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In guter Gesellschaft

Taiwans Maschinenbauer profitieren von enger Zusammenarbeit
In guter Gesellschaft

Auslandsmärkte | Taiwans Maschinen- und Anlagenbau zählt zu den wichtigsten Branchen des Inselstaates und hat sich eine bedeutende Position im globalen Wettbewerb erarbeitet – auch durch eine Industrie der kurzen Wege. ❧ Sven Böckler

Wie jede Millionen-Metropole beeindruckt Taipeh zunächst durch seine Rastlosigkeit. Tagsüber winden sich tausende Pkw und mindestens dreimal so viele Motorroller durch die Straßenschluchten, um ihre Besitzer ins Büro oder in die Fabrik zu befördern. Gegen Abend setzt sich dieses Schauspiel fort. Dann sucht ein Großteil der mehr als 2,7 Millionen Einwohner die zahlreichen Nachtmärkte der taiwanischen Hauptstadt auf, um sich mit Lebensmitteln und anderen Konsumgütern zu versorgen. Großes auf engem Raum zu schaffen, dies scheint nicht nur das Motto der Menschen in Taipeh zu sein. Denn auch ökonomisch leistet der kleine Inselstaat vor der Ostküste Chinas Beeindruckendes. So erarbeiteten laut der deutschen Wirtschaftsförderungsgesellschaft Germany Trade and Invest (GTAI) im Jahr 2015 rund 23,5 Millionen Taiwaner ein Bruttoinlandsprodukt (BIP) von umgerechnet fast 475 Mrd. Euro. Den Löwenanteil von mehr als 30 % steuerte dabei die verarbeitende Industrie bei. Zu ihr zählen neben Elektronikherstellern wie Acer und Foxconn auch Schwergewichte des globalen Maschinen- und Anlagenbaus wie beispielsweise die Fair Friend Group (FFG).

Der Konzern mit Sitz Taipeh erregte in den vergangenen Jahren Aufsehen mit zahlreichen Akquisitionen. Auch in Deutschland geht das Unternehmen regelmäßig auf Einkaufstour. So gehören Marken wie Hüller Hille, Honsberg und MAG bereits zum FFG-Imperium. Dabei geht es den Konzernlenkern um Vorstandschef Jimmy Chu nach eigenen Angaben nicht um bloße Investments. Stattdessen wolle man in allen zugekauften Unternehmen nachhaltiges Wachstum generieren. „Dies gelingt uns vor allem, weil wir die Synergien aller unserer Produktionen maximal ausschöpfen“, sagt Sam Chen, Marketing-Manager bei FFG. So könnten beispielsweise einzelne Bauteile für Maschinen und Anlagen gleich mehrerer FFG-Marken in großer Stückzahl hergestellt werden. Mit mehr als 80 Standorten in 16 Ländern verfügt das taiwanische Unternehmen zudem über eine beachtliche Infrastruktur. Mit dieser und weiteren Zukäufen will es bis 2018 seine Werkzeugmaschinenproduktion auf 45 000 Einheiten pro Jahr steigern, um zu den Konkurrenten aus Asien und Europa weiter aufzuschließen.
Ähnlich ambitioniert ist Delta Electronics mit Sitz in Taipeh. Schon heute zählt das Unternehmen zu den weltweit größten Anbietern von Schaltnetzteilen und Gleichstromlüftern. Mit seinen Sparten Power Electronics, Energy Management und Smart Green Life erwirtschaftet Delta jährlich mehr als 6,8 Mrd. Euro. Insbesondere in den Bereichen Gebäudeautomation und Energieeffizienz sieht der Konzern erhebliches Wachstumspotenzial. Die eigenen Lösungen demonstriert er eindrucksvoll in seinem Forschungs- und Entwicklungszentrum in Taoyuan nahe der Hauptstadt Taipeh. Dort betreibt das Unternehmen beispielsweise ein Rechenzentrum, das mit Hilfe optimierter Kühlung und Stromversorgung bis zu 25 % Energie gegenüber vergleichbaren Lösungen einsparen soll. Eine zentral gesteuerte Beleuchtung mit LED-Technik, die Nutzung regenerativer Energien sowie intelligente Heiztechnik reduzieren den Verbrauch zusätzlich. Insgesamt spart Delta in Taoyuan nach eigenen Angaben fast 50 % seines üblichen Strombedarfs ein.
Neben der Effizienz von Gebäuden arbeitet Delta an der Optimierung von Produktionsprozessen. So präsentierte das Unternehmen auf der Hannover Messe 2016 unter anderem Maschinensteuerungen und Industrie-PCs, die die Umsetzung von Industrie 4.0 unterstützen sollen.
Den Hype um die vierte industrielle Revolution und das Internet der Dinge sehen viele taiwanische Unternehmen als Chance für mehr Wachstum – insbesondere auf den heiß umkämpften Märkten in Europa und Nordamerika. Hiwin, ein Spezialist im Bereich Antriebstechnik, zielt mit seinen Lösungen auf diese Märkte. Dafür entwickelt das 1992 gegründete Unternehmen aus Taichung seine Produkte stetig weiter. So werden beispielsweise in die neueste Generation von Hiwin-Linearführungen und -Kugelgewindetrieben Sensoren verbaut, die unter anderem Temperaturveränderungen erfassen, welche durch Reibung entstehen und einzelne Bauteile beschädigen können. „Diese Technik ermöglicht unseren Kunden, den Zustand der Komponenten in Echtzeit zu überwachen“, verspricht Maurice Chang, Assistant Vice President (AVP) bei Hiwin. Auch im Bereich Robotik erweitert der Konzern sein Angebot stetig: Zu den jüngsten Entwicklungen zählt ein Sechsachs-Roboter, der Pick-&-Place- sowie Handling- und Montage-Tätigkeiten ausführen kann.
Hartford, einer der größten Maschinenbauer des Landes, hat das Thema Industrie 4.0 ebenfalls für sich entdeckt. So ist die neueste CNC-Steuerung des Unternehmens nicht nur mit einem nutzerfreundlichen Multi-Touchscreen ausgestattet, sondern kann auch die erfassten Informationen an mobile Endgeräte wie Smartphones oder Tablets weitergeben.
Eines fällt bei vielen taiwanischen Maschinen- und Anlagenbauern besonders auf: Sie haben sich innerhalb kurzer Zeit – viele der Unternehmen wurden erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gegründet – im globalen Wettbewerb etabliert und in einigen Branchen sogar die Marktführerschaft übernommen. Ein Grund dafür ist sicherlich die Nähe zu China, das über Jahre das Wachstum im Inselstaat mit seinem großen Bedarf an Produktionsmitteln beflügelte.
Eine Schlüsselrolle kommt jedoch auch der taiwanischen Zulieferindustrie zu. Denn sie verschafft weltweit agierenden Konzernen wie Delta oder Hiwin die nötige Flexibilität, um auf individuelle Kundenwünsche oder neue Trends schnell und unkompliziert reagieren zu können. Maurice Chang sieht in diesem Zusammenhang auch einen räumlichen Vorteil: „Hier in Taiwan befinden sich viele unserer Zulieferer in unmittelbarer Nachbarschaft zu unseren Produktionsstandorten“, sagt der Hiwin-AVP. Das erleichtert die Zusammenarbeit und verkürzt Lieferzeiten. Daniel Lu, Assistant General Manager bei Hartfort, hebt zudem die große Anzahl taiwanischer Zulieferer als Standortvorteil hervor. Auch Taiwans Regierung hat die Bedeutung der hiesigen Werkzeugmaschinenindustrie erkannt und im ganzen Land Cluster gegründet, um die Zusammenarbeit der in der Branche tätigen Unternehmen zu vereinfachen. Mehr als 1800 kleine und mittlere Unternehmen sind laut der landeseigenen Wirtschaftsförderungsgesellschaft, dem Taiwan External Trade Development Council (Taitra), in diesen Clustern aktiv.
Mit technischen Innovationen auf Erfolgskurs
TBI Motion mit Sitz Taipeh ist Teil dieses Branchenverbundes. Der Spezialist für Antriebstechnik ging 2010 aus dem Zusammenschluss zweier Unternehmen hervor und hat sich zum Ziel gesetzt, seine Marktposition im Bereich Linearführungen und Kugelgewindetriebe deutlich auszubauen. Diesen Anspruch verkörpert auch der neue Hauptsitz des Unternehmens im Südwesten Taipehs. In Erwartung weiteren Wachstums bleiben ganze Etagen bisher ungenutzt. Punkten will das Unternehmen bei seinen Kunden vor allem mit technischen Innovationen. Vertriebsleiter Bruce Li verweist dabei auf die neue Rotary-Serie des Unternehmens. Dabei handelt es sich um eine Kombination aus Kugelgewindetrieb und Kugelkeilwelle. „In der Vergangenheit haben wir insbesondere im Bereich Robotik immer zwei Lösungen anbieten müssen. Mit der Rotary-Serie haben wir sie nun in einem Produkt vereint“, ergänzt Li.
Der Präzisionswerkzeughersteller Speed Tiger mit Sitz in Taichung will nicht nur mit technischen Innovationen, sondern auch mit Ganzheitlichkeit überzeugen. So verfügt das 1998 gegründete Unternehmen über einen umfangreichen Maschinenpark, in dem monatlich mehr als 600 000 Werkzeuge gefertigt, beschichtet und geprüft werden können. Dabei beherrscht der Hersteller unter anderem auch moderne Nanobeschichtungs-Verfahren (TiSin). Zudem hat das umfangreiche Portfolio von mehr als 7000 verschiedenen Schneidwerkzeugen schon so manchen Kunden überzeugt.
Eine umfangreiche Auswahl, hohe Liefertreue sowie ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis wecken auch das Interesse deutscher Einkaufsabteilungen. So zählte die Bundesrepublik 2015 zu den fünf wichtigsten Abnehmern der taiwanischen Werkzeugmaschinenindustrie. Doch auch als Absatzmarkt rückt Taiwan zunehmend in den Fokus der deutschen Industrie. Dieser Trend dürfte sich durch die jüngsten wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen im Inselstaat noch einmal verstärken. Denn seit Chinas Konjunktur an Fahrt verloren hat, kämpft der taiwanische Werkzeugmaschinenbau mit deutlichen Auftragsrückgängen. So exportierte die Branche im ersten Quartal dieses Jahres rund 20 % weniger Güter als im Jahr zuvor.
Taiwans Krise als Chance für deutsche Hersteller
Die Krise betrifft fast alle Schlüsselbranchen des Landes. Infolgedessen konnte sich zu Beginn dieses Jahres die bisherige Opposition bei der Präsidentenwahl durchsetzen. Die neue Präsidentin Tsai Ing-wen, die im Mai das Amt übernommen hat, kündigte bereits an, den wirtschaftlichen Kurs zu korrigieren, um die Abhängigkeit insbesondere von China zu reduzieren.
Dabei will die Regierung laut GTAI eine duale Strategie fahren: Zum einen sollen die globalen und regionalen wirtschaftlichen Beziehungen ausgebaut werden, um die Abhängigkeit von einem Markt zu verringern. Zum anderen will man lokale Industriebereiche mit Wachstumspotenzial stärken, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Konkret hat die Regierung dabei fünf Bereiche im Blick: grüne Energie, Biotechnologie, smarter Maschinenbau, den Aufbau eines „Asia Silicon Valley“ und die Entwicklung der Verteidigungsindustrie. Insbesondere in den Sektoren grüne Energie, Biotechnologie und smarter Maschinenbau sieht die GTAI Geschäftsmöglichkeiten für deutsche Unternehmen. Schon heute zählen diese nach Japan und China zu den wichtigsten Lieferanten der taiwanischen Werkzeugmaschinenindustrie. Aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage brach das Exportvolumen im vergangenen Jahr zwar deutlich ein (-32 %), dieser Trend schwächte sich jedoch bereits im ersten Quartal dieses Jahres wieder deutlich ab (-3 %).
Eine Möglichkeit für deutsche Unternehmen, sich der taiwanischen Industrie zu präsentieren, bietet die Taipei International Machine Tool Show (Timtos), eine sechstägige Fachmesse im Herzen der Hauptstadt. Sie findet vom 7. bis 12. März 2017 statt. Schon jetzt haben sich laut dem Veranstalter Taitra mehr als 1000 Aussteller einen Stand gesichert. Erwartet werden zudem mehr als 55 000 Besucher.

Im ersten Quartal 2016 exportierte die taiwanische Werkzeugmaschinenindustrie Waren im Wert von mehr als 572 Millionen Euro.
Quelle: Taiwan External Trade Development Council
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