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Hand in Hand zu Serienlösungen

Composites: Forscher-Team automatisiert Prozesskette für HP-RTM
Hand in Hand zu Serienlösungen

Leichtbau | Composites werden in Großserien verstärkt zum Einsatz kommen, wenn der Automationsgrad bei der Herstellung steigt. Forscher aus dem Fraunhofer ICT und weiteren Instituten entwickeln dafür eine durchgängige Prozesskette. Sogar Sandwichstrukturen mit Schaumkern rücken ins Blickfeld.

Michael KarcherLeiter Technologiekorridor „Duromere“ Polymer Engineering am Fraunhofer ICT Dr.-Ing. Timo HuberStellvertretender Produktbereichsleiter Polymer Engineering am Fraunhofer ICTDr.-Ing. Bernd ThomaGruppenleiter Hochleistungsfaserverbunde am Fraunhofer ICTProf. (apl.) Dr.-Ing. Kay WeidenmannLeiter Technologiekorridor „Hybride“ sowie Abteilungsleiter „Hybride Werkstoffe und Leichtbau“ am IAM-WK

Ein Viertel aller CO2-Abgase in der Europäischen Union geht auf das Konto des Verkehrs. Gesetze reduzieren deshalb den erlaubten Ausstoß von Pkw in den nächsten Jahren stufenweise: für den Automobilbau ist der Leichtbau von strategischer Relevanz. Ein besonders hohes Leichtbaupotenzial haben Hochleistungsfaserverbunde mit einem Volumenanteil an Verstärkungsfasern von über 50 %.
In einer grundsätzlichen Betrachtung geht die Audi AG davon aus, dass Aluminium das Gewicht von Strukturen aus Stahl um rund 40 % senken kann – und dass kohlenstofffaserverstärkte Kunststoffe (CFK) dieses Ergebnis noch um weitere 60 % unterbieten können (unidirektionale Verstärkung mit 60 % Volumenanteil Fasern vorausgesetzt). Vor allem Composites mit anisotropen, lastpfadorientierten Faserverstärkungsstrukturen bieten die Chance, Massen deutlich zu reduzieren. Um sie in der automobilen Großserie zu etablieren, werden automatisierte, robuste und qualitätsgesicherte Fertigungstechniken benötigt.
Eine durchaus lösbare Herausforderung. Soll eine Industrialisierung gelingen, so ist eine ganzheitliche Betrachtung von Zusammenhängen und Wechselwirkungen zwischen Material und Prozess erforderlich. Fertigungstechnische Fragestellungen sind ebenso wichtig wie werkstoffkundliche Analysen und Simulationsmethoden, um die Prozessketten und die von ihnen abhängigen Materialeigenschaften durchgängig zu beschreiben. Für diesen Ansatz hat das Fraunhofer ICT kürzlich das Instrument der „Technologiekorridore“ geschaffen. Es bildet eine übergreifende Entwicklungsplattform für Forscher in den Werkstoffgruppen „Duromere“, „Thermoplaste“ und „Hybride“. Hier arbeiten Wissenschaftler verschiedener Institute an ganzheitlichen Leichtbaulösungen zusammen. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen „Methoden“ (Institut für Fahrzeugsystemtechnik FAST des KIT), „Werkstoffcharakterisierung“ (Institut für Angewandte Materialien – Werkstoffkunde IAM-WK des KIT) und „Prozesstechnik“ (Produktbereich Polymer Engineering am Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie ICT).
Um hochbelastete Strukturbauteile in der automobilen Großserie zu fertigen, wird derzeit bevorzugt das Hochdruck-RTM Verfahren (HP-RTM) eingesetzt. Betrachtet man die Kostenstruktur entlang der Prozesskette, wird deutlich, dass dem Preforming eine Schlüsselfunktion zukommt (Abbildung). Durch Automatisieren der Handhabungsoperationen und des Drapierens innerhalb des Preforming-Prozesses lassen sich die Zykluszeiten deutlich verringern, so dass die Gesamtproduktionskosten der HP-RTM-Prozesskette signifikant sinken. Mit zunehmendem Automationsgrad steigt zugleich die Reproduzierbarkeit der Bauteilqualität, und dadurch sinken die Produktionsausschussraten.
Während Hochleistungsfaserverbunde bis vor kurzem nur in Sportwagen in 100er- bis 1000er-Serien zum Einsatz kamen, wurde im Projekt BMW i die 10 000er-Serie in Angriff genommen. Eine weitere Steigerung der Stückzahlen wird angestrebt.
Für das automatisierte Herstellen von komplexen Bauteilen hat sich das sequenzielle Umformen von kompletten Lagenaufbauten (sogenannte Stacks) etabliert. Dabei kommt ein Mehrfachstempel-Werkzeug zum Einsatz. Den Prozessablauf zeigt das dargestellte Schema: Die 2-dimensionalen Lagenaufbauten werden in der Ebene lokal vorgespannt und mit Stempeln nacheinander in die gewünschte 3-dimensionale Form gebracht.
Zum Fixieren der textilen Halbzeuge in Form und Lage hat sich das lokale Applizieren von reaktiven Bindern bewährt. Einen wesentlichen Beitrag dazu leistete das Fraunhofer ICT in Zusammenarbeit mit dem IAM-WK und dem FAST durch die Entwicklung des „Chemical Stitching“. Bei diesem neuartigen Fixierverfahren fährt eine Nadel – ähnlich wie beim Nähen – zwischen die Lagen und injiziert lokal das Bindersystem, das mit UV-Licht sofort aushärtet.
Das faltenfreie Drapieren eines flächigen Halbzeuges ist bei vielen komplexen 3D-Geometrien nicht ohne weiteres möglich. Häufig sind Einschnitte in kritischen Bereichen notwendig, oder die Preform muss aus mehreren einfach zu drapierenden Zuschnitten, sogenannten Patches oder Sub-Preforms, aufgebaut werden. Die damit verbundene Faserdurchtrennung kann jedoch im späteren Bauteil zu Einbußen bei den mechanischen Eigenschaften führen. Es existieren verschiedene Ansätze, um diese Verluste mit Versatz- und Überlappstrategien zu minimieren. Bei Patch-Zuschnitten beispielsweise durch Zuschnitt-Überlapp, Keilversatz oder Rampenversatz. Für die Übergänge zwischen den Sub-Preforms bietet sich die Strategie des Preform-Überlapps an.
Sub-Preforms, die in einem späteren Prozessschritt zur Gesamtpreform gefügt werden, kommen insbesondere bei geometrisch hochkomplexen und bei großmoduligen Bauteilen zum Einsatz. In Kooperation zwischen dem Fraunhofer ICT und dem FAST am KIT werden dafür verschiedene Drapierstrategien entwickelt, bewertet und umgesetzt. Hierzu zählen beispielsweise Überlapp-Strategien für das „Fügen“ von Sub-Preforms mit dem Ziel, die Materialeigenschaften optimal auszunutzen. Es gilt einen Kompromiss zu finden zwischen einfachem Fertigen, gutem Drapieren und bestmöglichen Materialeigenschaften, damit die verschiedenen Überlappbereiche nicht zur Schwachstelle für die Bauteileigenschaften werden. Die Untersuchungen zum Sub-Preforming umfassen dabei auch den Einfluss von Bindern zum Vorfixieren, wobei das IAM-WK am KIT an der Entwicklung von Prüfstrategien beteiligt ist.
Basierend auf diesen grundlegenden Vorarbeiten konzipierte die Dieffenbacher GmbH für die weitere wissenschaftliche Arbeit ein PreformCenter zur automatisierten Preformherstellung und installierte es am Fraunhofer ICT. Die Anlage ermöglicht es jetzt, die komplette Preformherstellung vom Lagenzuschnitt über die Binderapplikation bis hin zur Formgebung für Bauteile mit einer Größe von 2 x 2,5 m² abzubilden. Auch die Verknüpfung der einzelnen Prozessschritte ist sichergestellt. Die Handhabung übernehmen Roboter mit ausgewählten Greifern als Endeffektoren.
Im Anschluss an die Preformherstellung erfolgt noch der Infiltrationsschritt zum Endbauteil. Um hohe Produktionszahlen zu erzielen, werden heutzutage hochreaktive duromere Harzsysteme eingesetzt, die aufgrund ihrer Kinetik in weniger als 3 min zum finalen Bauteil mit hohem Vernetzungsgrad aushärten. Die Verarbeitung solcher hochreaktiver Harzsysteme macht angepasste, stabile und reproduzierbare Infiltrationsprozesse wie das Hochdruck-RTM-Verfahren erforderlich. Das homogene Vermischen der hochreaktiven Harz- und Härterkomponenten findet in einer entsprechend dafür konzipierten HP-RTM-Anlage statt. Um eine schnellstmögliche Harzinjektion bei vollständiger Imprägnierung der textilen Faserpreform zu erreichen, beschäftigt sich das Fraunhofer ICT mit der Entwicklung und Optimierung neuer Verfahrensvarianten für HP-RTM.
Eine der zwei neuen Varianten ist das sogenannte Hochdruck-Injektion-RTM (HP-IRTM). Dabei wird die Preform in einem komplett geschlossenen 2-teiligen Werkzeug durch hohen Harzinjektionsdruck imprägniert. Der hohe Injektionsdruck kann die Injektionszeit und die anschließende Aushärtezeit deutlich verkürzen.
Bei der Verfahrensvariante Hochdruck-Compression RTM (HP-CRTM) hingegen wird das hochreaktive Harzsystem in eine definiert geöffnete Werkzeugform injiziert, auch als „Injektionsspalt“ bezeichnet. Durch das nicht vollständig geschlossene Werkzeug besitzt die unkompaktierte Preform eine höhere Permeabilität und lässt sich leichter und besser tränken. Des Weiteren wird im HP-CRTM ein „Wegspülen“ der Fasern während der Injektion aufgrund zu hoher Injektionsdrücke minimiert. Ist das Harz injiziert und die Werkzeugform geschlossen, wird die Preform sowohl kompaktiert als auch gleichzeitig imprägniert. Dafür sorgt der hohe Werkzeuginnendruck, der aus den Schließkräften der Hydraulikpresse resultiert.
Diese neuen Prozessrouten wurden hinsichtlich der Beziehungen zwischen Prozessstruktur und Eigenschaften von dem Fraunhofer ICT und dem IAM-WK in Zusammenarbeit eingehend wissenschaftlich validiert.
Um das Leichtbaupotenzial weiter auszuschöpfen, liegt der Fokus der wissenschaftlichen Arbeiten derzeit auf der Herstellung von Sandwichstrukturen mit niedriger Schaumkerndichte. Dieser Ansatz bietet die Chance, vor allem die Biegeeigenschaften bei geringem Materialeinsatz signifikant zu steigern. Aber er stellt auch neue Anforderungen an den Infiltrationsprozess: Ist der Kavitätsdruck während des Injektionsvorgangs zu hoch, führt er zur Schädigung oder sogar zum Kollabieren des Schaumkerns. Aus diesem Grund beschäftigt sich das Fraunhofer ICT mit der Entwicklung, Optimierung und Charakterisierung neuartiger Prozessführungen, die den entstehenden Kavitätsdruck während der Injektion deutlich reduzieren sollen.
Die Prozessführungen sind adaptiv und hochanspruchsvoll: Basierend auf Informationen von hochpräzisen Wegmesssensoren wird aktiv in die Prozessführung eingegriffen und entsprechend die Anlage geregelt und gesteuert. Mit dieser innovativen Methode lassen sich funktionsfähige Bauteile bei geringem Werkzeuginnendruck in kurzen Zykluszeiten herstellen. In Kooperation mit dem FAST werden Formfüll- und Aushärtesimulationen durchgeführt. Sie bilden zum einen die Grundlage für die Werkzeugauslegung der verschiedenen Hochdruck-RTM-Verfahrensvarianten und dienen zum anderen zur Verzugssimulation von Bauteilen.
Die im Rahmen dieser Veröffentlichung erwähnten Forschungsthemen und gezeigten Ergebnisse waren beziehungsweise sind unter anderem Gegenstand öffentlich geförderter Forschungsprojekte mit nationalen Partnern aus Industrie und Forschung. Hierzu zählen die RTM-Teilprojekte im Rahmen des Technologie-Clusters Composites Baden-Württemberg (TC²), das vom MWK Baden-Württemberg geförderte Projekt „III-D Preforming – Intelligent, Innovativ, Interdisziplinär“, das AiF Projekt „Multiaxiale Hochleistungs-Gewebekonstruktionen und deren belastungskonforme Nutzung zu Leichtbau-Composites mit unterschiedlichen Matrices“, das BMBF-Projekt „Vergleichende Prozess- und Eigenschaftsbewertung für potenzielle FVK-Strukturanwendungen in der automobilen Großserie“ (MAI qfast) sowie das BMBF-Projekt „Systemintegrativer Multi-Material-Leichtbau für die Elektromobilität“ (SMiLE).
Literaturhinweis: Thoma, B: Methodische Umsetzung und Bewertung eines neuartigen Prozesses zur lokalen und automatisierten Fixierung von textilen Preformlingen; Dr.-Ing. Dissertation am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) 2015; ISBN 987-3-8396-0887-6
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