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„Gäbe es keine IHK, müsste man sie erfinden“

DIHK-Hauptgeschäftsführer dr. martin wansleben über Bürokratie und IHK-Pflichtmitgliedschaft
„Gäbe es keine IHK, müsste man sie erfinden“

„Gäbe es keine IHK, müsste man sie erfinden“
„Ohne gesetzliche Mitgliedschaft wäre die IHK-Organisation nur eine Art verlängerte Werkbank des Staates.“ Bild: DIHK
Mehrwertsteuer, Bürokratieabbau, IHK-Kritik – Themen, die jeden Unternehmer bewegen. Dr. Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, stand dem Industrieanzeiger Rede und Antwort.

n Jens-Peter Knauer jens-peter.knauer@konradin.de

Herr Dr. Wansleben, die Regierung hat soeben beschlossen, die Mehrwertsteuer ab 2007 um drei Prozentpunkte anzuheben. Wie wird sich das auf die deutsche Wirtschaft auswirken?
Die Anhebung der Mehrwertsteuer entzieht der Wirtschaft gut 20 Milliarden Euro. Und das geht auf die Marge. Die Automobilhersteller beispielsweise werden sich schwer tun, die höhere Mehrwertsteuer dem Kunden zuzumuten. Also werden sie ihre Zulieferer entsprechend drängen, die drei Prozentpunkte zu übernehmen. Fraglich ist auch, ob die Ausbildungsintensität so durchgehalten werden kann. Denn wer weniger investieren kann, hat auch weniger Geld für Ausbildungsplätze.
Die Regierung rechnet aber für dieses Jahr mit einem positiven Konjunktureffekt.
Die Regierung muss der Wirtschaft mittelfristig eine Perspektive eröffnen. Ein Unternehmer kann sich nicht auf ein zweimonatiges Strohfeuergeschäft einstellen, er muss über das Jahr hinaus planen. Es ist gar keine Frage, dass unser Staat im Zugzwang ist. Wir sehen aber, dass diese Mehrwertsteuererhöhung nicht Bestandteil eines wirklich klar erkennbaren Sanierungsprogramms ist. Umso wichtiger wäre es gewesen, die Steuererhöhung mit belastbaren Eckpunkten auf den Hauptreformfeldern zu begleiten – Gesundheit, Unternehmenssteuerreform, Arbeitsmarkt. In den Wirtschaftspolitischen Positionen 2006 hat die IHK-Organisation entsprechende Vorschläge unterbreitet.
Gutes Stichwort. Unter anderem schlagen Sie vor, die Dienstleistungsmärkte EU-weit zu öffnen. Bringt das deutsche Anbieter aufgrund der Lohnkostennachteile nicht in Bedrängnis?
Natürlich gibt es einen erheblichen Preiswettbewerb zwischen Ost und West. Auf der anderen Seite kann doch der Exportweltmeister Deutschland nicht die Fahne der Hoffnungslosigkeit hissen! Europa ist die große Chance eines größeren Marktes. Knapp 70 Prozent der Wirtschaft sind Dienstleistungen. Deutschland hat auch in diesem Sektor qualitativ etwas zu bieten. Und genauso wenig, wie wir die billigsten Autos anbieten, werden wir in Zukunft die billigste Dienstleistung anbieten, aber dennoch erfolgreich sein.
Weiterhin fordern Sie, die Bürokratiekosten um mindestens 25 % zu senken. Wie soll das geschehen?
Wir haben konkrete Vorschläge zum Bürokratieabbau vorbereitet und dabei auch Krach in den eigenen Reihen bekommen. Das muss man dann durchhalten. Bürokratieabbau tut auch weh. Es ist überhaupt keine Frage, dass es immer auch Nutznießer einzelner Regelungen gibt – mal in Unternehmen, mal in der öffentlichen Verwaltung oder auch in IHKs bzw. anderen Kammern. Wer anfängt, dieses dicke Brett zu bohren, muss wissen, dass er anderen auf die Füße tritt. Umso wichtiger ist es, dass sich auch die Wirtschaft eindeutig zum Bürokratieabbau bekennt und dass sich alle Beteiligten klare Ziele setzen. Wir dürfen nicht nur sonntags reden, sondern wir müssen es montags auch mal umsetzen.
Kritiker werfen gerade den Industrie- und Handelskammern vor, ein Hort der Bürokratie zu sein. Was entgegnen Sie?
Zunächst: Wehe dem, der behauptet, selbst keinerlei Bürokratie loszutreten. Wir sind in der IHK-Organisation dabei, Strukturen zu verbessern, die Arbeit effizienter und effektiver zu gestalten. Und das heißt im Kern nichts anderes, als Reibungsverluste abzubauen. Zweitens: Die IHK geben der Wirtschaft die Chance, ihre Angelegenheiten selbst zu gestalten. Wenn es der Staat machen würde, würde es oft viel bürokratischer sein. Und drittens: Da wir hoheitliche Aufgaben wahrnehmen, müssen wir auch auf die Einhaltung der Gesetze achten. Ein Beispiel ist das Thema Ausbildung: Dort haben wir die Aufgabe, auf die Einhaltung sehr komplexer Regelwerke zu achten, die vom Gesetzgeber und den Sozialpartnern mitgestaltet werden. Dafür werden wir geprügelt, obwohl gerade wir immer für schlanke Ausbildungsordnungen kämpfen, die den Betrieben nicht alles im Detail vorschreiben.
Ein weiterer Kritikpunkt ist die Pflichtmitgliedschaft. Inwieweit passt das IHK-Gesetz noch in die heutige Zeit?
Die gesetzliche Mitgliedschaft ist erforderlich, damit IHKs in Selbstverwaltung hoheitliche Aufgaben durchführen können. Das zeigen Rechtsgutachten und auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Ohne gesetzliche Mitgliedschaft wäre die IHK-Organisation nur eine Art verlängerte Werkbank des Staates, aber nicht wirklich eine demokratische Selbstverwaltung der Unternehmer mit finanzieller Autonomie und ohne staatliche Bevormundung. Die Höhe der Beiträge legen die IHK-Vollversammlungen fest, also die Mitglieder selbst.
Die prozentuale Beteiligung an den IHK-Wahlen spricht aber nicht gerade für eine hohe Akzeptanz der Kammern.
Rund 40 Prozent der Mitglieder müssen keine Beiträge zahlen. Da ist die Bindung an die IHK nicht so gegeben. Unternehmen, die signifikante Beiträge zahlen, engagieren sich in der Regel auch stärker in den Kammern. Aber natürlich ist die Wahlbeteiligung ein wichtiger Indikator hinsichtlich der Wahrnehmung der IHK. Wir wissen, dass wir noch einiges tun können.
Andere EU-Länder setzen auf das Prinzip der freiwilligen Mitgliedschaft in den Industrie- und Handelskammern. Könnte so ein Modell auch in Deutschland funktionieren?
Es gibt innerhalb Europas unterschiedliche historische Entwicklungen und Prägungen. Kammern in Ländern ohne gesetzliche Mitgliedschaft haben jedoch ein viel stärker eingeschränktes Betätigungsfeld. Die Ausbildung junger Leute beispielsweise spielt dort bestenfalls eine untergeordnete Rolle, weil die Kapazitäten einfach nicht vorhanden sind.
Also meinen Sie, dass es bei der Pflichtmitgliedschaft bleiben sollte.
Ja. Die IHK-Organisation in Deutschland bietet zwei wesentliche Vorteile: Die Selbstverwaltung der Wirtschaft, die sich darin äußert, dass der Sachverstand der Unternehmer in die Umsetzung staatlicher Aufgaben einfließt. Das ist ohne gesetzliche Mitgliedschaft nicht möglich, wie auch das Bundesverfassungsgericht betont. Und: Die IHKs sind in vor Ort präsent. Sie bündeln Kräfte, um Regionen zu stärken und wettbewerbsfähig zu halten. Unser Auftrag ist, Interessen zu bündeln und auf dieser Basis Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu beraten. Wenn es die IHKs heute nicht gäbe, müsste man sie geradezu erfinden. Keine Frage: Die Welt würde ohne sie nicht untergehen. Aber ich glaube, Deutschland würde ärmer: Wir haben über 200 000 ehrenamtliche Prüfer allein im Ausbildungsbereich. Ich wage zu bezweifeln, dass eine staatliche Bürokratie das hinbekommen würde.
Die Kammern treten auch als Dienstleister auf und stehen teilweise in direktem Wettbewerb zu ihren Mitgliedsunternehmen. Was sagen Sie zu dem Vorwurf der Wettbewerbsverzerrung?
Wir sind erste Anlaufstelle. Mehr nicht. Eine 100-Prozent-Beratung ist nicht die Aufgabe der IHK. Nehmen Sie zum Beispiel das weite Feld der Weiterbildung: Die IHKs sind hier oft diejenigen, die den Markt erst anstoßen, so dass dann private Anbieter agieren können. Aber das Thema ist wichtig. Wir achten sehr darauf, dass gesetzliche Mitgliedschaft nicht dazu genutzt wird, um private Anbieter vom Markt zu drängen.
Was muss passieren, um die IHK-Organisation besser zu machen?
Ich würde mir noch mehr Beteiligung von Unternehmern wünschen. Die IHK-Arbeit ist so gut oder so schlecht wie das ehrenamtliche Engagement der Unternehmerinnen und Unternehmer. Es ist ein wesentlicher Kern der Kammern, für das Ehrenamt zu werben und die Mitglieder dafür zu gewinnen. Nur dann können wir sach- und fachnah öffentliche Aufgaben wahrnehmen, nur dann haben wir die lebendige Wirtschaftsgemeinde in den Regionen.
Was kann der DIHK als Dachverband dafür tun, die Zufriedenheit der von ihm vertretenen Gewerbetreibenden zu verbessern?
Das entscheidende Feld ist die Glaubwürdigkeit unserer Arbeit – fachliche Kompetenz, gepaart mit vertrauenswürdiger, integrer Vorgehensweise. Ein gutes Beispiel dafür ist der Ausbildungspakt. Darüber hinaus ist es wichtig, die unternehmerischen Erfahrungen aus den Regionen in den politischen Diskussionen in Berlin und Brüssel einzubringen.
Worin sehen Sie die größten Herausforderungen, die die deutsche Wirtschaft in den nächsten Jahren zu bewältigen hat?
Unternehmen können nur in einer vitalen Gesellschaft gedeihen. Die Hauptaufgabe wird also sein, ein starkes Deutschland in einem starken Europa zu positionieren. Das Schlüsselthema ist, die Herausforderungen der demografischen Veränderungen zu bewältigen. Dabei werden wir auch lernen müssen, lieb gewonnene Gewohnheiten in Frage zu stellen.

Weniger Bürokratie – mehr Freiheit
Mehr als 5000 Gesetze und Verordnungen mit über 88 000 Einzelvorschriften beschränken unternehmerische Kreativität und Gestaltungskraft. Um insbesondere kleine und mittlere Unternehmen von bürokratischen Hemmnissen zu befreien, will die Bundesregierung ein so genanntes Small-Company-Act auf den Weg bringen. Die IHK-Organisation unterstützt dieses Vorhaben und hat 28 konkrete, praxisrelevante Vorschläge zum Bürokratieabbau vorgelegt: Gefordert sind unter anderem Erleichterungen im Steuerrecht, im Arbeits- und Sozialrecht, in der Bildung und im Umweltrecht. Mehr unter www.dihk.de
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