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Feines Korn im Stahl erzielt große Wirkung

Pulvermetallurgische Stähle bieten hohe Härte plus Zähigkeit
Feines Korn im Stahl erzielt große Wirkung

Pulvermetallurgische Stähle erfüllen einen alten Traum von Werkzeugbauern und Werkstoffentwicklern: mit einem Material arbeiten zu können, das extrem hart und verschleißfest ist und dennoch eine gute Zähigkeit besitzt.

Dr. Ingrid Jung ist Leiterin der Anwendungstechnik beim Stahlproduzenten Böhler in Düsseldorf

Die Anforderungen an fast alle Werkzeuge sind ständig gestiegen. Vor allem wegen der hohen Fertigungskosten werden erheblich höhere Standzeiten erwartet als noch vor einigen Jahren. Der deutsche Werkzeugbau konzentriert sich daher mehr und mehr auf Hochleistungswerkzeuge, um die geforderten Produktivitätssteigerungen erfüllen zu können.
In den meisten Fällen soll das Material eine höhere Verschleißfestigkeit aufweisen. Möglich wird dies durch Anheben des Karbidgehaltes, was jedoch bei konventionell erschmolzenen Stählen zu großen und zeilig angeordneten Karbiden führt und damit zu einer verminderten Zähigkeit. Maximale Standzeiten erreichen die Werkzeuge aber nur dann, wenn der Stahl auch bei hoher Härte und Verschleißfestigkeit noch zäh ist.
Für diese Anforderungen wurden die pulvermetallurgischen Stähle (PM) entwickelt. Sie kombinieren extreme Verschleißfestigkeit und Härte mit einer besonders guten Zähigkeit. PM-Stähle können die Standzeit von Werkzeugen vervielfachen. Da der Materialwert eines Hochleistungswerkzeuges mittlerweile deutlich unter 5 % der Werkzeugkosten gesunken ist, wirkt sich die Leistungssteigerung als direkter wirtschaftlicher Vorteil aus. Denn die hohen Werkzeugkosten gehen vor allem auf das Konto von mechanischer Bearbeitung, Wärmebehandlung und meist noch zusätzlicher Beschichtung.
Die guten Eigenschaften der PM-Stähle beruhen auf der aufwendigen Erschmelzungsart: Das Material wird in kugelige Schmelztropfen verdüst (siehe Bild) und erstarrt dann schnell in Form feiner Pulverkörner. Dabei können sich keine großen Karbide aus der Schmelze herausbilden wie beim konventionellen Verfahren. Das so gewonnene Metallpulver wird in Kapseln eingefüllt und unter hohem Druck und hoher Temperatur verdichtet und porenfrei gepresst (heißisostatisches Pressen oder auch „HIP-Verfahren“). Anschließend werden diese Kapseln zu Stabmaterial in üblichen Lagerabmessungen ausgeschmiedet.
Dank dieses Verfahrens liegen die verschleißtragenden Karbide in feiner kugeliger Form vor. Vor allem sind sie völlig regelmäßig und homogen verteilt. Dagegen weist ein konventionell erschmolzenes Material gleicher Zusammensetzung große und zeilig angeordnete Karbide auf. Die feine und gleichmäßige Karbidanordnung der PM-Stähle führt nun zu einer deutlich verbesserten Zähigkeit. Die pulvermetallurgische Herstellung ermöglicht es außerdem, einen wesentlich höheren Legierungsanteil als bei konventionellen Stählen einzustellen. So wird die Karbidmenge und damit die Verschleißfestigkeit gesteigert, ohne dass die gleichmäßige, feine Struktur mit ihrer guten Zähigkeit verloren geht – selbst bei sehr hohen Werkzeughärten.
Die feine Karbidverteilung bewirkt außerdem, dass Teile aus PM-Stählen beim Wärmebehandeln in allen drei Raumrichtungen dieselbe Maßhaltigkeit aufweisen. Gleichzeitig weisen pulvermetallurgische Stähle durch den hohen Gehalt an Sonderkarbiden ein besonders ausgeprägtes Sekundärhärte-Maximum auf: Nach dem Anlassen steigt die Härte oberhalb von 500 °C noch-mals an, wodurch sich eine willkommene Eigenschaftsverbesserung für das Werkzeug ergibt. Hervorzuheben ist auch, dass die Stähle eine hohe Druckbelastbarkeit aufweisen und sich sehr gut polieren lassen, was ebenfalls auf die feine und gleichmäßige Karbidverteilung zurückzuführen ist.
Da PM-Stähle kaum über eine nennenswerte Zeiligkeit verfügen, muss in der Werkzeugfertigung nicht auf die Faserrichtung geachtet werden. Dies reduziert den Verschnitt und die Bearbeitungskosten erheblich und vermindert gleichzeitig das Risiko, dass hochbelastete Werkzeuge wegen einer falschen Faserrichtung zu Bruch gehen.
Aufgrund der Kombination von hoher Veschleißfestigkeit und Zähigkeit sind die heutigen pulvermetallurgischen Stähle überwiegend Werkzeug- und Schnellarbeitsstähle. Ihr besonderes Eigenschaftsprofil zeichnet sie aber für ein viel weiter reichendes, vielfältiges Anwendungsspektrum aus. So werden PM-Stähle zum Einen bei allen hochbelasteten Werkzeugen eingesetzt, die hoher Verschleiß- und gleichzeitig Zähigkeitsbeanspruchung ausgesetzt sind. Zum Anderen steigern sie sowohl die Leistung als auch die Standzeit zahlreicher Werkzeuge in der Stanz- und Umformtechnik.
Gute Erfolge werden bei allen Schneidwerkzeugen, Fräsern und Hochleistungsbohrern erzielt ebenso wie bei Press-Stempeln und -Matrizen, Präge-, Zieh- und Gewindewalzwerkzeugen. Pulvermetallurgische Stähle lohnen sich aber auch für hochbeanspruchte Werkzeuge in der Kunststoffverarbeitung wie etwa Rückstrom-Sperren, Extruder oder verschleissbeanspruchte Formeinsätze.
Beispielsweise beim Stanzen von 4,5 mm dicken Blechen aus St42 ließ sich die Standzeit der Schneidstempel auf das 6-fache erhöhen, als Böhler S 690 anstelle des Werkstoffes 1.2379 eingesetzt wurde. Bei Werkzeugen zum Pressen von Schraubenköpfen betrug die Leistungssteigerung mit Böhler S 390 sogar das 10-fache gegenüber Werkstoff 1.3343.
Die positiven Eigenschaften der pulvermetallurgischen Stähle können aber noch weiter verbessert werden. So entstehen jetzt in der neu errichteten Fertigung bei Böhler in Kapfenberg pulvermetallurgische Stähle mit besonders feinem Korn und besonders hohem Reinheitsgrad. Dazu dient ein spezielles, neues Erschmelzungsverfahren. Die mittlere Pulverkorngröße liegt hier unter 100 µm. Diese positiven Eigenschaften haben den neuen PM-Stählen auch ihren Namen gegeben: Auf Grund des feinen Korns und des hohen Reinheitsgrades tragen sie die Zusatzbezeichnung Microclean.
Ein weiterer Vorteil ist die extrem geringe Streuung dieser Stähle sowohl in der Zusammensetzung als auch bei den Eigenschaften. Daher zeichnen sie sich durch gleichbleibend hohe Qualität aus.
Die neue Produktion in Kapfenberg zählt zur dritten Generation pulvermetallurgischer Anlagen und ist damit die weltweit modernste ihrer Art. Sie wurde innerhalb nur eines Jahres mit einem Investitionsvolumen von 30 Mio. DM errichtet und zum Jahresende 1999 in Betrieb genommen. Die Anlage umfasst einen 8-t-Induktionsofen, eine Gasverdüsung, eine Kapselstation und eine heißisostatische Presse (HIP-Einrichtung). Gefertigt werden hochlegierte Schnellarbeits-, Kaltarbeits- und Kunststoffformenstähle (siehe Tabelle).
In dieser Microclean-Ausführung weisen die neuen Böhler-PM-Stähle eine nochmals deutlich verbesserte Zähigkeit auf: Im Mittel liegt die Zähigkeit um rund 20 % höher. Damit wurde eine Generation von pulvermetallurgischen Stählen geschaffen, die gegenüber den herkömmlichen eine weitere deutliche Leistungssteigerung bringen und in der Zukunft zahlreiche zusätzliche Anwendungen erschließen werden. Die Materialien ermöglichen eine wirtschaftlichere Fertigung überall dort im Werkzeugbau, wo hohe Leistungen gefragt sind.
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 5
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