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„Es sind die Menschen, die für den Erfolg stehen“

Industriestandort Baden-Württemberg – Zukunftsstratregien für das industrielle Herz Europas
„Es sind die Menschen, die für den Erfolg stehen“

Baden-Württemberg ist der Top-Industriestandort für Fahrzeug- und Maschinenbau in Deutschland. Mit welchen Strategien das industrielle Herz Europas in die Zukunft geht, erläutern die Geschäftsführer Franz Loogen von der landeseigenen Innovationsagentur e-mobil BW, Jürgen Oswald von Baden-Württemberg International und Dr. Walter Rogg von der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart. ❧ Werner Götz und Dietmar Kieser

Wie macht sich das Automobilland Baden-Württemberg fit für die Zukunft und welches sind die größten Herausforderungen für den Industriestandort?

Loogen: Das Fitnessprogramm läuft: Die größte Herausforderung für den Industriestandort ist sicherlich die hohe Dynamik der Digitalisierung. Der Automotive-Sektor treibt auf vielen Ebenen die Elektrifizierung des Antriebsstrangs voran, ohne die sich Schadstoffgrenzwerte nicht mehr einhalten lassen. Kräftig Schub erhält die Elektromobilität jetzt vor allem mit Blick auf das autonome Fahren. Zudem steht eine grundsätzliche Veränderung schon im Raum: Software wird wichtiger als Hardware. Experten prognostizieren, dass schon 2020 IT-Komponenten die Hälfte der Wertschöpfung eines Fahrzeuges ausmachen werden. Das sind drei Stufen einer sich stetig weiter beschleunigenden Innovationskaskade.
Sind das zugleich die wichtigen Treiber neuer Mobilitätslösungen?
Loogen: Ja, vorausgesetzt, sie werden beherrscht. Das Land hat hier eine hervorragende Startposition. So wurde zum Beispiel in Projekten des Spitzenclusters Elektromobilität Süd-West und des Forschungsprogramms Schaufenster Elektromobilität gezeigt, dass Elektromobilität im Alltag ‚machbar’ ist. Von dieser Basis haben wir gesicherte Erkenntnisse und sicheres Know-how aufgebaut. Jetzt geht es darum, mit der Integration von IT-Technologien in die Branchen Automobil, Maschinenbau und Energie unsere Marktchancen zu nutzen beim Wandel vom Land des Automobils zum Land der automatisierten, vernetzten und elektrischen Mobilität.
Wie steht das Bundesland bei dieser Transformation im internationalen Kontext da?
Oswald: Baden-Württemberg hat als Land der individuellen, modernen Mobilität einen sehr guten Ruf. Wenn wir im Ausland erklären, dass das Bundesland das Zentrum der deutschen Fahrzeugindustrie ist und hier Mercedes, Porsche und Audi ihre Autos bauen, sorgt dies bei vielen für einen Aha-Effekt. Darauf lässt sich aufbauen. Doch nicht nur die heimischen Innovationstreiber und ihre Zulieferer sichern dem Land eine hervorragende Ausgangslage, sondern auch das engmaschige Netz an Hochschulen und Forschungseinrichtungen, die bei diesen Nachhaltigkeitsthemen schon weit fortgeschritten sind und intensiv in Clustern und Netzwerken zusammenarbeiten.
Wie gestaltet die Region Stuttgart den Wandel vom Verbrennerfahrzeug zur nachhaltigen Mobilität?
Dr. Rogg: In dieser Region, in der vor mehr als 100 Jahren das Automobil erfunden wurde, bahnt sich jetzt eine ganz neue Situation an. Künftig geht es nicht mehr nur um die Herstellung von Fahrzeugen, sondern auch um das Angebot intelligenter Mobilitätslösungen und -dienstleistungen. Ein Auto nicht unbedingt besitzen zu müssen, sondern es nur im Bedarfsfall zu nutzen, wird diesen Wandel ebenso kennzeichnen wie die Vernetzung des Individualverkehrs bis hin zum öffentlichen Personennahverkehr. Und dies möglichst elektromobil. Das verlangt von der alten Autoregion ein neues Denken, was keine Kleinigkeit ist. Aber angesichts des hohen Stellenwerts der Fahrzeugindustrie und der Chancen, die sich bieten, wird die Region alles in die Waagschale werfen, um die Unternehmen zu unterstützen.
Konkretisieren Sie dies bitte.
Dr. Rogg: Netzwerkstrukturen aufbauen und erweitern gehört ebenso dazu wie der Anschluss an internationale und nationale Förderprogramme gemeinsam mit dem Land Baden-Württemberg. Nationale Leuchtturmprojekte wie das Spitzencluster Elektromobilität Süd-West, das Schaufenster und die Modellregion Elektromobilität wären ohne die intensive Zusammenarbeit nicht denkbar gewesen. Das gilt auch für Gründungen im Bereich E-Carsharing oder Verkehrsmanagement wie etwa das Mobilitätsportal Moovel, um solche Lösungen anbieten zu können. In der Region Stuttgart und in anderen Regionen funktioniert das ordentlich. Auch beim Vernetzungsgrad bei F&E-Vorhaben sind wir in Baden-Württemberg sehr gut.
Oswald: Die Innovationsagentur e-mobil BW mit ihren Clusternetzwerken ist ein weiteres Beispiel im Bereich Elektromobilität und Brennstoffzelle. Die Arbeit der Landesagentur kommt nicht nur der Region Stuttgart zugute, sondern auch die anderen innovationsstarken Regionen im Land profitieren. Diese Kompetenzen tragen wir nach außen; wir messen uns aber auch mit anderen Regionen in der Welt und schauen genau hin, von welchen spannenden Entwicklungen wir profitieren könnten.
Welches sind die drängenden Fragestellungen der Zukunft?
Loogen: In dem bereits stattfindenden Transformationsprozess geht es darum, durch Integration von IT-Technologien in den jeweiligen Branchen, rechtzeitig Marktanteile zu sichern und die Bedürfnisse der Kunden zu treffen. Für diese Umsetzung der digitalen Vernetzung nutzen wir heute Schlagworte wie Industrie 4.0 im Maschinenbau oder Car-Connect und Automatisierung in der Fahrzeugbranche. Aber Begriffe sind das eine, viel wichtiger ist, was dahinter steckt. Der Schritt, die IT-Integration im Fahrzeug- und Maschinenbau wie auch die Intermodalität, um Verkehrswege anders zu organisieren, muss gelingen. Wir haben eine gute Wissensbasis in diesen Technologien, müssen aber mit Nachdruck an diesen Prozessen weiterarbeiten. Andere Innovationsregionen warten nicht auf uns.
Wie lange könnte dies dauern?
Loogen: Heute sind bereits viele Fahrzeuge im Bereich des Antriebsstrangs zum Teil elektri-fiziert. 48-Volt-Systeme finden große Verbreitung und stehen vor der Industrialisierung. Mit Blick auf die Digitalisierung können Autos heute schon selbstständig einparken und verfügen über Abstandsregeltempomaten. Am Ende dieser Kette steht das elektrische Auto, das Brennstoffzellen-auto oder das autonom fahrende Fahrzeug, das ohne Fahrer auskommt. Bis dahin werden jedoch noch viele Jahre vergehen.
Die Zukunft des autonomen Fahrens wird aber auch anderswo erfunden. Wo steht das Land im internationalen Vergleich?
Oswald: Wir müssen uns nicht vor Regionen, die wie das Silicon Valley die Schlagzeilen beherrschen, verstecken. Einerseits sind unsere Unternehmen auch dort aktiv, andererseits sind gerade in Baden-Württemberg teilautomatisierte und fahrerunterstützende Technologien schon weit fortgeschritten. Das Land wird seine führende Position bei diesem zentralen Zukunftsthema weiter ausbauen. Erst kürzlich eröffnete in Ulm das Tech Center a-drive, in dem die Universität Ulm, das FZI Forschungszentrum Informatik sowie das Karlsruher Institut für Technologie ihre Kompetenzen im Bereich automatisiertes Fahren bündeln. Daimler sorgt für die rasche Umsetzung in die Praxis, etwa auch für Lkws. Hier im Land finden sich genügend weitere positive Ansätze, die wir vehement vorantreiben.
Loogen: Zwar stehen wir hier mit vielen Regionen rund um den Erdball im Wettbewerb, arbeiten aber auch mit etlichen sehr gut zusammen. Erst neulich konnten wir mit der Ausschreibung einer Testregion für autonomes Fahren ein deutliches Signal setzen. Allein die Konzep-tion, an der die von uns organisierte Arbeitsgruppe intelligent move mit vielen Vertretern aus Wirtschaft und Wissenschaft intensiv gearbeitet hat, war ein Meilenstein und fand weltweite Beachtung in der Szene. Die Aktivitäten unserer Testregion, an der wir hier arbeiten, sind weit komplexer, als sie bisher etwa in Kalifornien erprobt werden. Wir beziehen alle Fahrsituationen wie Stadtverkehr, das Parken und die für autonome Fahrzeuge besonders schwierigen Landstraßen mit ein und das bei mitteleuropäischen Wetterbedingungen, die mit Regen, Schnee und Nebel ebenfalls herausfordernder sind als die Schönwetter-Szenarien in Kalifornien.
Wo gibt es beim Aufbruch ins vernetzte Fahren und in die Industrie 4.0 noch Nachholbedarf?
Oswald: Alle technologischen Kompetenzen gilt es, in neue Geschäftsmodelle umzumünzen. Vereinfacht gesagt, müssen wir noch mehr den Fokus darauf lenken, aus Wissen Geld zu machen. Dabei spielen Start-ups eine Rolle. Deshalb werden wir auch das Gründerthema noch stärker im Land ins Bewusstsein rücken. Denn im Gegensatz zu Berlin mit seiner oft gerühmten Start-up-Szene können wir mit der Nähe zum Markt punkten. In Baden-Württemberg sind die Kunden, deshalb spielt hier die Musik. Mit unserem engen Industriebezug – Stichwort industrienahe Dienstleistung – lässt sich hier vieles leichter in Richtung Smart Services umsetzen.
Muss nicht vor allem der Mittelstand beim Aufbruch in die Industrie 4.0 viel stärker mitziehen?
Dr. Rogg: Lange Zeit haben etablierte Industrien nicht erkannt, welche Bedeutung Big Data und damit der zunehmende Daten- und Informationsfluss haben. Aber die kleinen und mittleren Betriebe in Baden-Württemberg und der Region Stuttgart haben schon immer unglaublich Gas gegeben, wenn sie zur Aufholjagd ansetzten. Das war Mitte des 19. Jahrhundert nicht anders, als Ferdinand von Steinbeis die Dampfkraft als Schwungrad der Industrialisierung im Südwesten eingeführt hat. Auch die Automatisierungstechnik, in der wir heute stark sind, hat hier nicht begonnen. Gewiss gibt es in der Industrie 4.0 Leuchttürme wie Bosch und Daimler, oder Festo, Schuler und Trumpf. Aber auch bei kleinen und mittleren Unternehmen gibt es erfolgreiche Beispiele, und wenn sie die Vernetzung forcieren, werden sie auch hier eine starke Wettbewerbsposition erobern.
Oswald: Für Industrie 4.0 wie für Elektromobilität gilt, dass man die Themen erfahrbar machen muss. Hierfür investiert die Landesregierung beispielsweise in Lern-fabriken für Industrie 4.0. Bis zum Herbst werden 15 dieser Labore an beruflichen Schulen in elf Regionen des Landes entstehen, um Fach- und Nachwuchskräfte auf die neuen Anforderungen vorzubereiten. In keinem anderen Bundesland gibt es vergleichbare flächendeckende Projekte. Auch die Wirtschaft engagiert sich hier stark. Damit wahren sich die Unternehmen die Chance, aus technologischer Kompetenz neue Geschäftsmodelle zu generieren. Dies wiederum schafft zukunftssichere Arbeitsplätze.
Die weiterhin auch in der Produktion zu finden sein werden?
Loogen: Wir denken mehrdimensional. Wir wollen weder nur die Region der Dienstleistung sein, noch der Entwickler und auch nicht nur die Region der Hersteller. Unser Anspruch ist es, sowohl Entwicklung und Produktion als auch Dienstleistung zu beherrschen. Die an den Schnittstellen entstehenden Kräfte nutzen wir dann für clevere Lösungen. Auch daraus werden sich neue Geschäftsmodelle entwickeln. In Baden-Württemberg finden sich für jede gute Idee, für jedes intelligente Produkt die richtigen Mitspieler.
Oswald: Die daraus entstehenden Lösungen zur zukünftigen Mobilität tragen zudem aktiv zum Schutz von Klima und Gesundheit in Städten bei. Während heute rund 3,9 Milliarden Menschen in Städten leben, werden es laut den Vereinten Nationen 2050 fast sieben Milliarden sein. Systemlösungen aus Baden-Württemberg für die drängenden Probleme dieser Megacities werden so gleichsam zum Exportartikel der Zukunft. Damit lässt sich viel erreichen. Dieses Angebot, vermittelt durch unsere Veranstaltungen im Ausland, wird so zum Schaufenster für die Welt.
Dr. Rogg: Ein zugkräftiges Schaufenster, das System-lösungen für das künftige Leben und Arbeiten in Städten für jeden sicht- und erfahrbar macht, könnte die nächste Internationale Bauausstellung sein. Wir machen uns gerade stark dafür, damit dieses Großereignis nach 1927, als in Stuttgart die Werkbundsiedlung unter der Leitung von Mies van der Rohe entstand, 2017 hier an den Start geht. Innerhalb einer Laufzeit von zehn Jahren ließe sich vor einer Weltöffentlichkeit anschaulich zeigen, wie neue Technologien und vernetzte Mobilitätskonzepte bestehende Infrastrukturen verbessern und zukunftsfähig machen können.
Loogen: Eine solche Ausstellung wäre ein ideales Schaufenster, um die Fähigkeiten einer Region aufzuzeigen. Es sind die attraktiven Arbeitgeber und gut ausgebildeten Arbeitnehmer sowie Hochschulen und Unternehmensnetzwerke wie das Cluster Elektromobilität Süd-West, die die Fähigkeit unserer Region ausmachen. Letztendlich sind es die Menschen in Baden-Württemberg, die für den Erfolg des Landes stehen.

Experten im Gespräch
Franz LoogenGeschäftsführer e-mobil BW GmbH. Seine beruflichen Stationen in der Automobilindustrie führten den studierten Maschinenbauingenieur entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
Jürgen OswaldGeschäftsführer Baden-Württemberg International (BW-I). Die Organisation unterstützt die Wirtschaft im Auftrag des Landes bei der Internationalisierung.
Dr. Walter RoggGeschäftsführer Wirtschaftsförderung Region Stuttgart. Der promovierte Sozialwissenschaftler gehört der WRS seit deren Gründung im Jahr 1995 an.
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