Startseite » Allgemein »

In 20 ms um 90° gedreht

Bis 800 W sind sowohl Schritt- als auch Servomotoren im Rennen
In 20 ms um 90° gedreht

In 20 ms um 90° gedreht
Unscheinbar und unterschätzt: Dieses Image haben die Schrittmotoren nicht länger verdient. Für manche Anwendung können sie eine kostengünstige Alternative zum Servo sein (Bild: Berger Lahr)
Viele Einsatzmöglichkeiten beim Schrittmotor, günstige Lösungen bei Servoantrieben: Zwischen diesen Alternativen können Anwender heute im unteren Leistungsbereich wählen. Der Industrieanzeiger hat Experten nach den Vorteilen beider Lösungen gefragt.

Von unserem Redaktionsmitglied Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de

Pick&Place, Kurzhubbbewegungen, blitzschnelle Drehungen um 90°: Das sind Anwendungen, bei denen Konstrukteure heute sowohl einen Antrieb vom Typ David als auch vom Typ Goliath einsetzen können. Je nach Anwendung kommen Schrittmotoren oder auch die Light-Version eines Servo in Frage – auch wenn manche Fachleute lächelnd abwinken und die Diskussion um die so unterschiedlichen Antriebe mit dem Hinweis „alles Marketing“ abtun.
Wer Schrittmotoren baut, sucht nach neuen Einsatzfeldern für seine Produkte und macht Servo-Anbietern das Terrain streitig. Umgekehrt sollen abgespeckte Servos günstiger sein und sich auch für einfache Anwendungen lohnen. Für den Anwender kann diese Spielart des Wettbewerbs von Vorteil sein. „Das ist aber eine Frage der Anwendung“, gibt Willibald Walz, Verkaufsingenieur bei der Berger Lahr Positec GmbH & Co. KG, zu bedenken. „Schrittmotoren traut man vieles gar nicht zu, obwohl sie sehr leistungsfähig sind.“ Laut Walz erreicht ein Schrittmotor seine Leistungsgrenze bei 750 bis 800 W. Seine bis zu 50 Pole werden üblicherweise so angesteuert, dass winzig kleine Schritte den Eindruck erzeugen, dass er sich kontinuierlich dreht. Die Steuerung erfasst die Zahl der Schritte und leitet daraus ab, welche Position der Antrieb gerade erreicht hat. So kann der Schrittmotor ohne Geberrückführung arbeiten, und der Kostenfaktor Sensor entfällt. Mögliche Nachteile: Sobald die Last das Drehmoment des Motors übersteigt, können Schritte unkontrolliert entfallen – und der Antrieb fährt seine Position nur noch ungefähr an. Auch bei Drehzahlen über 1000 min-1 können solche Schrittverluste auftreten.
Wird der Schrittmotor aber innerhalb seiner Leistungsgrenzen verwendet, hat er nach Auskunft der Fachleute im Vergleich zum geregelten Servosystem Vorteile zu bieten. Hier erreicht er wegen seiner vielen Pole beispielsweise ein sehr hohes Drehmoment von knapp 20 Nm, das mit dem von Torquemotoren vergleichbar sein soll. Laut Berger-Lahr-Mitarbeiter Balz ist darüber hinaus die Inbetriebnahme eines Schrittmotors erheblich einfacher, da prinzipbedingt keine Leitungen für den Drehgeber zu verlegen sind. Die Sollwerte sind schneller programmiert, und sobald der Antrieb an das Stromnetz angeschlossen ist, liefert er sein Haltemoment. Daher hat Berger Lahr sowohl Schrittmotoren als auch Servos im Programm und baut sein Spektrum an Schrittmotoren und passenden Verstärkern aus.
Auch beim Halten kann der Schrittmotor von Vorteil sein. „Wenn ein Servo stillstehen soll, muss die Regelung auf vollen Touren arbeiten“, erläutert Henry Claußnitzer, zuständig für das Marketing bei der Offenburger Parker Hannifin EME. Der geregelte Antrieb pendelt mit einem winzigen Hin und Her um die eingestellte Null-Lage. Bei den meisten Anwendungen falle das nicht ins Gewicht. Beim Positionieren eines Spiegels, der für eine messtechnische Aufgabe einen Laserstrahl umlenkt, könne dieses Pendeln aber stören. Der Schrittmotor wiederum würde hier einfach seine Position anfahren und stillhalten.
Vom Standpunkt eines Servoantriebsherstellers aus gesehen, bieten sich wiederum verschiedene Möglichkeiten, die Kosten zu senken. Die Langenfelder Omron Electronics GmbH beispielsweise verzichtet bei ihren Smart-Step genannten AC-Servomotoren auf die Möglichkeit des Bus-Anschlusses, den ein Servo normalerweise mitbringt. Angesteuert wird der Smart Step, wie ein Schrittmotor, ausschließlich über Impulse von der Steuerung. Nach Auskunft von Omron-Mechatronik-Spezialist Martin Meßner soll er preislich eher beim Schrittmotor liegen als bei seinen Servo-Verwandten. Die Inbetriebnahme erfolgt über Dip-Schalter und soll so unkompliziert sein wie beim Schrittmotor. Eingesetzt wird der Smart-Step in x-y-Positioniertischen, Etikettierern sowie für allgemeine Positionieraufgaben.
Einfach ist die Wahl des optimalen Antriebs bei solcher Vielfalt nicht. „Auch wenn viele Punkte betrachtet werden müssen, empfehlen wir, bei Leistungen bis 800 Watt zunächst beide Alternativen in Erwägung zu ziehen“, sagt Berger-Lahr-Mitarbeiter Balz. Erst wenn die Leistung darüber liegt, falle die Entscheidung wieder leicht, denn dann komme der Servo in Frage.
Für spezielle Anwendungen rüsten manche Hersteller ihre Schrittmotoren sogar mit einem Drehgeber aus. Dabei relativieren sich die Vorteile, die der Anwender bei den Investitionskosten zu erwarten hat. Im Vergleich zu den normalen Antrieben sollen sie dafür aber auch „einen besonders ruhigen Motorenlauf“ aufweisen – und wie im Fall der Ecostep-Antriebe als Kompaktmotoren mit 42 mm Flanschmaß viel kleiner ausfallen als vergleichbare Servomotoren. Das verspricht Vertriebsleiter Johann Zirkel von der Jenaer Antriebstechnik GmbH, deren „Eco“ im Ecostep für den eingebauten Encoder steht. Sie bieten Drehmomente von 0,1 bis 15 Nm bei Drehzahlen von bis zu 3000 min-1 und sind laut Zirkel bei den Anwendern „sehr gefragt“. Eingesetzt werden sie in der Halbleiterindustrie, beim Handling von Kunststoff-Kleinteilen oder für Drehbewegungen, bei denen sie für 90° nur 20 ms benötigen. „Wenn beispielsweise ein Joghurtbecher mit Barcode um 30 Grad zum Scanner gedreht werden soll, schafft das der Ecostep viel schneller als jeder Servoantrieb.“ Laut Zirkel „kennen viele Anwender diese Lösungsmöglichkeit gar nicht“, obwohl das System seit mehreren Jahren auf dem Markt ist.

Entscheidungshilfe zwischen Schritt- und Servomotor
Für Willibald Walz, Verkaufsingenieur Motion bei Berger Lahr, gibt es sechs Punkte, die bei der Entscheidung zwischen Schritt- und Servomotor eine Rolle spielen sollten.
Gleichlauf und Steifigkeit
Wenn hohe Gleichlaufeigenschaften und eine hohe Steifigkeit gefordert sind, ist der Schrittmotor die ideale Lösung.
Schrittverlust Wenn Argumente wie einfache Inbetriebnahme oder das hohe Drehmoment bei niedrigen Drehzahlen für einen Schrittmotor sprechen, lohnt es sich, beim Moment eine Reserve von 15 bis 20 % einzuplanen. Dann gehen auch bei störenden Einflüssen oder unerwartet hohen Lasten keine Schritte verloren.
Überlastfähigkeit Wenn die Anwendung einen Motor erfordert, der gelegentlich das Zwei- bis Fünffache des Nennmomentes als Überlast verträgt, kommt nur ein Servomotor in Frage.
Bauraum Wenn der Bauraum knapp ist, könnte ein Schrittmotor Vorteile bringen. Er hat ein höheres Eigenträgheitsmoment und kommt meist ohne Getriebe aus.
Robuste Achse Wer eine besonders robuste Achse konstruieren will, ist mit einem Schrittmotor gut beraten, da dieser Antrieb ohne Geber arbeitet.
Zukünftige Leistung Spätestens bei 800 W endet das Leistungsspektrum von Schrittmotoren. Falls das geplante Gesamtsystem in Zukunft höhere Leistungen erforderlich machen könnte, setzt der Konstrukteur am besten von Anfang an einen Servomotor ein.
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 5
Ausgabe
5.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de