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Identifizierung per Fingerabdruck ersetzt Chaos mit Passwörtern

Biometrie: Bürosysteme an der Schwelle zum Massenprodukt
Identifizierung per Fingerabdruck ersetzt Chaos mit Passwörtern

Immer mehr Codenamen oder Geheimzahlen überfordern selbst den modernen Menschen. Neue Fingertip-Scanner, die Pin-Codes durch Körpermerkmale ersetzen, haben das Laborstadium verlassen und treten im Büro ihren Siegeszug an.

Von unserem Redaktionsmitglied Werner Möller

Morgens um sieben steht der Zerspantechniker eines rheinischen Metallverarbeiters im Blaumann vor dem Bedienterminal seines Bearbeitungszentrums. Müde hebt er die Hand zu einem Fingertip-Sensor in der Größe einer Briefmarke, presst den rechten Daumen darauf. „Zugriff verweigert,“ meldet das Display. Er zieht den Daumen wieder weg, wischt ihn an seiner Jacke ab und versucht es erneut – kein Effekt. Auch der linke Daumen bringt nicht den gewünschten Erfolg.
Biometrie in der schmutzigen Fertigung? „Finger weg, weil viel zu anfällig“, warnt Wolfgang Kröger, beim Steuerungsanbieter Schleicher GmbH & Co. Relais-Werke KG fürs Marketing verantwortlich. Die Berliner verhinderten, dass dieses Szenario teure Realität wurde. Was als Referenzprojekt für den Biometrie-Einsatz in Bedienterminals für den Maschinenbau angedacht war, kam erst gar nicht in die Praxis. Obwohl die Idee verblüffend einfach war, statt Passwort den Fingerabdruck zur Identifikation zu verwenden, bissen sich die Schleicher-Entwickler ebenso wie die am Projekt beteiligten Experten des Berliner Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK) die Zähne daran aus.
Dabei könnte die Biometrie von Körpermerkmalen die Passwort-Dikatur abschaffen, die vielerorts schon herrscht: Ohne Pin kein Bargeld, ohne Puk-Kennung kein Handy-Zugang, ohne Codewort kein Internet-Account. Besonders IT-Verantwortliche interessiert die neue Sicherheitstechnologie. Der Grund: Zwischen 20 und 50 % aller Anrufe bei technischen Firmen-Hotlines drehen sich um vergessene Zugangscodes, schätzt das amerikanische Marktforschungsinstitut Gartner Group. Das Codewort-Chaos ist somit auch ein teures Vergnügen. Dazu kommt, dass Codes leicht zu knacken und verhältnismäßig unsicher sind. Außerdem können sie in offenen Netzen wie dem Internet leicht abgefangen und missbraucht werden.
Der Bedarf an Alternativen ist geweckt, denn biometrische Lesegeräte, wie PC-Kameras oder Iris-Scanner, können den Umgang mit Computern und Steuerungen sicherer und bequemer machen. „Am populärsten ist aber die Fingerabdrucktechnik“, bestätigt Chris Cherrington von der Frost & Sullivan Unternehmensberatung in New York. Der Autor der Studie „Biometrische Identifikationssysteme“ traut ihr in fünf Jahren die Hälfte des Gesamtumsatzes in Höhe von 158 Mio. US-$ zu. Um einen Menschen an den Linien seiner Fingerkuppen zu erkennen, werden miniaturisierte Sensorchips benötigt. Sie vermessen den Abstand zwischen Chip und Hautoberfläche. In Sekundenbruchteilen erstellt der Sensor ein digitalisiertes Graustufenbild des Fingerabdrucks und speichert Lage und Ausrichtung all seiner Linienenden, -wirbel und -verzweigungen.
„Bisher ist der Durchbruch biometrischer Technologie allerdings an ihrer mangelnden Robustheit im alltäglichen Einsatz gescheitert“, bedauert Hans Jürgen Pöhs, Vorstandsvorsitzender des Chip-Anbieters Delsy Electronic Components AG aus Birkenfeld. Stefan Schneiders, Fingertip-Fachmann der Münchener Siemens AG, macht zusätzlich die hohen Produktkosten und die Fehlerhäufigkeit dafür verantwortlich. „Gerade die Zurückweisung eines Berechtigten erzeugte in der Vergangenheit Akzeptanzprobleme.“ Der Sicherheitexperte rät deshalb: „Alles, was schlechter ist als zehn Prozent, also ein zweiter Versuch bei einer von zehn Anmeldungen, sollte nicht akzeptiert werden.“
Besonders trockene oder feuchte Hände sowie schmutzige Finger brachten gut die Hälfte der Anlagen aus dem Konzept, lautete auch das Ergebnis des Darmstädter Fraunhofer-Instituts für Graphische Datenverarbeitung (IGD), das elf in Deutschland erhältliche Fingertip-Systeme auf ihre Alltagstauglichkeit hin untersuchte. Noch sei deshalb bei einigen Systemen „vom Kauf abzuraten“, so das vorläufige Fazit der Studie. Selbst durch Attrappen aus Tesafilm oder Latex lassen sich einige Systeme überlisten, heißt es da.
Mit neuen Sensortypen, die jetzt auf den Markt kommen, bahnt sich der Durchbruch der fortschrittlichen Technologie an. Ein Beispiel ist das Delsy-Sensormodul der zweiten Generation. Besonderer Vorteil: Im CMOS-Verfahren ge-fertigt, ist es nicht nur deutlich kostengünstiger als sein Vorgängermodell in CCD-Technologie, sondern auch robuster. Installieren lässt sich das kleine Ding in Geräte mit Einbaurahmen oder in spezifische Systeme von Kunden. Durch die Verwendung des direkt-optischen Verfahrens wird ein digitales Abbild des aufgelegten Fingers erstellt, indem mit Hilfe einer Fiberglasplatte das Licht unmittelbar vom Finger auf den Chip weitergeleitet wird. Ohne auf ein zusätzliches Linsensystem zurückgreifen zu müssen, entstehen auf diese Weise verzerrungsfreie Bilder in höchster Auflösung und Qualität. Durch eine hermetisch abschließende Fiberglasoberfläche ist der Sensor gegen alle physikalischen, chemischen und mechanischen Einflüsse geschützt. Eine Lebenderkennung des Fingers bietet zudem ausreichenden Schutz vor Manipulationen. Mit Hilfe eines patentierten Verfahrens, basierend auf der Blutoxymetrie, kann nämlich erkannt werden, ob es sich um einen lebenden Finger handelt.
Auch die aktuelle Entwicklung des japanischen Elektronikunternehmens Sony ist ein monolithisch aufgebauter CMOS-IC in den Abmessungen 15 mm x 10 mm. Auf diesem einzigen Chip konnten die Elektronikentwickler nicht nur einen Leseverstärker, sondern auch einen Ausgangsverstärker sowie einen Ausgangspuffer zum Aufnehmen der Fingerabdruckbilder unterbringen. Der Sensor enthält eine Anordnung von metallischen Elektroden, die auf ihrer Oberfläche mit einem strapazierfähigem Film überzogen sind. Wenn nun ein Finger als leitendes Element genau auf diese Oberfläche gedrückt wird, bilden Finger, Isolierschicht und Metallelektroden einen Kondensator. Selbst der kleinste Unterschied zwischen den Fingerabdruckebenen verursacht Kapazitätsabweichungen, die wiederum mit dem Original verglichen werden. Der weniger als 50mW verbrauchende Sensor erkennt daraus Orginal und Fälschung.
Auch Stefan Schneiders sieht durch die kontinuierliche Weiterentwicklung der Sensoren, der Algorithmen und der Software die Fertigungskosten und Fehlerhäufigkeit deutlich gesenkt. 179 DM kostet die ID-Mouse seines Unternehmens nur noch. Sie ist von Microsoft zertifiziert und besitzt einen Fingertip-Sensor. 65 000 Sensorelemente auf diesem 1,7 cm² großen Infineon-Chip erfassen die Details eines Fingerabdrucks. Damit werden die individuellen Merkmale auf der Berg- und Tallandschaft eines Fingers – wie zum Beispiel der Verlauf eines „Tales“ in Form der Verzweigungen mit Eckpunkten – erkannt und mit den gespeicherten individuellen Daten der Berechtigten verglichen. „Selbst bei eventuellen Risswunden erkennt dieses System den berechtigten Nutzer,“ versichert Biometrie-Befürworter Schneiders.
„Dem Missbrauch von Benutzerrechten wollen auch die Hersteller von Tas-taturen künftig entgegenwirken“, erläutert Dietmar Rensch, Produktmanager bei der Cherry GmbH in Auerbach. Dazu vereinbarte Cherry jetzt eine Kooperation mit Siemens mit dem Ziel, eine Tastatur mit Biometrie-Funktion zu entwickeln. Erstes Ergebnis ist die Serie 12 000, die mit einem integrierten Fingerprint-Sensor ausgerüstet ist. Gemeinsam mit den Software-Komponenten können Netzwerkzugriff, File Protection und Verschlüsselung von Daten per Fingertip durchgeführt werden. Zum Beispiel erlaubt die Tastatur den Zugang zu vertraulichen Daten in Rechnersystemen erst nach einer genauen und positiven Überprüfung des Fingerabdrucks der Benutzer. Stefan Schneiders vergleicht: „Ein 4-stelliger-Pin-Code hat 10 000 mögliche Kombinationen, der Sicherheitsstandard unserer Biometrielösungen ist besser als eins zu einer Million.“
Eines der wenigen Unternehmen, das die Biometrie als kombinierte Sicherheitslösung in der Zutrittskontrolle im Einsatz hat, ist die Stuttgarter Interflex Datensysteme GmbH. Das kürzlich vorgestellte Fingerprint-Terminal eignet sich zur vollständigen Authentifizierung. Der Anwender legitimiert sich gegenüber dem System zunächst mit einer Ausweiskarte. Anhand des Datenvergleichs der berührungslos eingelesenen Transponderkarte erfolgt die Identifikation. Nun tritt der Fingertip-Sensor in Aktion, der für zusätzliche Sicherheit sorgt. Stimmen die Daten überein, wird Zutritt gewährt.
Werkstattanwendungen der Biometrie lassen noch auf sich warten
Zuverlässigkeit hin, Sicherheit her – die Nutzer stehen den biometrischen Systemen eher befürwortend gegenüber. Ein positives Bild hat die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie im Rahmen des Projektes Bio-Trust geförderte Untersuchung der Nutzerakzeptanz ergeben. Selbst beim Fingerabdruckverfahren denke „niemand sofort ans Polizeipräsidium“, zitiert Professor Michael Behrens, technischer Leiter des Biometrie-Testcenters an der Fachhochschule Gießen-Friedberg die Studie. Kritisiert wurde nur der noch zu langsame Identifikationsvorgang heutiger Systeme. Neue Software und Sensoren schaffen hier Abhilfe. Angesichts solch hoffnungsvoller Marktforschungsergebnisse bleibt der biometrische Innovationseifer ungebrochen. „Doch es wird wohl noch etwas dauern, bis an Bedienterminals von Schleicher der Daumen des Werkers das Passwort ablöst“, bewertet Wolfgang Kröger einen Industrieeinsatz vorsichtig.
Riesiger Markt in Sicht: Biometrische Identifikationssysteme stehen vor einem Boom
Nach Untersuchungen des Marktforschungsinstituts Frost & Sullivan stehen biometrische Systeme in Europa vor der breiten Markteinführung. In den nächsten beiden Jahren werden zahlreiche Anbieter mit neuen Produkten auf den Markt kommen. Viele Prozesse werden der Untersuchung zufolge auf biometrische Systeme umgestellt werden. Trotz der günstigen Wachstumsaussichten bleiben einige technische Fragen, Anwendungs- und Akzeptanzprobleme ungelöst. Bisher haben hohe Kosten und hohe Fehlerquoten eine schnellere Einführung biometrischer Systeme verhindert. Profitieren wird der Absatz biometrischer Systeme von der kürzlich erfolgten Vereinbarung einer einheitlichen Schnittstelle für die Programmierung von Anwendungsprogrammen (API – Application Programming Interface), mit der Softwareentwickler biometrische Produkte in größere Pakete integrieren können. Der Schlüssel zum Markt liegt nach Chris Cherrington, Autor der Studie, bei den komplementären Technologien wie Smart Cards und Mobiltelefonie. Diese und andere Märkte bieten ein gewaltiges Potenzial. Insofern wird erwartet, dass der Markt zunächst von Anbietern geprägt wird, die eine Verbindung zum Mobilfunk haben. Sony und Infineon werden eine Vorreiterrolle spielen und den Markt für andere Unternehmen öffnen.
Interview: Neue Entwicklungen machen den Fingerprint-Chip praxistauglich
Kaum etwas eignet sich besser zur Identifizierung als die Linien eines Fingers. So prognostiziert Hans Jürgen Pöhs seinem Fingerprint-Chip eine massenhafte Verbreitung.
? Bisher haben hohe Kosten und Fehlerhäufigkeit eine breite Einführung biometrischer Systeme verhindert. Wie ist der derzeitige Entwicklungsstand bei Fingerprint-Sensoren?
! Bei unserem Delsy-Sensor sind die Kosten auf einem Niveau angelangt, dass ein Einbau selbst in Handys denkbar ist. Die Fehlerhäufigkeit ist von der Bildqualität, Bildgröße und der Software abhängig. Unsere Sensoren liefern heute optimale Bilder bei einer Sensorfläche von 18 mm x 12 mm. Auch die Software ist soweit, dass die Fingerprint-Technologie als absolut geeigneter Ersatz für andere Verfahren angesehen werden kann.
? Knackpunkt „Zurückweisung“ – steht oder fällt mit dieser Zuverlässigkeit die Anwenderakzeptanz?
! Ja, sie steht und fällt damit, zumindest in den Bereichen, wo der Benutzer nur diese Möglichkeit des Zugangs hat. Gelegentliches Wiederholen eines abgelehnten Versuches hingegen wird akzeptiert.
? Welche Einsatzbereiche – vom Handy, über die Zutrittskontrolle, Warenlogistik bis zur abgesicherten Maschinensteuerung – halten Sie in naher Zukunft für realistisch?
! Auf allen Gebieten wird die Fingerprint-Technologie Einzug halten, mit unterschiedlichen Anlaufzeiten. Wir als Hersteller entwickeln Systemrealisierungen zur Zeit mit verschiedensten Partnern auf fast allen denkbaren Bereichen.
? Welchen Sicherheitsstandard bietet der Fingerprint-Sensor?
! Absolut wichtig ist eine zuverlässige Prüfung, ob es sich tatsächlich um einen echten, lebenden Finger handelt. Unsere Sensoren haben eine Lebenderkennung. Diese Daktyloskopie ist gerichtlich anerkannt.
? Stichpunkt E-Commerce: Reicht denn heute bei zunehmend anonymem Warenverkehr nur eine Sicherheitsabfrage durch Passwort aus, oder müssen verschiedene Systeme kombiniert werden?
! Diese Frage sollten die Betreiber, die die Verantwortung für das gesamte System tragen, beantworten. Aus Sicht eines Biometrieanbieters können wir allerdings sagen – ein Fingerprint reicht.
? Was präsentieren Sie auf der Messe Cebit?
! Mit unserem neuen CMOS-Sensor präsentieren wir als Ergebnis sechsjähriger Entwicklungstätigkeit ein nahezu unverwüstliches Fingerabdruck-System. wm
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