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In der Fertigung integriert sich ein durchgängiger Lösungsansatz

Fabrikautomatisierung: Interdisziplinäres Zusammenspiel in der Prozesskette
In der Fertigung integriert sich ein durchgängiger Lösungsansatz

Airbags als passive Sicherheitssysteme treten bei Crashs blitzschnell in Aktion. Diese Intelligenz ist das Ergebnis eines Zusammenspiels teamfähiger Komponenten. Aber auch bei der Fertigung von Airbags sind die Technologien organisch verzahnt.

Angelika Mirau ist freie Journalistin in Düsseldorf, Werner Möller ist Redaktionsmitglied des Industrieanzeiger

Die Geschichte vom Luftkissen im Auto, das die Insassen bei Unfällen vor schweren Verletzungen schützt, beginnt im Frühjahr 1981: Mercedes-Benz bringt einen Wagen der S-Klasse als weltweit erstes Auto mit Airbag für den Fahrer auf den Markt. Zur Serienreife entwickelt, wird die neuartige, passive Rückhaltetechnik in den Wagen der Oberklasse zum Aufpreis von 1525,50 DM eingebaut.
Die Innovation verbucht beträchtliche Erfolge. Denn was man mit dieser „Komfortausrüstung“ an Sicherheit dazugewinnt, zahlt sich nicht allein in barer Münze aus: Bei einem Frontalzusammenstoß (70 % der Unfälle) bewahrt das Rückhaltesystem den Fahrer vor gefährlichen Verletzungen des Kopfes und Oberkörpers durchs Lenkrad. In Arbeitsposition gebracht durch sensible Sensoren, bläst ein pyrotechnisch aktivierter Gasgenerator in der Lenkradnabe den Luftsack explosionsartig auf.
Dennoch setzt sich der Airbag erst Anfang der 90er Jahre als Standardausstattung von Neuwagen durch; inzwischen sind bereits 40 % des Kfz-Bestands damit ausgerüstet. Die Entwicklung vom Luxusgut zum Standardartikel, die mehr Sicherheit für alle schafft, wird erst durch eine kostengünstige, aber qualitativ hochwertige Massenproduktion der passiven Sicherheitssysteme möglich. Und die gelingt vor allem durch interdisziplinäre Automatisierungstechnologie, wobei sich Sensorik, Auslösung und Steuerung, Bildverarbeitung, Software und Informationsübertragung zu einem Gesamtsystem verbinden.
Die Airbag-Geschichte verdeutlicht, wie Automatisierungstechnik hochwertige Produkte bezahlbar macht. Innovative Herstellungsverfahren reduzieren die Kosten und begünstigen damit die Verbreitung des Systems. Binnen eines Jahrzehnts ist der Preis für ein komplettes Airbag-Modul um ganze 80 % gesunken. Preisrückgang bei steigender Qualität manifestiert sich hier bereits im Detail. So haben zum Beispiel die Steuergeräte, die das Zünden des Airbags übernehmen, ihre Funktionalitäten durch technische Weiterentwicklung in den letzten sechs Jahren vervierfacht und ihren Preis dabei halbiert.
„Die Fertigung eines Airbagsystems ist eine hoch komplexe Prozesskette“, sagt Patrick Schwarzkopf, Projektleiter vom Forum Fabrikautomation im VDMA, Frankfurt/M. – und schickt die Begründung gleich hinterher: „Die einzelnen, schon in sich selbst komplexen Kettenglieder bilden elektronische Baugruppen, aus technischen Garnen ist der Luftsack zu weben, pyrotechnische Baugruppen erhalten exakt berechnet ihre ‚Sprengstoffe‘ zum Aufblähen des Bags, und schließlich das Modul als Ganzes.“
Ein Luftsack als Motor innovativer Technologien
„Moderner Automatisierungstechnik ist es zu verdanken, dass das Herstellen oder Zusammenfügen aller Komponenten von Airbagsystemen mit hoher Präzision und in Sekundenschnelle gelingt“, unterstreicht Schwarzkopf den fortschrittlichen Ansatz. Automatische Montageanlagen beispielsweise bringen die für die explosionsartige Reaktion des Gasgenerators zuständige Zündpille in ihre Hülse. Die Automationstechnik nimmt dem Menschen den gefährlichen Umgang mit explosiven Stoffen ab und garantiert zugleich absolute Funktionssicherheit des pyrotechnischen Systems.
Nicht nur Insidern der Automatisierung wird spätestens hier die Komplexität dieses Produktionsbeispiels deutlich – wie auf der Hannover Messe zu sehen sein wird. In der untersten Feldebene der Fabrik schaltet und waltet ein Heer von Sensoren wie induktive Näherungsschalter, optische Lichtschranken und ähnliche Positions- und Objektsensoren. Auch die Aktuatorik ist massiv präsent. Vielfach sind hier pneumatische Antriebe und elektrische Motoren am Werk, die von Frequenzumrichtern gesteuert werden. Diese bewegen wiederum Maschinenteile, um automatische Transport-, Montage-, Füge-, Verbindungs- und Prüfaufgaben durchzuführen. Sensorik und Aktuatorik sind dabei bislang über Signalkonditionierung mit dem Steuerungssystem verbunden – ein Zustand, der zunehmend substituiert wird durch dezentrale Peripheriemodule und Feldbuskommunikation.
Überhaupt wird die Zukunft in der Fabrikautomation viel Aufregendes bieten und verblüffende Lösungen präsentieren: Rechnerleistung wird in komplexe Sensoren und Aktuatoren hineinwandern, und die Implementierung aller Funktionen erfolgt auf einheitlichen echtzeitfähigen Betriebssystemen. Dabei mausert sich der Sensor zum System und nutzt dessen freie programmierbare Rechenleistung für Automatisierungsteilaufgaben.
Die Zukunft der Fabrik: Verblüffende Lösungen und viel Aufregendes
Im Bemühen um die Integration wachsen Signalkonditionierung, Plausibilitätsprüfung sowie Diagnose- und Servicefunktion zusammen. Solch ein Sensorsystem kann aber auch mehrere Sensor- und Aktuatorsignale verknüpfen und damit bestimmte Steuerfunktionen direkt übernehmen. Die gleiche Übertragungschiene von Rechnerleistung zeichnet sich auch in der Visualisierung ab. Auf diese Weise entsteht eine Vernetzung mit echtzeitfähigen Betriebssystemen. Mit diesen Schritten holt die Industriekommunikation eine Entwicklung nach, die in der Bürokommunikation schon weit fortgeschritten ist.
Diese Strukturen erfordern aber geeignete Kommunikationssysteme, deren Bandbreite der vom Teilnehmer benötigten Information entspricht. „Für komplexe Sensoren, wie beispielsweise in der Durchflussmesstechnik, und Aktuatoren, wie etwa bei einem Servomotor mit Frequenzumrichter, sind diese Integrationen sinnvoll“, erklärt Dr.-Ing. Gunther Kegel. Der Manager der Mannheimer Pepperl + Fuchs GmbH hält allerdings für induktive Näherungsschalter, Lichtschranken und Temperatursensoren eine Integration komplexer Kommunikation wie mit dem Profibus „wirtschaftlich derzeit für wenig sinnvoll“.
Die Diskussion um eine solche dezentrale Automatisierung konzentriert sich damit nicht nur auf den offenen Feldbusstandard. Sie muss erheblich weiter reichen: bis hinein in die Software- und Engineering-Struktur. Ein Ansatz ist Open Control, der den Versuch umschreibt, offene einheitliche Schnittstellen zwischen Applikation, Betriebssystem und Peripheriegeräten zu schaffen. Eine weitere Brückentechnologie für den Zugang zur Windows-Welt bietet OPC (OLE for Process Control). Der Softwarebus stellt eine einheitliche Schnittstelle für die verschiedensten Anwendungen in der Fertigungs- und Verfahrenstechnik zur Verfügung. Basierend auf dem Komponentmodell COM/ DCOM, vereinfacht OPC die Anbindung von Automatisierungskomponenten unterschiedlicher Hersteller an PC-Anwendungen wie Visualisierungssysteme, Tabellenkalkulationen oder sonstige Geschäftsapplikationen.
Die zukünftige Rolle sowohl der Feldbusse als auch des Ethernet für die industrielle Kommunikation fasst Helmut Gierse, der Vorstandsvorsitzende des Siemens-Bereichs A & D, so zusammen: „Erstens kann auf Feldbussysteme in Zukunft nicht verzichtet werden, und zweitens wird Ethernet von der Leitebene kommend weiter in die Feldebene vordringen und bei intelligenten Feldgeräten zum Einsatz kommen.“ Aus diesen beiden Punkten ergibt sich, dass am Markt nur eine Lösung Chancen hat, die sowohl die Vorteile des Ethernet nutzt als auch Feldbussysteme problemlos integriert.
Dies bietet nach Gierse heute nur Profinet. Hier sind sowohl reine Ethernet-Lösungen als auch Kombinationen aus Ethernet und Profibus möglich. Siemens zeigt dazu jetzt ein Hersteller-übergreifendes Engineering Tool.
Für die Kommunikation zwischen Geräten und Anwendung wird die Extensible Markup Language (XML) genutzt. Mit XML steht seit 1998 ein Standard für den einheitlichen Datenaustausch zwischen Applikationen und Systemplattformen zur Verfügung. Die Internet-orientierte Beschreibungssprache hat sich in der Anwendung als anpassungsfähig und einfach in der Handhabung erwiesen. XML-Befehle sind sowohl maschinenlesbar als auch für Anwender verständlich. Durch den Einsatz abgeleiteter XML-Schemata lassen sich auch spezielle Aufgaben präzise definieren, erläutert Heinrich Munz, Leiter Vorentwicklung bei Kuka Roboter in Augsburg: „Aus einem allgemeinen Profil für Automatisierungsgeräte lässt sich ein Profil für Steuerungen ableiten, das die Vorlage für spezifische Steuerungen wie SPS oder CNC bildet.“
Zurück zur Airbag-Produktion: Wie ein roter Faden zieht sich auch hier das „Traceability System“ durch, indem es jeden Fertigungsschritt und jedes eingesetzte Material informationstechnisch lückenlos dokumentiert. Die einzelnen Bausteine erhalten dabei Barcodes zu ihrer Identifikation, und ihr Zusammenschluss zu Baueinheiten wird in Datenbanken registriert.
Durch die Interaktion von Soft- und Hardware, Sensor-, Mess- und Prüftechnik bleibt also die gesamte Fertigungskette rückverfolgbar, was im Zweifelsfall volle Sicherheit garantiert. Denn wer als Fahrzeughersteller weiß, wann, wo und wie ein im Crashtest versagender Airbag entstanden ist, kann Rückschlüsse ziehen auf mögliche weitere kritische Module und diese überprüfen oder rechtzeitig austauschen. Damit weiß denn auch jedermann: Auf die Funktionstüchtigkeit von Airbagsystemen ist Verlass.
Airbag: Die Technik des Lebensretters: Exaktes Timing in Sekundenbruchteilen
Mit ihrer Diagnose- und Auslöse-Elektronik verstehen es die Airbagsysteme, einen Beschleunigungsrückgang durch normales Bremsen des Fahrzeugs zuverlässig von einem abrupten Stopp durch Aufprall zu unterscheiden; die auf plötzliche Verzögerung ansprechenden Sensoren erkennen Unfälle mit Aufprallgeschwindigkeiten ab etwa 18 km/h.
Auch kann das System bei Diagnose auf Crash im Bruchteil einer Sekunde mit exaktem Timing reagieren: Aufblähen zum Schutzkissen durch den Gasgenerator in 30 ms, und zwar genau im richtigen Moment, weil ein aufgeblasener Gassack seine Schutzwirkung nur 70 ms behält und ein zu spät aufgeblasener zusätzliche Verletzungsrisiken birgt.
Die ersten Airbagsysteme operierten noch mit Auslösegeräten, deren Schwellwertschalter als mechanische Beschleunigungsaufnehmer in der Knautschzone des Fahrzeugs saßen. Heute sind die mikromechanischen oder piezoelektrischen Beschleunigungssensoren zusammen mit der Diagnose- und Auslöse-Elektronik im Fahrgastraum eingebaut. Nach einer in der passiven Sicherheitstechnik gängigen Faustregel sollte das Schutzkissen für den Fahrer schon bei Vorverlagerung von dessen Kopf um knappe 13 cm voll aufgeblasen sein, ebenso das Kissen für den Beifahrer.
Derzeit wird über Airbag-Systeme nachgedacht, die sich „intelligent“ entfalten und wieder zusammenziehen können. Gerät ein Auto ins Schleudern, melden dies Sensoren an die Airbag-Steuergeräte, und die Luftsäcke werden ein wenig aufgeblasen. Kommt es dann tatsächlich zum Unfall, werden die Airbags voll befüllt, um ihre Schutzwirkung ganz zu entfalten.
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 5
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