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Gemeinsam forschen an der Grenze des Möglichen

EU-Förderprojekte bündeln europäisches Entwicklungspotenzial
Gemeinsam forschen an der Grenze des Möglichen

Damit ihre Mitglieder für den globalen Wettbewerb gerüstet sind, fördert die EU innovative Technologien. Industrie und Wissenschaft arbeiten dazu europaweit in Forschungs- und Entwicklungsprojekten zusammen. Ein Beispiel: Unter dem Namen Agneta entwickelte ein Konsortium ein Hochleistungs-Schleifverfahren zum Bearbeiten schwer zerspanbarer Werkstoffe.

Von unserem Redaktionsmitglied Haider Willrett

Die Idee ist nicht neu, ihre praktische Umsetzung dagegen schon: Drastisch erhöhte Tischvorschub-Geschwindigkeiten beim Schleifen kritisch zu bearbeitender Materialien lassen der entstehenden Wärme keine Zeit, ins Bauteil überzugehen. In der Theorie bereits als machbar nachgewiesen, scheiterte die Praxis lange an den begrenzten Leistungsdaten der Maschinen. Erst die Fortschritte in der Linearmotortechnik rückten das Thema in den Bereich des Möglichen.
Um in diese komplett neuen Leistungsbereiche vorzustoßen, rief die Europäische Union im Frühjahr 2000 das Forschungsprojekt „Advanced grinding of new aircraft engine materials“ ins Leben. Unter dem Projektnamen Agneta erhielten Spezialisten aus Industrie und Wissenschaft den Auftrag, eine Hochgeschwindigkeits-Schleifmaschine und die entsprechende Technologie zu entwickeln. Mit ihr sollten sich die Führungsprofile der Schaufeln von Flugzeugturbinen, bestehend aus schwer zerspanbaren Nickelbasislegierungen, in der halben Zeit und mit gleichzeitig um bis zu 40 % reduzierten Kosten fertigen lassen.
„Um in technologische Grenzbereiche vorzustoßen, müssen die vorhandenen Kompetenzen in Europa gebündelt werden“, betont Dr.-Ing. Christoph Zeppenfeld. Vor diesem Hintergrund stelle die Zusammenarbeit der einzelnen Unternehmen in einem EU-Projekt eine ideale Plattform dar „Mit den Fördermitteln soll der europäischen Industrie im globalen Wettbewerb der Rücken gestärkt werden“, sagt der Oberingenieur vom Werkzeugmaschinenlabor (WZL) der RWTH Aachen. Die Partnerunternehmen erhalten einen Zuschuss von 40 bis 50 % zu den entstehenden Kosten. Als Gegenleistung müssen sie Man Power bereitstellen, um neue Systeme, Komponenten und Technologien zu entwickeln, Versuche fahren und den Partnerinstituten die erforderliche Ausrüstung für die Grundlagenforschung liefern.
Neben dem WZL beteiligten sich am Agneta-Projekt die Hamburger Blohm Maschinenbau GmbH als Maschinenhersteller, Tyrolit als Schleifmittel- und Ina als Linearführungsanbieter sowie die Flugtriebwerks- und Komponentenhersteller Rolls-Royce und Demag Delaval in England, Snecma in Frankreich und Fiat Avio in Italien. Zum Konsortium können – wie in diesem Fall – durchaus auch im Wettbewerb stehende Unternehmen gehören. „Selbst wenn es dem Einzelnen dadurch nicht gelingen sollte, seine Position im europäischen Umfeld zu stärken, so bringt ein solches Projekt das Konsortium auf jeden Fall im globalen Wettbewerb weiter. Und das ist oft entscheidend“, unterstreicht Zeppenfeld. Solche Projekte seien als vorwettbewerbliche Forschung ausgelegt. Die EU wolle damit ganze Branchen fördern, nicht einzelne Unternehmen. Am Ende stehe deshalb kein serienreifes Produkt, sondern ein funktionsfähiger Prototyp. Das vom Konsortium erarbeitete Wissen wird veröffentlicht und verbreitet sich laut Zeppenfeld schnell. „Nachdem Agneta 2004 abgeschlossen war, bekamen wir viele Anfragen von Interessenten, die wissen wollten, ob sich ein bestimmtes Fertigungsproblem mit dieser Technologie lösen lasse.“
Die Kinderkrankheiten des Prototypen zu beseitigen und die jeweiligen Komponenten zu wirtschaftlich herstellbaren und zuverlässigen Produkten zu entwickeln, ist nach Projektabschluss die Aufgabe der Industriepartner. Zeppenfeld betont, dass jeder Teilnehmer von einem solchen Projekt profitiere: „Aufbauend auf dem erarbeiteten Know-how entstehen vielfach ganz neue Produkte. In jedem Fall jedoch helfen die Erfahrungen im Grenzbereich des technisch Machbaren, die Standardprodukte und damit die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.“
Lagen die üblichen Verfahrgeschwindigkeiten der Hauptvorschubachsen von Schleifmaschinen zu Beginn des Projekts noch bei 20 bis 30 m/min, war der Agneta-Prototyp von Blohm zehn Mal schneller. Die Schnellhub-Pendelschleifmaschine erreichte Tischgeschwindigkeiten von bis zu 200 m/min und Beschleunigungswerte bis 50 m/s2 – Werte, die der Prozesswärme keine Zeit ließen, ins Werkstück einzudringen. Die Vorteile des Verfahrens liegen jedoch nicht nur im geringen Wärmeeintrag ins Werkstück und den sehr kurzen Schleifzeiten. „Neben einem kleineren spezifischen Bedarf an Schleifleistung und günstigen Eigenspannungen in der geschliffenen Oberfläche sind die geringen Kosten für die Schleifwerkzeuge ein weiteres Kennzeichen des Verfahrens“, fasst Peter Oppelt, Leiter Projektierung und Technologie bei Blohm, zusammen.
Oppelt vergleicht den Agneta-Prototypen mit einem Formel-1-Rennwagen: „Hier haben wir das technisch Machbare realisiert.“ Bei Untersuchungen nach Abschluss des Projekts im Herbst 2004, bei denen die Hamburger alle Einflussfaktoren berücksichtigten, zeigte sich: Das Kosten-Nutzen-Optimum liegt derzeit bei einer Vorschubgeschwindigkeit von etwa 120 m/min. Um die Nebenzeiten gering zu halten, beschleunigen die Achsen mit 25 m/s2.
Das Ergebnis dieser weiteren Entwicklungsarbeit zeigten die zur Hamburger Schleifring-Gruppe gehörenden Flach- und Profilschleif-Spezialisten erstmals im September auf der Fertigungstechnikmesse EMO: „Unsere Schnellhub-Pendelschleifmaschine Prokos ist – um bei dem Vergleich zu bleiben – ein alltagstauglicher Hochleistungs-Sportwagen“, sagt Oppelt. „Bei dieser Maschine haben wir die Erkenntnisse aus dem Agneta-Projekt konsequent umgesetzt.“ Hochdynamische Direktantriebe in den Linear- und Rotationsachsen, kombiniert mit dem Hochgeschwindigkeits-Schleifspindelantrieb, sorgen für die gewünschten Effekte. „Das Ergebnis sind höchste Zerspanleistungen ohne Schädigung der Randzonen. Und das bei einer sehr geringen Abnutzung des Werkzeugs.“ Als Basismaschine ist die Prokos mit drei Achsen ausgestattet. Durch einen Hochgeschwindigkeits-Teiltisch und einen schwenkbaren Schleifantrieb kann sie auf fünf Achsen erweitert werden, so dass auch Bahnbearbeitungen komplexer 3D-Bauteile möglich sind.
War das ursprüngliche, im Agneta-Projekt erarbeitete Konzept fürs Bearbeiten von Turbinenteilen aus Nickelbasislegierungen sowie sehr leichten und hochfesten Titan-Aluminiden ausgelegt, eignet sich die Serien-Prokos laut Blohm für eine ganze Reihe weiterer Einsatzfelder, unter anderem im Maschinenbau, der Lagerindustrie oder dem Werkzeugbau.
Doch nicht nur die Industriepartner beschäftigten sich nach Abschluss des Forschungsprojekts weiter mit der Technologie. Untersuchungen am WZL zeigten beispielsweise, dass das Verfahren auch in anderen Bereich – etwa bei konventionellen Werkstoffen – noch viel Potenzial bietet.
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