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Gießereien formen sich ihre eigenen Fachleute

Fachkräfte: Gezielte Umschulung schließt Lücken
Gießereien formen sich ihre eigenen Fachleute

Die Gießereiverbände klagen über den anhaltenden Fachkräftemangel in der Branche. Manche Betriebe tun etwas dagegen. Ein Beispiel: Leipziger Gießereien haben sich mit der Tüv-Akademie verbündet, um Arbeitslose zu dringend benötigten Fachkräften umzuschulen. Mit dem Pilotprojekt haben alle Beteiligten gute Erfahrungen gemacht.

Stefan Schroeter ist Journalist in Leipzig

Wenn Ingo Bley die Formteile aus der Kernschießmaschine auf die Transportbehälter wuchtet, steht ihm der Schweiß auf der Stirn. Die Teile aus feinem Formsand haben ihr Gewicht, und die Maschine in der Leipziger Halberg Guss GmbH verbreitet eine beachtliche Hitze. „Die Arbeit ist körperlich schwer, aber damit habe ich kein Problem“, sagt der 40-Jährige.
Als Maschinist im Braunkohlen-Bergbau und als Mitarbeiter in einer Möbel-Ablaugerei musste er auch schon früher kräftig zupacken. Nachdem seine vorherige Arbeitsstelle der Baukrise zum Opfer gefallen war, hatte er sich sofort beworben, als er in der Zeitung auf die angebotene Ausbildung zur Fachkraft für Gießerei stieß. In einem Auswahlverfahren unter 150 Bewerbern erkämpfte er sich einen von 24 Plätzen in einem Pilotprojekt der Leipziger Tüv-Akademie.
Vier Monate lang paukten Ingo Bley und seine Kollegen das nötige Grundlagen-Wissen sowie die Grundtechniken des Formens, Gießens und Schmelzens. „Acht Stunden zu sitzen, ist schon sehr anstrengend“, berichtet der Arbeiter. „Und der Satz des Pythagoras war nur noch irgendwo im Unterbewusstsein. Aber da mussten wir uns durchbeißen.“
Nach der theoretischen Ausbildung lernte Bley in zwei Monaten Praxis in der Gießerei seinen künftigen Arbeitsplatz kennen. Das ist meist die Kernschießmaschine. Wenn es der Schichtplan erfordert, arbeitet er aber auch in der Kernmontage und an den Tauchbecken mit.
Es sind einfache und oft körperlich schwere Tätigkeiten, die von den so ausgebildeten Hilfskräften ausgeführt werden. „Wir haben sehr gute Erfahrungen mit den Leuten gemacht“, berichtet Uwe Fröhlich, Personalleiter bei der Halberg Guss GmbH in Leipzig. „Die Leute zeigen Engagement“, berichtet er. Nach einem halben Jahr können die Hilfskräfte an ein bis zwei Arbeitsplätzen eingesetzt werden. Sie sollen aber in den nächsten Monaten weitere Arbeitsplätze kennen lernen, um flexibler einsetzbar zu sein. „Bisher war es für die Leute auch ein Test, ob sie überhaupt in einer Gießerei arbeiten können“, so Personalchef Fröhlich.
Nicht jedem liegt die anstrengende Arbeit in der abgeschlossenen Halle. Einer der sechs Arbeiter, die Halberg aus dem ersten Tüv-Lehrgang im vorigen Jahr übernommen hat, musste aus gesundheitlichen Gründen aufgeben.
Halberg Guss ist wie andere Leipziger Gießereien dringend auf neue Mitarbeiter angewiesen. Das Unternehmen war zwar zu Anfang der 90er Jahre von über 1000 auf 200 Mitarbeiter geschrumpft, fasste aber nach der Privatisierung durch das Mutter-Unternehmen in Saarbrücken wieder Tritt und hat sich mit der Fertigung anspruchsvoller Motorblöcke für den VW-Konzern, den schwedischen Lkw-Bauer Scania und den englischen Motoren-Hersteller Perkins europaweit einen Namen gemacht.
Während asiatische und lateinamerikanische Konkurrenten ihre Kostenvorteile ausspielen, punktet Halberg nach eigener Aussage mit Know-how und Qualität. So bezog Scania die Leipziger Gießerei-Experten schon mit in die Entwicklung seines neuen Achtzylinder-Motors ein. Inzwischen beschäftigt Halberg in Leipzig wieder 400 Mitarbeiter und will die Fertigung weiter ausbauen. „In drei, vier Jahren werden wir voraussichtlich 570 Mitarbeiter beschäftigen“, glaubt Uwe Fröhlich und warnt: „Wir kommen jetzt an die Grenze des Fachkräfte-Potenzials in Leipzig.“
Auch andere Gießereien in der Stadt, wo die Branche auf eine Tradition seit 1870 zurück blicken kann, haben eine ähnlich gute Entwicklung vorzuweisen. Konnten die Unternehmen in den früheren Jahren noch Fachkräfte wieder einstellen, die sie Anfang der 90er- Jahre entlassen mussten, ist dieses Potenzial jetzt ausgeschöpft. Dazu kommt, dass die älteren Leistungsträger in absehbarer Zeit in Rente gehen und durch Nachwuchs ersetzt werden müssen.
Aus diesem Grund haben mehrere Gießereien in der Leipziger Region schon 1999 wieder eine Erstausbildung von Gießerei-Mechanikern ins Leben gerufen. Halberg Guss hat seit vergangenem Jahr wieder zwei eigene Lehrlinge, die den hoch qualifizierten Beruf in dreieinhalb Jahren lernen. Im kommenden August sollen drei weitere Lehrlinge hinzu kommen.
Eine schnellere Abhilfe zumindest bei einfachen Tätigkeiten versprechen die angelernten Arbeitskräfte. Bei dem Pilot-Lehrgang hatte sich Halberg Guss noch mit drei anderen Leipziger Gießereien verbündet. Im Januar ist nun schon der zweite Lehrgang angelaufen, bei dem Halberg alle 24 Teilnehmer übernehmen will. „Hier sind wir auch davon abgewichen, nur Leute aus Metallberufen zu nehmen“, erklärt Uwe Fröhlich. „Es gibt auch viele Bewerber aus dem Baubereich, die körperlich schwere Arbeiten gewohnt sind.“ In der ostdeutschen Bauindustrie, die nun schon seit acht Jahren eine Krise durchmacht, sind ihre Job-Chancen dagegen minimal.
Die härteste Arbeit ist für viele der 30- bis 40-jährigen Lehrgangs-Teilnehmer allerdings die viermonatige theoretische Ausbildung in der Tüv-Akademie. „Bei den Schülern ist die Theorie nicht so beliebt“, berichtet Kristina Bayer, Leiterin des Training Centers, „sie würden am liebsten gleich arbeiten.“ Einem Praktiker, der 20 Jahre lang auf keiner Schulbank mehr saß, fällt es nicht leicht, im Fach Technische Mathematik Druckkräfte zu berechnen und im Fach Technische Kommunikation Konstruktions-Zeichnungen aus einer neuen Branche zu enträtseln. Das Grundlagen-Wissen braucht er aber später noch im Lehrgang. Fachbezogene Fächer wie Formen und Gießen nehmen die gelernten Facharbeiter dagegen leichter an. „Da geht es immer um einen Arbeitsprozess“, so Kristina Bayer.
Die Motivation ist auf jeden Fall hoch und der Krankenstand – anders als bei anderen Lehrgängen – äußerst niedrig. Denn jeder weiß, dass ihn am Ende ein Arbeitsplatz erwartet. So haben den ersten Lehrgang auch 22 der 24 Teilnehmer erfolgreich abgeschlossen und wurden von den betreffenden Gießereien übernommen. Mitunter finden sich im neuen Beruf sogar verblüffende Parallelen zur alten Tätigkeit: Ein früherer Maurer hat in einer Gießerei einen Arbeitsplatz gefunden, an dem er nun Öfen und Pfannen ausmauert. Zudem eröffnen sich den Leuten in der Gießerei auch Entwicklungs-Chancen: So konnte sich Ingo Bley im Halberg-Mutterhaus in Saarbrücken mit der Robotertechnik vertraut machen, die teilweise auch schon im Leipziger Werk eingezogen ist.
Auf die Idee zu dem Qualifizierungs-Lehrgang kamen die Tüv-Experten bei ihren regelmäßigen Schulungen von Gießerei-Fachleuten. Der Fachkräfte-Mangel war dort ein ständiges Thema, so dass es nahe lag, einen solchen Lehrgang zu organisieren. Viele Dozenten hat die Tüv-Akademie im eigenen Haus, für manche Fächer engagiert sie auch externe Fachleute. Finanziert wird der Lehrgang vom Arbeitsamt.
Menschen, die in Krisenbranchen ihren Arbeitsplatz verlieren, mit den nötigen Qualifikationen für aufstrebende Wirtschaftszweige auszurüsten, ist eine Spezialität der Leipziger Akademie. Derzeit läuft ein von ihr aufgelegter Lehrgang in Sachsen-Anhalt, in dem ein Jahr lang 20 Monteure für Windkraftanlagen ausgebildet werden. Auch dort ist sich Kristina Bayer sicher, dass die Teilnehmer nach erfolgreichem Abschluss einen Arbeitsplatz bekommen: „Wir haben die konkreten Anforderungen der Firmen vorliegen.“
Auch für Fahrzeug-Aufbereiter gibt es künftig in der Region Halle-Leipzig gute Chancen: In Wiedemar hat sich das Flotten-Gebrauchtwagen-Center von Daimler-Chrysler angesiedelt. Das Unternehmen rechnet mit einem starken Wachstum – und braucht dafür Fachkräfte, die gebrauchte Fahrzeuge wieder in einen flotten Zustand bringen können.
Industrieanzeiger
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