Startseite » Allgemein »

Flechten und nähen – so baut man hochsteife Teile

Airbus A380 ist zu 20 Gewichtsprozent ein Textilprodukt
Flechten und nähen – so baut man hochsteife Teile

Erste Maschinenbauer haben die Technik vom Flugzeugbau übernommen, hüten sie aber wie ein Staatsgeheimnis: Textilroboter fertigen maßgeschneiderte Carbon-Bauteile, die gerade mal die Hälfte von Stahlkonstruktionen wiegen.

Von unserem Redaktionsmitglied Olaf Stauß olaf.stauss@konradin.de

Es mutet wie ein Wunder an: Beim Testfahren in Le Castellet im Mai crashte Alexander Wurz mit seinem McLaren-Mercedes bei 330 km/h, weil ein Reifen platzte. Den Rennwagen zerriss es in mehrere Stücke, doch Wurz stieg unverletzt aus den Trümmern. Das verdankt er, wie schon etliche Formel-1-Piloten vor ihm, Carbonfaserverstärkten Kunststoffen (CfK), die in dem Boliden verbaut waren: Die Kohlefasern bieten eine immens hohe Festigkeit und Steifigkeit. Crash-Absorber aus CfK können bis zu 120 kJ/kg Energie absorbieren, während Metalle auf maximal 30 kJ/kg kommen. Richtig konzipiert, wiegen CfK-Bauteile nur die Hälfte von vergleichbaren Stahlkonstruktionen. Solche Faserverbunde könnten die Technik in vielen Bereichen voran bringen – wären nicht die hohen Materialkosten und die mit viel Handarbeit verbundene, aufwendige Fertigung.
Doch gerade der Herstellaufwand verringert sich. Das Institut für Flugzeugbau (IFB) der Universität Stuttgart eröffnete kürzlich ein Faserverbundtechnikum mit modernsten Maschinen, die sich untereinander verketten lassen. Institutsleiter Prof. Klaus Drechsler verbindet damit die Vision, „dass wir in der Konstruktion auf einen Knopf drücken, und hinten kommt das fertige Bauteil raus“. Viele der Maschinen hat er in der Forschung beim Luft- und Raumfahrtkonzern EADS selbst mitentwickelt, bevor er sich vor drei Jahren entschied, die IFB-Leitung zu übernehmen.
Zur Ausstattung des Technikums gehören eine einseitig arbeitende Nähmaschine und eine Stickmaschine, die ohne Verschnitt auskommt. Außerdem ein neuartiger Flechtroboter mit angekoppelten Nährobotern. Ein solches Roboter-Team produziert auf ähnliche Weise beispielsweise auch den 2 m langen CfK-Längsträger des Sportwagens SLR von McLaren-Mercedes: Nachdem der Flechtroboter das CfK-Grundgerüst innerhalb von 10 min geflochten hat, hält er es dem Nähroboter hin, der nochmal 10 min braucht, um die benötigten Verstärkungen zu vernähen.
„Das Besondere an unserem Technikum ist, dass wir alle Technologien in einer Halle zusammenbringen“, erklärt Drechsler. „Damit schließen wir die Lücke zwischen Textiltechnik und Anwendung. Wir verbinden zwei Welten.“ Zum einen die Welt der Textilspezialisten, die mit dem Carbonfaden als neuem Medium zurechtkommen mussten. Auf der anderen Seite die Welt der Faserverbundtechniker, die ihre Vorgaben von Konstrukteuren und Fertigungsingenieuren erhalten. Heraus springen dabei maßgeschneiderte CfK-Bauteile. Im Gegensatz zu klassischen Faserverbunden werden sie automatisiert hergestellt: mit der gewünschten Endkontur, dreidimensional auf die spezifische Belastung abgestimmt, superleicht, hochstabil und bei Bedarf gänzlich ohne Wärmeausdehnung. Die Maschinen gehen zudem sehr sparsam mit dem teuren Material um: „Im Idealfall findet sich jedes Gramm zugeführte Faser im Bauteil wieder.“
Abschließend müssen die Faser-Vorformlinge noch mit Harz infiltriert und ausgehärtet werden. Auch dafür wollen die Stuttgarter Flugzeugbauer eine neue, effizientere Technik zum Einsatz bringen: Dem Wissenschaftler Dr. Lambert Feher vom Forschungszentrum Karlsruhe ist es gelungen, eine Mikrowellen-Anlage so zu gestalten, dass „ihr Feld absolut homogen ist“, wie Drechsler erklärt. Damit eignet sie sich optimal zum Aushärten von Faserverbund-Werkstoffen. Beide Institute arbeiteten zusammen. Noch in diesem Jahr wollen die Karlsruher in Zusammenarbeit mit der Vötsch Industrietechnik GmbH, Balingen, eine eigens für das IFB entwickelte Mikrowellen-Anlage liefern, die ein Kammervolumen von 2 m x 2 m haben wird. Die Vorteile sind deutlich: Die zum Aushärten benötigte Energie lässt sich zielgenau im Bauteil platzieren, ohne Wärmeverluste und ohne lange Aufheizzeiten. Die Forscher sehen darin die Chance, die Prozesskette stark zu optimieren.
Während ahnungslose Erstsemester in Drechslers Vorlesungen immer mal wieder komisch berührt sind und die Stricknadel schwingende Oma markieren, lacht im Flugzeugbau niemand mehr. Die Technik hat sich etabliert. Beim Airbus A380 bestehen über 20 % des Strukturgewichtes aus Faserverbunden, bei der Boeing 7E7 sollen es sogar 50 % werden, weil auch Rumpf und Flügel aus CfK bestehen sollen. Das zurzeit renommierteste Bauteil ist die Druckkalotte im Airbus A380, die mit 6,2 m Durchmesser die Rumpfröhre nach hinten abschließt. Sie besteht aus CfK-Multiaxialgelege-Teppichen, die zur Kalotte drapiert, vernäht und mit Harz infiltriert werden. Daran sind mittelständische Textilfirmen und Maschinenlieferanten beteiligt, die mit dem IFB als Entwicklungspartner zusammenarbeiten. Inzwischen hat sich ein Netzwerk einschlägiger Unternehmen um die Wissenschaftler gebildet.
Daneben laufen Projekte für CfK-Komponenten in Fahrrädern und anderen Sportgeräten am Institut. Auch Maschinenbauer setzen Faserverbunde ein – halten aber dicht, um nicht von Wettbewerbern kopiert zu werden. Ein Textilmaschinen-Hersteller beispielsweise nutzt sein Know-how, um ein hochdynamisches Maschinenteil in CfK auszuführen. „Mir ist schon klar, dass die Fachwelt nur von Carbon-Fahrradrahmen weiß“, meint der Entwicklungsleiter. „Aber auch wir wollen keine Informationen preisgeben. Es reicht, wenn der Kunde davon weiß“, betont er. Der Vorteil durch die Kohlefaserverbunde muss also gravierend sein, sonst würde das Geheimnis nicht so sorgfältig gehütet werden.
Wie eine automatisierte Faserverbund-Fertigung aussehen könnte, die mit Textilrobotern arbeitet, hat das IFB auf der Pariser Leitmesse JEC Composites Show im April demonstriert. Die Stuttgarter wählten dafür ein unverfängliches Anwendungsbeispiel aus dem Flugzeugbau: In die CfK-Rumpfschale eines Großflugzeugs sollen die Fenster integriert werden, um die Schale als Ganzes aushärten zu können. „Große Teile sind einer von mehreren Schlüsseln für eine wirtschaftliche Fertigung“, erläutert Rainer Kehrle, wissenschaftlicher Mitarbeiter am IFB. Heikel sind die Spannungen um den Fensterausschnitt. Kehrles Konzept: „Wir versuchen, einen Teil der Lasten durch Aufdicken der Haut wegzubekommen.“
Dazu lässt er einen Stickroboter zunächst den Fensterausschnitt verstärken. Anschließend befestigt ein Nähroboter den Fensterrahmen, der als vorgefertigter CfK-Flechtschlauch bereit liegt. Ganz ähnlich funktioniert auch das Versteifen der Rumpfschale mit umlaufenden Spanten: Sie werden ebenfalls in Form von T-Profilen vorgefertigt und von Robotern aufgenäht. Die T-Profile entstehen aus maßgeschneiderten Flechtschläuchen, die unter Einsatz von Druck und heißer Luft gefaltet werden. Der letzte Prozessschritt ist das Ausschneiden der Fensterflächen, danach wird die textile Preform zum Imprägnieren und Aushärten geschickt.
Rainer Kehrle plant noch in diesem Jahr den Schritt in die Selbstständigkeit. Nach dem Abschluss seiner Dissertation wird er vom Land Baden-Württemberg an der Universität Stuttgart als Existenzgründer gefördert und bietet unter anderem seine Dienste als Engineering-Partner für Faserverbunde an.
Die nächste Industrieanzeiger-Ausgabe informiert Sie über den CfK-Einsatz in der Antriebstechnik
Buchtipps finden Sie auf Seite 78
Mikrowellen härten CfK-Bauteile im Eiltempo aus
Unsere Whitepaper-Empfehlung
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
Ausgabe
6.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de