Plasmaprozesse lassen sich so einstellen, dass sie eine Bauteil-Oberfläche nach Wunsch verändern: Feinstreinigen, Aktivieren und funktionelles Beschichten sind möglich. Die Anwendungen eignen sich auch für temperaturempfindliche und kompliziert geformte 3D-Teile.
Dr. Jürgen Geng ist Leiter Forschung und Entwicklung bei der Plasma Electronic GmbH in Neuenburg
Nach ihrem Siegeszug in der Halbleitertechnologie erobert die Niederdruck-Plasmatechnik jetzt die industrielle Oberflächentechnik. Kein Wunder: Feinstreinigen und Vorbehandeln in der Lackier- und Klebetechnik ist ebenso möglich wie Auftragen dünner Funktionsschichten sowie Verschleißschutz. Durch gezielte Gasentladung kann der Anwender die Oberfläche von Werkstücken oder Bauteilgruppen aus Metall, Keramik, Kunststoff und Glas nach Wunsch veredeln. Praktisch alle bekannten Oberflächen-Eigenschaften lassen sich unabhängig von Material und Geometrie dauerhaft beeinflussen: Härte, Benetzbarkeit, Reibungskoeffizient, Brechungsindex und Korrosionsbeständigkeit. Zudem kann in ein und demselben Zyklus feinstgereinigt und eine weitere Plasmabehandlung angeschlossen werden.
Für das Feinstreinigen von Elektro- und Elektronik-Bauteilen eignet sich beispielsweise das Verfahren Plasmaclean der Firma Plasma Electronic GmbH, Neuenburg. Das Unternehmen bietet für verschiedene Anwendungen Komplettlösungen an. Dazu gehören Beratung, Tests und Optimierungen, Lohnbehandlung, Anlagenbau, Prozess-Integration sowie produktionsbegleitende Prozessunterstützung. Beim Prozess Plasmaclean „verbrennen“ organische Verunreinigungen im Sauerstoff-Plasma, ohne dass das Bauteil stark erwärmt wird. Hierbei sollen selbst Silikon-Öle oder -Fette rückstandslos entfernt werden.
Bei Kunststoffen ist das Reinigen nicht vom Aktivieren zu trennen: Das Verfahren Actiplas entspricht im Wesentlichen Plasmaclean. Weil sich aber an der Oberfläche von Kunststoffen polare Gruppen bilden, erhöht sich die Benetzbarkeit der Werkstücke um ein Vielfaches. So kann der Nutzer die Teile besser lackieren, verkleben und bedrucken. Beispielsweise werden bei der dänischen Lego Systems A/S, Billund, Spielzeugteile in der Trommelanlage Rotondra mit rund 70 l Schüttgut pro Charge behandelt.
Ein weiterer Einsatzbereich erschließt sich durch das funktionelle Beschichten. Da die Schichten meist zwischen 0,01 und 10 µm dünn sind, bleiben die Festkörper-Eigenschaften des Bauteils, wie Zähigkeit, Steifigkeit und Temperaturbeständigkeit, weitgehend unangetastet.
Mit dem Aquacer-Verfahren werden beispielsweise Besteckeinsätze in Geschirrspülmaschinen hydrophil beschichtet. Die Oberflächenspannung ist dann so hoch, dass sich die Teile gleichmäßig mit Wasser benetzen: Es bilden sich weniger Tropfen, Besteck und -korb trocknen schneller.
Bei der Variante Lipocer dagegen bildet sich eine hydrophobe Schicht. Sie eignet sich unter anderem für die Mess- und Dosiertechnik. Tritt beispielsweise eine Flüssigkeit aus einer Kanüle, benetzt sie die beschichtete Außenseite nicht. Kleine Mengen werden besser dosiert.
Will der Anwender Teile, die geringer Schmierung ausgesetzt sind, vor hohem Verschleiß schützen, kann er die Methode Carbocer wählen: Dieser Prozess trägt aus kohlenwasserstoffhaltigen Gasen wie Methan oder Acetylen tribologische Hartstoffschichten in Form von Diamond-like Carbon (DLC) auf. Die maximal 5 µm dünnen Schichten zeichnen sich durch eine hohe Härte von über 3000 HV, einen niedrigen Reibungskoeffizienten und eine hohe Korrosionsbeständigkeit aus. Bei Werkzeugen in der Kunststoffindustrie verlängern sich die Standzeiten deutlich. Durch die Schicht verringert sich der Verschleiß von Ventilelementen aus Werkzeug- und Edelstahl, das Passverhalten bleibt jedoch unverändert. Weitere Einsatzfelder sind Umformwerkzeuge, Hydrauliksysteme und Keramikdichtungen.
Niederdruck-Plasmatechnik
Weil sich ausgedehnte technische Plasmen meist bei einem Druck von 0,001 bis 1 mbar bilden, finden Niederdruck-Plasmaprozesse im Vakuum statt. In eine evakuierte Prozesskammer werden kontinuierlich ein oder mehrere Gase geleitet und mit elektrischer Energiezufuhr eine Gasentladung gezündet. Je nach Energieversorgung entstehen Gleichstrom-, Hochfrequenz- oder Mikrowellenplasmen. Dabei bildet sich ein hochreaktives Gemisch aus Ionen, Elektronen, angeregtem Gas, Gasfragmenten und UV-Licht. Der Anwender kann Kammer- und Elektrodenkonfigurationen so wählen, dass das Gemisch die Bauteil-Oberflächen gezielt und wegen der geringen Erwärmung zerstörungsfrei verändert: Selbst temperatursensitive Materialien und kompliziert geformte 3D-Teile lassen sich so allseitig reinigen, aktivieren und funktionell beschichten.
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