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Hydrauliker ordern Dichtungen nach Maß

Thermoplastische Polyurethane: ideal bei speziellen Anforderungen
Hydrauliker ordern Dichtungen nach Maß

Hydraulik-Dichtungen aus thermoplastischen Polyurethanen bieten große Vorteile: Sie lassen sich günstig herstellen und gut maßschneidern. Allerdings ist dafür ein hoher Entwicklungsaufwand und profundes Know-how notwendig.

Bernhard Foitzik ist freier Fachjournalist in Neustadt/Weinstraße

Für Furore sorgen derzeit thermoplastische Polyurethane (TPU) als Basiswerkstoff für Hydraulikdichtungen. Wegen ihrer hohen Verschleißfestigkeit und Extrusionsbeständigkeit werden sie von Hydraulikern aller Anwendungwendungsbereiche geschätzt. Werkstoffkundler erweitern ihren Temperaturbereich und sorgen dafür, dass sie auch gegen aggressive Medien beständig sind.
PU-Dichtungen sind eigentlich schon betagte Einbaukomponenten. Bereits vor wenigstens 20 Jahren wurden die Vorteile von Polyurethan als Dichtungswerkstoff in der Hydraulik entdeckt und industriell genutzt. Besonders gefragt sind sie wegen ihres Preis-Leistungs-Verhältnisses in der Mobilhydraulik. Marktbeobachter schätzen den Anteil der PU-Dichtungen an allen Hydraulikdichtungen heute auf 50 %.
Ob dieser Anteil wohl weiter steigt? Jedenfalls eröffnen neue TPU zusätzliche Einsatzgebiete. Das Geheimnis der beliebten Dichtungswerkstoffe liegt darin, dass Polyurethan mit seinem einzigartig modularen Polymeraufbau die Möglichkeit bietet, die Dichtung materialseitig maßzuschneidern – und zwar besser als alle anderen Werkstoffe. Bei der Merkel Freudenberg Fluidtechnic GmbH mit ihren Werken in Hamburg und Schwalmstadt sehen die Experten „im molekularen Bauplan des TPU und seiner ausgewogenen chemischen Synthese“ den Schlüssel zum Erfolg. Voraussetzung sei das wechselseitige Anpassen von Werkstoff und fertigungstechnischem Verfahren aneinander in einem iterativen Prozess. Angesichts dieser komplexen Entwicklungsmethodik wundert es kaum, dass allein Merkel Freudenberg weltweit jährlich mehrere Millionen. Euro in die PU-Werkstoffentwicklung steckt.
Kleinere Unternehmen scheuen diesen Aufwand – und beziehen TPU-Werkstoffe beispielsweise von Chemieunternehmen wie Bayer. Diese Materialien weisen alle grundlegenden Eigenschaften mit einer relativ großen Bandbreite auf, sind aber nicht auf spezifische Einzelfälle abgestimmt. Zudem verträgt sich nicht jedes Compound mit allen Hydraulikmedien. Über den Markterfolg und die Marktposition entscheidet aber letztlich die Fähigkeit eines Herstellers zur kundenspezifischen Formulierung. Maßgeschneiderte Werkstoffe können daher nur Unternehmen bieten, die über entsprechende Kapazitäten und Know-how verfügen. Und in diesem kleinen Anbieterkreis findet Know-how-Transfer schon einmal durch Personalwechsel statt.
Ein eigenes Werkstoff-Labor ist Pflicht für die marktführenden Unternehmen. Im vergangenen Jahr hat die Busak + Shamban GmbH daher am Standort Stuttgart ein neues Polyurethanlabor eröffnet. „Damit machen wir deutlich, welchen Stellenwert wir dieser Werkstoffgruppe einräumen, die für die dynamische Dichtungstechnik immer wichtiger wird“, heißt es aus dem Unternehmen. Joachim Möschel, Entwicklungsmanager Polyurethan bei Busak + Shamban, unterstreicht die Bedeutung der PU-Dichtungen noch: „Ohne TPU besäßen pneumatische und hydraulische Antriebe bei weitem nicht den heutigen hohen Leistungsstandard.“
In drei Disziplinen müssen Dichtungswerkstoffe besonders gut sein: Weiter Temperaturbereich im Dauereinsatz, chemische Beständigkeit und minimale Reibung. Für den Temperaturbereich der Dichtungen spielt die Miniaturisierung in der Hydraulik eine Rolle. Denn aus der Miniaturisierung ergeben sich höhere Energiedichten. Die dabei entstehenden Temperaturen führen häufig an die Grenzen von Standard-TPU. Diese liegen heute bei etwa +110 °C, wobei sich die Celsius-Werte durchaus noch um rund 10 % erhöhen lassen. Aber auch hier gibt es Grenzen. Dr. Manfred Achenbach, Leiter Technischer und Analytischer Service/FEA bei der Packaging Division (Prädifa) der Parker Hannifin GmbH in Bietigheim-Bissingen: „Die Temperaturgrenzen von Polyurethan-Werkstoffen lassen sich nicht beliebig erweitern.“ Für hohe Temperaturen modifizierte Werkstofftypen hätten dann bei anderen Eigenschaften ein Handicap. Was die chemische Beständigkeit angeht, müssen sich die Dichtungshersteller immer wieder von problematischen Additiven im Hydrauliköl überraschen lassen. Sie erhöhen zwar die Lebensdauer des Öls, verlangen der Dichtung aber zusätzliche Widerstandskraft ab. Und auf noch eine weitere Anforderung weist Dr. Thomas Dabisch hin, Leiter Werkstoffentwicklung bei Merkel Freudenberg in Schwalmstadt: „Eine besondere Herausforderung für die chemische Resistenz unseres PU-Werkstoffes sind die alternativen, wasserlöslichen Druckmedien, die seit etwa zehn Jahren in der Mobilhydraulik eingesetzt werden.“ Was für die Umwelt gut ist, könne dem Polyurethan übel zusetzen. Hier sei ein besonderer Entwicklungsaufwand erforderlich.
Die Verschleiß- und Dauerlaufeigenschaften einer Dichtung hingegen hängen immer auch stark von der Oberflächenrauigkeit ab, beispielsweise einer Kolbenstange. Wer seine Dichtungen so wenig wie möglich wechseln will, muss daher auf ein optimales Tribo-System aus Dichtung, Druckmedium und Stahloberfläche achten.
Trotz dieser individuellen Betrachtungsweise muss nicht für jeden Einsatzfall eine neue TPU-Dichtung entwickelt werden. Nach Einschätzung von Claus C. Späth, Produktmarketing-Leiter Hydraulik bei Merkel Freudenberg, verbirgt sich unter der Dachmarke Simrit ein derart breites Standardprogramm, „dass 90 Prozent aller Anwendungsfälle mit Standards abgedeckt werden können – und die Dichtungen immer noch Reserven haben“.
Die „Lebensdauerdichtung“ gibt es allerdings nicht. Nicht einmal konkrete Garantien kann es geben. Eine sorgfältige Auswahl, ein vernünftiger Betrieb und eine regelmäßige Überprüfung der Dichtungssysteme sollte den Anwender allerdings vor unliebsamen Überraschungen schützen.
Industrieanzeiger
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