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Fräsen und erodieren sich die Betriebe ins Abseits?

Arbeitsteilung und kurze Wege als Erfolgsrezept für die Branche
Fräsen und erodieren sich die Betriebe ins Abseits?

Sind Kooperationen und Netzwerke die Antwort der kleineren Werkzeug- und Formenbauer auf die Herausforderung der Billiglohnländer? Zumindest sind sie ein Weg, um in Zukunft weiter existieren zu können. Hilfestellung leistet auch das neue Qualitätsmodell EFQM.

Von unserem Redaktionsmitglied Dietmar Kieser dietmar.kieser@konradin.de

Wer beim Werkzeug- und Formenbau nur an High Tech denkt, denkt zu kurz. Zu viele Eigenbrötler, so scheint es, bilden eine technologisch reife, aber zersplitterte Branche. Kein Wunder, dass sie sich als besonders schwerfällig zeigt, um die überlebensnotwendigen Kooperationen zu realisieren. Fräsen, bohren und erodieren sich die kleineren Werkzeug- und Formenbauer, von denen es in Deutschland einige Tausend gibt, ins Abseits?
Viele ignorieren die Gefahren aus Billiglohnländern in Osteuropa und Fernost. Wie nahe sie den hiesigen Unternehmen schon sind, davon konnte sich Dr. Thomas Garbrecht bereits auf der letztjährigen Fachmesse Euromold ein Bild machen. Während des Gangs durch die Hallen habe er sich überlegt, „was können chinesische Anbieter nicht, was wir können”, sagt der Professor, der an der Fachhochschule für Technik in Esslingen Qualitätssicherung lehrt. Gefunden hat Garbrecht nichts. Einzig am Aufbau eines europäischen Vertriebs hapert es bei den Wettbewerbern aus Fernost.
Umgekehrt gilt dasselbe: Der kleinere Formenbauer kann zwar nicht ohne weiteres ein Gemeinschaftsunternehmen in China gründen. Er könnte sich aber mit anderen Betrieben zusammentun, ein gemeinsames Servicebüro einrichten und die Werkzeuge bei den Kunden pflegen. Ihre eigenen Zulieferer haben die Chance erkannt und sind längst vor Ort: Normteil-Hersteller lassen bereits in Asien kostengünstig fertigen. Den Endschliff bringen sie zuhause mit dem entsprechenden Know-how an.
Einer, der zumindest die Lage sondiert, ist Werner Weinmüller. Mit 50 Mitarbeitern fertigt der Inhaber der Weinmüller Formen- und Werkzeugbau GmbH in Ludwigsburg bis zu 20 t schwere Druckgießformen für die Automobilindustrie. Einen Teil der teuren Konstruktionsarbeit, die bis zu einem Viertel der Herstellkosten eines Werkzeugs aufzehrt, haben die Schwaben bereits ausgelagert. Auf „20 bis 30 Prozent“ schätzt Dipl.-Ing. Markus Lenz jenen Teil, den der Kooperationspartner übernimmt. Dabei macht der Weinmüller-Produktionsleiter keinen Hehl daraus, dass lediglich ausgewählte Konstruktionen vergeben werden. Die komplizierteren High-Tech-Teile nehmen nach wie vor am Standort Ludwigsburg Form an.
Ob diese Zusammenarbeit, bei der kein Know-how abfließt und die die Kostenstruktur der Ludwigsburger verbessert, auch in China oder Taiwan möglich ist, lässt Markus Lenz derzeit prüfen. Um „sich ein Bild zu machen, wie kompetent diese Menschen sind“, so der Produktionsleiter, hat er Kontakt zu einem Messeveranstalter in Shanghai aufgenommen, der bei der Partnersuche hilft. Ein „Versuchsballon“, sagt er, „denn geredet wird viel, Erfahrungen muss man selber sammeln“.
Doch dieser Weg fällt den Unternehmen ebenso schwer wie die Konzentration der Kräfte im eigenen Land – ganz zu schweigen von der Möglichkeit, hierzulande mit den chinesischen Wettbewerbern zu kooperieren. Dabei müssten der Vertrieb, das Einpassen der preisgünstigen chinesischen Werkzeuge beim Kunden und deren Pflege keineswegs in einer Einbahnstraße verlaufen. „Die Chinesen, die derzeit nur preiswerte Werkzeuge fertigen, beherrschen noch längst nicht die komplexe Umformtechnik wie wir. Würden diese Werkzeuge nach China geliefert, könnten die Kooperationspartner sie dort pflegen“, hebt Garbrecht auf den beiderseitigen Nutzen ab.
Noch sieht der Wissenschaftler, der dem Verband Deutscher Werkzeug- und Formenbauer (VDWF) als Präsident vorsteht, eine Chance des Zusammenwachsens. In spätestens sieben Jahren wird der Vorteil wohl zunichte sein. Diese Zeitspanne veranschlagen die Experten, bis Werkzeugbauer aus China technologisch gleichgezogen haben – wenn bis dato hierzulande kein neues Know-how entwickelt wird.
Bald könnte passieren, dass die beiden wichtigsten Standortvorteile – die räumliche Nähe zu den Kunden und das Beherrschen komplexer Technologien – als Verkaufsargumente hierzulande nicht mehr gelten. Zwar legen Abnehmer wie der Stuttgarter Kolbenhersteller Mahle wieder vermehrt Wert darauf, den Formenbauer zwecks schneller Absprache in der Nähe zu wissen. Doch was ist, wenn die Wettbewerber aus Fernost das Tempo noch mehr steigern? „Oft schaffen Koreaner und Chinesen in zwei Wochen, wofür hiesige Unternehmen vier benötigen“, weiß Garbrecht. Deshalb werden Aufträge nicht nur aus bloßen Kostengründen nach Asien vergeben. Der Grund des schnellen Agierens hat einen Namen: Networking. In China, Taiwan oder Japan herrschen keine Berührungsängste, mit dem Konkurrenten gemeinsame Sache zu machen: Einer nimmt den Auftrag an, splittet und verteilt ihn an eine Vielzahl kleinerer Unternehmen, die zuarbeiten.
Auch im europäischen Werkzeug- und Formenbau ist die Strategie so neu nicht. Portugiesen arbeiten längst so. Hierzulande gilt die Auffassung, zwei Firmen könnten sich die Fertigung eines Werkzeugs deshalb nicht teilen, weil zu viele menschliche Schnittstellen hinderlich wären. In Wahrheit klappt es nicht, weil sich die Beteiligten als Wettbewerber sehen und nicht als Partner. Dass die Bereitschaft nicht sehr groß ist, bestätigt auch Weinmüller-Produktioner Markus Lenz. „Zu einer offenen und ehrlichen Kooperation wären wir sehr gerne bereit“, nennt er seinen Standpunkt. Allerdings dürfte es „schwierig sein, einen Partner zu finden, der dies genau so sieht“. Erschwerend kommt hinzu: Auch in dieser Branche herrscht Flaute. Wer sich mit Folgeaufträgen über Wasser hält, nimmt sich ebenso wenig Zeit für strategische Überlegungen wie jener, der auf einem Berg von Arbeit sitzt. Vielleicht ist auch der Druck noch nicht groß genug, um zusammenzuarbeiten. „Wenn wir das Arbeiten in Netzwerken nicht einmal vor der Haustür üben, dann gebe ich solchen Firmen keine Chance“, drängt Verbandspräsident Garbrecht zum Umdenken: „Lasst die ChinaKonkurrenz billig arbeiten, wir organisieren das hier, das ist doch unsere Stärke.“
Mit gutem Grund: Während die Branchenschwergewichte vielfach ihre Claims abgesteckt haben, geraten die vielen kleinen und mittleren Betriebe in Gefahr, auf der Strecke zu bleiben. Um sich den vordringenden Wettbewerbern zu erwehren, sucht so mancher Hersteller von Formen und Werkzeugen sein Heil in jenen Nischen, deren hoher Qualitätsanspruch aggressive Newcomer nicht so schnell erfüllen können. Dass sich die lokal verankerte Branche deshalb immer mehr ins Spezialistentum verfeinert und verästelt, sieht Thomas Garbrecht durchaus als Chance.
Wer sich in seiner Know-how-Nische etabliert hat, kann zwar nicht so leicht daraus verdrängt werden. Er macht sich aber abhängig von wenigen Kunden. Vor allem im Vertragsrecht liegt noch vieles im Argen. In wirtschaftlichen Flautejahren diktiert so mancher Großkunde Passagen, die den Kontrakt schnell zum Knebelvertrag machen. „Die früher gepflegte Fairness ist verloren gegangen“, kritisiert der VDWF-Präsident. Um so mehr Hilfestellung will der Verband, der seit zehn Jahren existiert, seinen rund 100 Mitgliedern auch in Sachen Vertragsrecht geben.
Großunternehmen spielen häufig ihre Vormachtstellung im Vertragspoker aus. Gut möglich, dass das partnerschaftliche Miteinander in der Branche deshalb so wenig ausgeprägt ist, weil auch die Kundenbeziehung Sprengstoff birgt. Doch die Zeiten der Fairness könnten wieder anbrechen, wenn der neue Qualitätsmanagement-Gedanke des EFQM-Modells in die Betriebe einzieht – und damit die Hoffnung auf partnerschaftliches Zusammenarbeiten zwischen Hersteller und Abnehmer.
Aufgestellt von der European Foundation for Quality Management, zielt das qualitätssichernde Regelwerk auch auf die Ethik ab: Selbstbewertung statt Fremdzertifizierung, wie dies bei der DIN EN ISO 9000 ff. der Fall ist, heißt das Prinzip. Anhand festgelegter Kriterien checkt sich das Unternehmen regelmäßig selbst. Dass EFQM die ISO-Zertifizierung ablösen wird, ist für Thomas Garbrecht keine Frage. Prinzipiell hält er die ISO zwar für richtig, allerdings hätten die Unternehmen die Norm „mit sehr viel Formalismus überfrachtet“. Seiner Klientel rät der Branchenkenner, ISO zwar weiterzuleben, zugleich aber auf das EFQM-Modell hinzuarbeiten. Dabei müssen keine qualitätsrelevanten Prozesse vorgegeben werden, die es zu kontrollieren gilt, sondern thematische Bausteine, aus denen sich der Unternehmenserfolg zusammensetzt. Kenngrößen dienen der Kontrolle, ob die gewählten Strategien im Sinne des Unternehmensziels sind.
Dass dies die kleineren Betriebe überfordern könnte, sieht der Esslinger Hochschullehrer nicht. Für ihn ist EFQM eher „ein sanfter Zwang, ein steuerbares Unternehmen herzustellen“. Sicherlich wird es manchem Firmenchef gut tun, seine Unternehmensziele festzuklopfen. Mittelständler wie der Präzisionsformenbauer Hummel in Lenningen oder Eberspächer Formenbau in Deizisau arbeiten derzeit daran. Eine Diplomarbeit an der FH Esslingen hat sie auf die Spur gesetzt. Auch Formenbauer Weinmüller liebäugelt damit, das Qualitätsmanagement auf EFQM umstellen. Allerdings will der für QS zuständige Markus Lenz „erst prüfen, ob die Kunden dies akzeptieren“. Sollte das Signal kommen, will er binnen kurzer Zeit damit beginnen. Der Student, der darüber seine Diplomarbeit anfertigen will, steht parat.
Lesen Sie dazu auch unser Special ab Seite 54
Experten sehen derzeit noch eine Chance des Zusammenwachsens
EFQM versus ISO 9000 ff: Selbstbewertung statt Fremdzertifizierung
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