Startseite » Allgemein »

Grau bleibt schlau

Personal: so bleiben Ältere Arbeitnehmer Leistungsträger
Grau bleibt schlau

Ältere Arbeitnehmer werden in den Unternehmen eine Selbstverständlichkeit sein. Die Industrie hat aber noch Nachholbedarf, wenn es darum geht, Mitarbeiter über 50 zu qualifizieren und zu motivieren. Beispiele zeigen, wie das erfolgreich geht.

Sie waren alt, frustriert und oft krank. Viele Werker versuchten, in den Vorruhestand oder in die Altersteilzeit zu flüchten – eine Fehlzeitenanalyse brachte es zu Tage. „Es war klar, dass wir gezielt etwas für unsere älteren Mitarbeiter tun mussten“, erinnert sich Norbert Hammes, Geschäftsführer der Vetter Fördertechnik in Siegen.

Das Problem des Unternehmens aus dem Siegerland wird in der Bundesrepublik in wenigen Jahren viele betreffen. Bis zum Jahr 2020 wird es 40 % mehr Arbeitnehmer geben, die die 55 überschritten haben, als heute, hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ausgerechnet. Im Jahr 2015 wird jeder dritte Erwerbstätige über 50 Jahre alt sein. Vor allem Mittelständler sind betroffen, meist auf dem Land, wo es wenig junge Menschen gibt. Oder in Ballungsräumen, wo ein starker Wettbewerb um die Arbeitskräfte herrscht.
Die Gründe für die demotivierten und angeschlagenen Senioren bei Vetter kamen bei einer Untersuchung ans Licht: So erledigten die Älteren überraschenderweise meist die körperlich schweren Arbeiten. Wurde eine neue Maschine angeschafft, drängten sich die Jungen vor, die sich die spannenden Arbeitsinhalte unter den Nagel rissen. Die Alten ließen die forschen Jungen gewähren.
Schließlich bot das Unternehmen den körperlich schwer Arbeitenden Qualifizierungsmaßnahmen an, um sie für technisch anspruchsvollere, aber körperlich leichtere Tätigkeiten einsetzen zu können. Mit Erfolg: „Heute wechseln alle Mitarbeiter regelmäßig den Arbeitsplatz“, berichtet Hammes. Ein Punktesystem, an das die Entlohnung gekoppelt ist, stellt sicher, dass die Rotation zwischen den Arbeitsplätzen eingehalten wird. Das Unternehmen hat zudem weniger Sorgen bei Urlaub oder Krankheit, weil die Mitarbeiter flexibler einzusetzen sind. „Das ist heute ein Selbstläufer“, sagt Geschäftsführer Hammes zufrieden.
Bei den Industrie- und Branchenverbänden ist das Thema angekommen. „Fakt ist, der Maschinenbau altert“, stellte beispielsweise Dr. Thomas Lindner dieser Tage auf der Mitgliederversammlung des VDMA fest. Dort befasste sich ein Workshop mit dem demografischen Wandel. Denn die Betriebe werden anders aussehen, wenn die Baby-Boomer-Generation in die Jahre kommt. „Das Kommende wird alles bisher Bekannte in den Schatten stellen“, ist sich der VDMA-Vizepräsident sicher, „eine Belegschaft mit einem Altersdurchschnitt um die 50!“ Derzeit liegt der Altersdurchschnitt in der Branche knapp über 40 Jahren.
Offensichtlich besteht Handlungsbedarf: Laut einer IAB-Studie gab es 2006 nur in 17 % der Betriebe Maßnahmen speziell für Ältere. Um die Arbeitsfähigkeit der Mitarbeiter zu erhalten, müssten die Unternehmen heute in Maßnahmen für die grauen Panther von morgen investieren, fordert das Institut.
Carola Feller, zuständige Expertin im Kompetenzzentrum Bildung des VDMA, sieht einen wichtigen Punkt beim Thema Gesundheit: „Die jungen Mitarbeiter werden häufiger krank“, weiß sie, „die Älteren selten, aber dafür länger.“ Einseitige Belastung führe oft zu chronischen Beschwerden. Dann droht die Erwerbsunfähigkeit.
Ein weiterer Punkt ist die Qualifizierung. So seien Ältere durchaus in der Lage, sich fortzubilden. Defizite in der Lerngeschwindigkeit liegen dabei nicht am Alter. „Das ist eine Frage der Lernentwöhnung“, hat Carola Feller beobachtet. Wer also ständig fachlich am Ball bleibt, denkt genauso flink wie ein Junger. Jedes Unternehmen müsse individuell entscheiden, wo es ansetzen muss, so Feller:
  • Wie ist die Altersstruktur in den einzelnen Bereichen?
  • Welche Berufsgruppen sind wie alt?
  • Welche Qualifikationen stehen dahinter?
  • Wie stellt sich die Situation in fünf, zehn und fünfzehn Jahren dar?
So mag es beim Einen richtig sein, dass er durch mehr Ausbildung die Altersstruktur heterogener gestaltet. Beim anderen tut Gesundheitsprävention Not, weil die Krankenstände zu hoch sind. „Es gibt schon viele gute Konzepte“, weiß die Fachfrau.
Das Demografie- und Fachkräfte-Problem kommt nicht überraschend. Schon zu Anfang des Jahrzehnts sorgte beispielsweise der Automobilzulieferer Brose für Schlagzeilen, als er per Anzeige gezielt nach Fachleuten über 45 suchte. Die Resonanz war überwältigend, und er lockte viele ältere Profis ins Frankenland.
Einen ähnlichen Weg ging Otmar Fahrion, Inhaber von Fahrion Engineering in Kornwestheim bei Stuttgart. Für den 100-Mann-Dienstleister wurde es immer schwieriger, in der wirtschaftsstarken Region geeignete Projektingenieure zu rekrutieren. Zudem wurden ihm zuweilen erfahrene Mitdreißiger abgeworben. „Bis aus einem jungen Ingenieur ein Projektmanager wird, der eine ganze Fabrik plant, vergehen zehn Jahre“, klagt der Unternehmer, „wenn einer geht, ist das für uns ein herber Verlust.“
Fahrion schaltete eine Anzeige, die sich an Ältere richtete, mit dem Motto: „Bei uns können Sie bleiben, bis Sie in Rente gehen.“ Das Echo war stark: Ergaben normale Stellenanzeigen meist eine karge Ausbeute, landeten nun über 500 Bewerbungen im Briefkasten. „Da waren richtig Gute dabei“, erinnert sich Fahrion, „ältere, manche arbeitslos mit den Qualifikationen, die wir benötigten.“ Denn im Projektgeschäft seien erfahrene Generalisten gefragt. Heute ist ein Drittel der Fahrion-Mitarbeiter über 50. Die Arbeit mit Kommunikationstechnik und IT ist Pflicht und selbstverständlich. „Davor hatten sich viele Ältere in der Vergangenheit gedrückt“, kritisiert der 66-jährige Firmenchef.
Wichtig ist ihm der Wissensaustausch. Die Alten bringen die Lebens- und Berufserfahrung mit, die Jungen das aktuelle Wissen. Besonders schätzt der Firmenchef die Beharrlichkeit der alten Hasen. „Es gibt kein großes Projekt, bei dem es nicht irgendwann gewaltig knirscht“, erzählt er. Die Älteren warten, bis der Sturm vorüberzieht, und klären die Situation. Die Jungen geben dann schon mal zu früh auf.
Dabei betont der rührige schwäbische Unternehmer immer wieder, dass er nicht aus sozialen Gründen die älteren Ingenieure einstellt, sondern aus rein wirtschaftlichen Erwägungen. „Etwas anderes könnte ich mir als Mittelständler gar nicht leisten.“
Es ist nicht nur die Erfahrung, die ältere Mitarbeiter mitbringen. Sie können innovativ sein – wenn man sie lässt, wie eine Studie des Instituts für Sozialforschung und Sozialwirtschaft (ISO) mit dem Titel „Der innovative Ältere“ zeigt. Demnach sind angegraute Entwickler in F+E sehr wertvoll. Sie sorgen laut der Studie für eine notwendige Entschleunigung des Entwicklungsprozesses. Allerdings wurden und werden sie durch die technologische Entwicklung systematisch ausgegrenzt, klagt die Studie – moderne Entwicklungs-Tools am Computer sind die Domäne der Jugend.
Josef Reindl, Forscher an dem Saarbrücker Institut und Autor der Studie: „Die Unternehmen drängen diese Menschen aus den Betrieben, solange sie sich noch am Arbeitsmarkt mit jüngeren bedienen können.“ Ein Fehler der Alten wiederum war laut Reindl eine Technikscheu, und dass sie sagen: „Das tu’ ich mir nicht mehr an.“ Überwinden sie allerdings ihre Scheu, bilden sich fort und arbeiten in gemischten Teams, sind sie Gold wert, so das Fazit des ISO-Instituts. So sieht das auch VDMA-Expertin Feller: Es sei möglich, dass gar kein Demografie-Problem eintreten wird, wenn die Unternehmen sich richtig vorbereiten. Feller: „Wenn die Betriebe ihre Mitarbeiter systematisch entwickeln, werden die Leute einfach nur älter.“
Tilman Vögele-Ebering tilman.voegele@konradin.de
Wer will bis zur Rente bleiben?

„Ältere Mitarbeiter nicht aus Kernprozessen ausgrenzen“

544654

Nachgefragt

Was können Unternehmen tun, damit sie trotz des demografischen Wandels innovativ bleiben?
Keiner weiß, ob sich auf den Weltarbeitsmärkten Lösungen finden werden. Ich rate den Unternehmen, mit der Ausgrenzung der Älteren aus den Kernprozessen der F+E und des Produktentstehungsprozesses aufzuhören, sie also nur noch in Nischen abzuschieben oder mit der Betreuung älterer Produkte zu betrauen.
Wie sieht das in der Praxis aus?
Die Menschen sollten in den Teams quer durch alle Altersgruppen durchgemischt werden. Das nützt den Jüngeren, die Halt benötigen, und den Älteren, die Anschluss an Know-how finden können, das bei den Jungen vorhanden ist.
Wo entstehen dabei in der Praxis Probleme?
Da müssen psychologische Barrieren abgebaut werden, zum Beispiel dass die Alten von den Jungen lernen. Aber ich bin da relativ optimistisch: Denn das Potenzial ist bei den Älteren da, man muss nur die Niveaus etwas differenzieren, das heißt die Älteren in den Teams da einsetzen, wo sie wirklich gut sind. Gerade im Innovationsbereich gibt es Aufgaben, die schon gar nicht mehr erledigt werden wie etwa die Qualitätssicherung.
Wie sollen Unternehmen und ältere Arbeitnehmer bei Qualifizierungsmaßnahmen vorgehen?
Beide Parteien sollten vorbehaltlos miteinander reden. Der Arbeitgeber sollte sagen, wie lange er den älteren Mitarbeiter behalten will und was er mit ihm noch vor hat. Der Beschäftigte sollte mitteilen, wie lange er noch arbeiten will und ob er sich auf die Pläne des Arbeitgebers einlässt. tv
Unsere Webinar-Empfehlung
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
Ausgabe
6.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de