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Entwickeln im Takt

Lean Innovation: Einfache Synchronisation erzeugen, Serie Teil 3
Entwickeln im Takt

Das Zusammenspiel der an einem Innovationsprojekt beteiligten Disziplinen gleicht einem Sinfonieorchester: Zahlreiche Experten arbeiten zeitgleich zusammen, aber nur durch die perfekte Synchronisation entsteht ein Kunstwerk. Am Beispiel der Carl Zeiss OIM GmbH wird die Einführung einer Taktung in die mechatronische Entwicklung beschrieben.

Um eine einfache Synchronisation herzustellen, bedarf es gemäß der Lean Innovation-Systematik des WZL der RWTH Aachen insbesondere der Umsetzung der Prinzipien der Wertstromoptimierung, Datenkonsistenz und Taktung für Produktentwicklungsprozesse (siehe Bild: „Prinzipien zur einfachen Synchronisation“). Der durchgängige Wertstrom von Innovationsprozessen wird hauptsächlich durch Wartezeiten und Rückschleifen unterbrochen.

Die Optimierung dieses Wertstroms basiert auf der Unterscheidung von kreativen und repetitiven Prozessen – der Schlüssel, um Verschwendung zu vermeiden, ist die an den Prozesscharakter angepasste Standardisierung. Dabei ist eine konsistente Datenbasis die Grundlage für synchrone Innovationsprozesse. Verschwendung von Entwicklungskapazität durch unvollständige oder falsche Informationen wird so vermieden und Verschwendung durch nicht direkt wertschöpfende Stützleistungen wie Such- und Anpassungsaufwände signifikant reduziert.
Das Product-Lifecycle-Management stellt hierzu Prozesse, Methoden und Werkzeuge bereit, um Produktinformationen in der richtigen Zeit und Qualität am richtigen Ort bereit zu stellen. Um jedoch schlussendlich die Aktivitäten aller am Innovationsprozess Beteiligten zeitlich und inhaltlich synchronisiert zusammenzubringen, bedarf es einer Taktung, die analog zur synchronen Produktion einen kontinuierlichen Fluss von qualitativ hochwertigen Entwicklungsergebnissen garantiert.
Um die Taktung des Entwicklungsprozesses zu realisieren, setzt die Carl Zeiss OIM (Optical Inline Metrology) GmbH aus Wangen nahe Göppingen die Scrum-Methodik ein, die bislang vor allem aus der agilen Softwareentwicklung bekannt ist. Die Schwaben entwickeln mit 15 Entwicklern Geräte zur optischen Sichtprüfung von Oberflächen. Zu Beginn der Entwicklung des SurfMax, ein erstmalig konfigurierbares Inline-Prüfgerät zur Oberflächenbewertung an 3D-Teilen, war man auf der Suche nach einem geeigneten Framework zur Qualitätssicherung im Entwicklungsprozess. Ergänzend zu dem aus der Systementwicklung bekannten V-Modell wurde das agile Projektmanagement-Framework von Scrum für die Entwicklung mechatronischer Produkte adaptiert. Die Entwicklung des SurfMax erfolgte dabei in mehreren Releases: in Release 1 wurde ein erster Prototyp des Produkts erzeugt, Ergebnis des Release 2 waren erste auslieferbare Kundenaufträge, Release 3 stellt zusätzlich erweiterte Produktfunktionalitäten für die SurfMax-Serie zur Verfügung.
Das Kernstück von Scrum ist ein iterativer, inkrementeller Prozessrahmen (siehe Abbildung). Der untere Kreis repräsentiert eine Iteration von Entwicklungsaktivitäten, die nacheinander stattfinden. Das Ergebnis jeder Iteration, auch Sprint genannt, ist ein Inkrement (Zuwachs) des Produkts. Der obere Kreis stellt die tägliche Inspektion dar, die während der Iteration durchgeführt wird und in der sich die einzelnen Mitglieder des Teams treffen, um die Aktivitäten gegenseitig zu untersuchen und entsprechende Anpassungen vorzunehmen. Der Antrieb der Sprints ist eine Liste mit Anforderungen, dem sogenannten Product-Backlog. Dieser Zyklus wiederholt sich während der gesamten Projektphase.
Der Scrum-Prozess wird durch drei Rollen implementiert: dem Product-Owner (wörtlich „Produkt-Besitzer“), dem Team und dem Scrum-Master. Der Product-Owner stellt am Anfang jedes Releases die zu realisierenden Anforderungen im Release-Backlog in Form von 20 bis 30 User-Stories zusammen, welche Funktionen des Produkts aus Anwendersicht grob beschreiben. Die Anforderungen der wichtigsten User-Stories werden über die Laufzeit eines Releases zu Beginn jedes Sprints durch die Product-Owner konkretisiert und gemäß ihrer Business-Values bewertet.
Drei Software- und zwei Hardwareteams sind bei der Carl Zeiss OIM für die Umsetzung der Anforderungen in ein Inkrement an Funktionalität innerhalb eines Sprints verantwortlich. Jeder Sprint stellt eine Iteration von zehn aufeinanderfolgenden Werktagen für die Softwareteams und 20 Werktagen für die Hardwareteams dar. Zur Planung des Sprints verhandeln die Teams zunächst über Erfüllbarkeit, Aufwandsrisiko und Komplexität einzelner Anforderungen mit dem Product-Owner, bevor sie anschließend selbstständig die realisierbaren Anforderungen in einzelne Aufgaben strukturieren, welche durch die Mitglieder des Teams bearbeitet werden können. Planung und Kontrolle der Aufgabenbearbeitung erfolgen dabei an einem Task-Board, welches teilweise physisch, bei geografisch verteilten Teams jedoch virtuell erstellt und aktualisiert wird. Am Task-Board werden die Aufgaben den User-Stories zugeordnet und in die Kategorien Planned, In-Process und Done unterteilt (siehe Abbildung „Task-Board“). Jeder Experte eines Teams hat dort einen Puffer an Aufgaben, den er anschließend nach dem Pull-Prinzip bearbeitet, sobald er keine anderen Aufgaben in seiner In-Process-Spalte mehr vorfindet.
Die drei ausgebildeten Scrum-Master des Unternehmens tragen dabei die Verantwortung für den Scrum-Prozess, die Vermittlung von Scrum-Inhalten sowie für die Einhaltung der Scrum-Regeln und -Verfahren. Am Ende eines Sprints wird ein Sprint-Review durchgeführt, in dem die erzeugten Produktinkremente dem Product-Owner demonstriert werden und gegebenenfalls neue Anforderungen für den nächsten Sprint aufgenommen werden. Um eine kontinuierliche Verbesserung des Scrum-Prozesses zu verankern, wird abschließend eine Retrospektive des letzten Sprints durchgeführt, in der Best-Practices, Schwierigkeiten und Verbesserungsmaßnahmen für die Arbeit mit Scrum diskutiert und geplant werden.
Rolf Beck, einer der beiden Geschäftsführer der Carl Zeiss OIM, fasst die wesentlichen Vorteile von Scrum wie folgt zusammen:
  • Feste Taktung in drei Prozessen – Release, Sprint und Tagesaufgaben – erlaubt klare Terminaussagen
  • Kurze Zyklen verhindern aufwändiges Änderungsmanagement und erlauben Flexibilität; ohne dabei langfristige Ziele aus den Augen zu verlieren
  • Starke Selbstorganisation der Teams ermöglicht die Fähigkeiten aller Teammitglieder optimal zu nutzen – vor allem bei komplexen Aufgaben. Ein einzelner Projektleiter kann dies nicht leisten
  • Transparente Vergangenheitsbeobachtung statt Hoffnung auf unfehlbare Planung verbessern Prognosefähigkeit auch bei innovativen Projekten
Durch die Einführung von Scrum konnte die Prozesssicherheit in der Entwicklung des SurfMax nachhaltig gesteigert werden. Mit zunehmender Erfahrung mit Scrum wurde zudem die Entwicklungsgeschwindigkeit weiter gesteigert. So dauerte die Entwicklung des ersten Release noch zwölf Monate, der nachfolgende Release konnte hingegen präzise nach sechs Monaten abgeschlossen werden. Wichtige Voraussetzung für den erfolgreichen Einsatz von Scrum ist die Führung der Teams durch eine klare Priorisierung und Vermittlung der Produktanforderungen anstelle einer Vorgabe enger technischer Spezifikationen. Dadurch kann die Problemlösungsfähigkeiten der Teams voll ausgenutzt und die Verantwortung für eine erfolgreiche Integration der Teilsysteme an die Teams übertragen werden.
Prof. Dr.-Ing. Günther Schuh Lehrstuhl für Produktionssystematik, WZL der RWTH Aachen Dipl.-Ing. Rolf Beck Geschäftsführer Carl Zeis OIM, Wangen Dipl.-Ing. Jens Arnoscht Dipl.-Phys. oec. Marcus Rauhut Abteilung Innovationsmanagement, WZL der RWTH Aachen
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