkt kann hier, nach Auffassung der jungen Wissenschaftlerin, Ersatz von oder die Kombination mit klassischen Fügeverfahren wie Schweißen, Löten oder Kleben sein.
Das impulsmagnetische Umformen bietet zahlreiche Vorteile, die sich häufig positiv auf den Faktor Kosten und damit die Wirtschaftlichkeit auswirken. Sie zeigen sich speziell bei zylinderförmigen Teilen aus gut leitendem Material, die mit anderen Körpern verbunden werden sollen. Zu den besonderen Stärken des Verfahrens zählen
– gute Steuerbarkeit,
– einfache und sichere Handhabung,
– gute Automatisierbarkeit,
– geringer Energiebedarf sowie
– hohe Wiederholgenauigkeit und Prozeßsicherheit.
Letzteres hat zur Folge, daß Betriebsunterbrechnungen ohne nachteiligen Einfluß bleiben: „Bereits das erste nach einer Pause gefertigte Teil besitzt wieder die gewünschte Qualität“, berichtet Charlotte Beerwald.
Da die Umformkraft berührungslos angreift, werden empfindliche Werkstückoberflächen nicht durch Kratzer, Werkzeugabdrücke oder Verunreinigungen beeinträchtigt. Außerdem kann der Anwender auf Fertigungshilfsstoffe wie Schmiermittel komplett verzichten und so ohne Reinigungsoperationen eine saubere Produktion realisieren.
Der material- und umweltschonende Bearbeitungsprozeß läuft so schnell ab, daß er keine thermischen Belastungen mit sich bringt, die im Werkstoff Gefügeänderungen hervorrufen könnten. Anders als bei herkömmlichen Verfahren entstehen weder giftige Dämpfe noch Ausgasungen.
Qualitätskontrolle und Wartung sind deutlich vereinfacht
Magnetfelder und magnetische Kräfte wirken ungehindert durch Materialien wie Kunststoff, Keramik und Glas hindurch. Daher kann das Verfahren auch im Vakuum, unter Schutzgasatmosphäre oder Reinraumbedingungen eingesetzt werden.
Der Aufwand an Werkzeugen und Vorrichtungen ist deutlich geringer als bei herkömmlichen Umformverfahren. Es gibt keinen mechanischen Verschleiß an Werkzeugen. Ein Vor- oder Nachbehandeln der Werkstücke ist nicht erforderlich. Dichtungsprobleme wie beim hydraulischen Umformen entfallen. Qualitätskontrolle und Wartung sind wesentlich vereinfacht.
Ein gravierender Unterschied zum Tiefziehen ist, daß nur eine Negativform der Matrize hergestellt werden muß. Dies, sowie der einfache Aufbau von Matrize und übrigem Werkzeug, macht das Verfahren auch für den Einsatz im Bereich des Rapid Prototyping interessant.
Trotz aller Vorteile – ein Manko bleibt: Kaum jemand setzt das Verfahren industriell ein, obwohl es bei diversen Anwendungen mechanischen und thermischen Verfahren überlegen ist. Zu den Gründen, die für diesen seltsamen Sachverhalt angeführt werden, zählt beispielsweise die Einschränkung auf gut leitende Werkstoffe oder die mangelnde Eignung für echte Massenproduktion. Häufig aber bestehen bei potentiellen Anwendern einfach Berührungsängste gegenüber dem berührungslosen Verfahren.
Somit beschränkt sich die industrielle Praxis auf Einzelfälle wie das Verbinden von Rohrleitungen aus Aluminium oder Kupfer mit verschiedenen Anschlußstücken, das Konfektionieren von Koaxialkabeln, das Aufpressen von Kupfer-Kappen auf Hochspannungssicherungen, die Montage pneumatischer Zylinder oder das Kalibrieren von Aluminium-Rohren für Fahrradrahmen.
Die abbildende Formgebung mittels Matrizen, etwa das Kalibrieren von Profilen, bietet ein beträchtliches Einsatzpotential.
Beim Umformen in eine Matrize wird deren Geometrie mit hoher Formtreue abgebildet. Dies kann beispielsweise zum Kalibrieren stranggepreßter Aluminiumrohre auf einen eng tolerierten Nenndurchmesser genutzt werden, um definierte Spaltweiten – etwa für eine nachfolgende Klebeoperation – zu erreichen. „Möglich ist es auch“, erläutert Charlotte Beerwald, „die Querschnittsgeometrien von Profilen durch Abformen auf eine entsprechend ausgebildete Matrize zu ändern.“
Eine weitere interessante Anwendung ist der Zusammenbau mehrpoliger Dauermagnete in Serie. Bei diesen Bauteilen soll ein dünnwandiger Aluminiummantel mehrere Einzelteile umschließen und diese sicher in ihrer Lage zueinander fixieren. Zunächst werden die Teile lose in den Mantel eingelegt. Dieser wird dann mit einer definierten Energiemenge so umgeformt, daß er aufschrumpft.
Für die genannten Anwendungen sind bei verschiedenen Anbietern Systeme unterschiedlicher Größe zu beziehen. Die Anschaffungskosten entsprechender Sonderanlagen sind – je nach Leistungsstärke und zu bearbeitender Teilegröße – sehr unterschiedlich. Sie reichen von unter 100000 bis über 1000000 Mark.
Zur Grundausstattung einer Magnetumformanlage gehören Spulensysteme unterschiedlicher Abmessungen. Für eine wirtschaftliche Fertigung ist etwa bei Kompressionsspulen eine Lebensdauer von 100000 umformenden Magnetimpulsen gefordert.
Als Zusatzkomponenten für bestimmte Anwendungen stehen Feldformer zur Verfügung. Sie werden eingesetzt, um bei verschiedenen Werkstückabmessungen dieselbe Spule benutzen zu können. Auch läßt sich damit die elektromagnetische Kraftwirkung auf bestimmte Bereiche des Teils konzentrieren.
Beschränkungen bezüglich der Wanddicke oder der Größe der Werkstücke bestehen derzeit nur insofern, als daß in der Serienfertigung mit Rücksicht auf die Lebensdauer des Werkzeugs ein maximal wirksamer Druck von 200 MPa nicht überschritten werden sollte. Im Bereich der Einzelstück- und Kleinserienfertigung sind auch Drücke von etwa 400 MPa zu vertreten.
Mit entsprechenden Anlagen ist eine zügige Produktion möglich: „Pro Stunde können bis zu 500 Teile gefertigt werden“, gibt Charlotte Beerwald an. Eine Massenfertigung im Sekundentakt ist bisher jedoch aus technischen Gründen nicht zu realisieren.
Das Magnetumformen kann konventionelle Verfahren wie Schweißen, Löten, Kleben, Tiefziehen oder Walzen nicht generell ersetzen. Die Praxis zeigt jedoch, daß es diesen Verfahren in puncto Produktqualität und Fertigungskosten bei verschiedenen Anwendungen überlegen ist. Darüber hinaus bietet es die Möglichkeit, neue Produktionsmethoden zu entwickeln – etwa beim Fügen innovativer Werkstoffe –, die unter Einsatz herkömmlicher Mittel nicht zu realisieren sind. Das einzige, woran es noch mangelt, sind wagemutige Unternehmer, die das Verfahren aus seinem Dornröschenschlaf wachküssen.
Magnetumformen: So funktioniert das Verfahren
Das Magnetumformen ist ein elektrodynamisches Hochgeschwindigkeitsverfahren, mit dem sich Werkstücke aus elektrisch gut leitfähigen Materialien wie Aluminium oder Kupfer berührungslos kaltverformen lassen. Das Umformen erfolgt allein durch die Krafteinwirkung eines impulsartigen Magnetfeldes sehr hoher Intensität.
Die zum Aufbau dieses Magnetfeldes erforderliche Energie wird zunächst in Kondensatoren gespeichert und dann stoßartig über eine als Werkzeug wirkende Arbeitsspule entladen. Diese ist der Geometrie des umzuformenden Werkstücks angepaßt.
Der beim Entladen in der Spule auftretende Impulsstrom kann kurzzeitig einige 100 kA erreichen, er klingt jedoch schnell exponentiell ab. Durch diesen Strom wird innerhalb weniger Mikrosekunden ein starkes elektromagnetisches Feld aufgebaut, das im benachbarten elektrisch leitfähigen Werkstück einen kurzzeitigen Stromfluß hervorruft. Das Magnetfeld übt auf das stromdurchflossene Teil einen starken magnetischen Druck aus. Sobald dieser die Fließspannung des verwendeten Werkstoffs überschreitet, formt er das Teil innerhalb von Mikrosekunden bleibend um. Dies erfolgt mit Geschwindigkeiten von maximal 300 m/s.
Je nach Anordnung der beiden Wirkpartner Spule und Teil sind drei Grundformen des Verfahrens zu unterscheiden: Kompression, Expansion und Flachumformung. Alle drei Varianten können zum Umformen, Verbinden und Trennen eingesetzt werden.
Die Kompression ist die am häufigsten angewandte Variante. Dabei fließt der Kondensator-Strom in eine zylinderförmige Arbeitsspule, die das rohr- oder profilförmige Werkstück umgibt. Die auf das Teil wirkenden Kräfte sind radial nach innen gerichtet und drücken es zusammen oder pressen es auf einen inneren Kern. Hierbei ist ein hoher Grad an Rotationssymmetrie der auftretenden Kräfte zu erreichen. Daher ist diese Methode beim Aufpressen von Metallrohren auf Keramik, Glas oder spröden Kunststoff mechanischen Verfahren in der Regel überlegen.
Bei der Expansion befindet sich eine zylinderförmige Arbeitsspule in einem rohr- oder profilförmigen Werkstück. Das Entladen der Energie bewirkt radial nach außen gerichtete Kräfte. Sie weiten das Bauteil auf oder drücken es in eine umschließende Form.
Beim Flachumformen ist eine ebene, spiralförmige Spule parallel zu einem flachen Blech-Werkstück angebracht. Wird das Magnetfeld direkt über einem Teil erzeugt, das auf einer Matrize liegt, treiben es die elektromagnetischen Kräfte in die Vertiefungen der Matrize. Das Magnetfeld wirkt wie ein herkömmlicher Pressen-Stempel.
Informationen zum Thema:
Institut für Werkzeugmaschinen und Fabrikbetrieb der TU Berlin, Prof. Eckart Uhlmann, Berlin, Tel. 030/314-24452
Lehrstuhl für Umformtechnik der Universität Dortmund, Dortmund, Prof. Matthias Kleiner, Tel. 0231/755-2402
Magnet-Physik Dr. Steingroever GmbH, Köln, Tel. 02236/3919-0
Puls-Plasmatechnik GmbH, Dortmund, Tel. 0231/528233
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