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Indien: Wo der Elefant zum Tigersprung ansetzt

Ausländische Investoren sind auf dem Subkontinent willkommen
Indien: Wo der Elefant zum Tigersprung ansetzt

Seit Anfang der 90er Jahre hat sich in Indien eine Menge getan: Die Wirtschaft öffnet sich Schritt für Schritt, ausländische Investoren sind willkommen. Wer in den riesigen Markt einsteigen will, sollte gut vorbereitet sein.

Von unserem Redaktionsmitglied Jens-Peter Knauer jens-peter.knauer@konradin.de

Ein Subkontinent stellt sich vor: Wie Anfang September bekanntgegeben wurde, ist Indien das Partnerland der kommenden Hannover Messe. Die aufstrebende Wirtschaftsnation wird sich vom 24. bis 28. April 2006 in der niedersächsischen Landeshauptstadt auf dem weltweit größten Technologieereignis der Industrie präsentieren. „Indien ist unser absoluter Wunschpartner“, erklärt Sepp D. Heckmann, Vorsitzender des Vorstandes der Deutschen Messe AG. Die Hannover Messe sei eine exzellente Plattform, um die Wirtschaftskontakte zwischen Indien und Deutschland zu intensivieren.
Seit 1991 hat sich auf dem Subkontinent viel getan. Unmittelbar nach ihrem Amtsantritt entschloss sich die Regierung unter Narasinha Rao, tief greifende Änderungen in der Wirtschaftspolitik vorzunehmen. Die eingeleiteten Reformen änderten das Wirtschaftssystem radikal und sind bis heute nicht abgeschlossen. Eines lässt sich sagen: Aus der einstigen Plan- ist eine Marktwirtschaft geworden, ausländische Investoren sind willkommen.
Ihnen bietet sich ein reizvoller Markt: Das Netto-Wirtschaftswachstum Indiens betrug in den vergangenen zehn Jahren durchschnittlich 6,2 %. „Innerhalb der nächsten sieben oder acht Jahre wird Indien hinter China zum zweitgrößten Absatzmarkt der Welt aufsteigen“, ist sich Dr. Johannes Wamser sicher. Der Indienexperte und Buchautor (siehe Tipp Seite 54) gibt aber auch zu bedenken, dass „Indien immer noch ein Entwicklungsland ist“. Die glänzenden Perspektiven dürften nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein Engagement mit zahlreichen Problemen und Unwägbarkeiten verbunden sei. „Wer aber seine Hausaufgaben macht, wird auch erfolgreich sein.“
Zu den Unternehmen, die den Schritt nach Indien gewagt haben, gehört die Reiter GmbH & Co. KG Oberflächentechnik. Der Familienbetrieb aus dem schwäbischen Winnenden beschäftigt knapp 50 Mitarbeiter und ist auf die Entwicklung und Produktion von Lackieranlagen spezialisiert. Im Mai gründete das Unternehmen in Puna die Reiter India Finishing Systems Private Ltd. und legte damit den Grundstein, um am Potenzial des Marktes zu partizipieren. „Für den Standort sprachen in erster Linie drei Gründe“, erklärt Geschäftsführer Frank Reiter, der gemeinsam mit seinem Bruder Harald die Geschicke der Firma lenkt. „Erstens die rechtlichen Rahmenbedingungen, die erheblich besser sind als beispielsweise in China. Zweitens lassen sich alle Geschäfte in englischer Sprache abwickeln. Und nicht zuletzt“, fügt er hinzu, „ist die Anzahl der Wettbewerber in Indien noch nicht so groß wie in China.“
Reiter macht bereits seit Jahren Geschäfte mit indischen Kunden, vorwiegend aus der Fahrzeugindustrie und hier hauptsächlich mit Herstellern von Nutzfahrzeugen, Pkw, Landmaschinen und Zweirädern. Bislang kümmerte sich ein Handelsvertreter vor Ort um alle Angelegenheiten. Dieser hat sich mit der Zeit zu einer echten Vertrauensperson entwickelt und bekleidet jetzt die Position des Geschäftsführers der Verkaufs- und Serviceniederlassung in Puna. „Um Absatzkanäle zu öffnen, muss man Insider sein“, weiß Reiter. „Indische Kunden erwarten eine sehr aufwändige und intensive Betreuung.“
Als nächsten Schritt plant das Unternehmen, eine eigene Fertigung in Puna aufzubauen. Das Ziel bestehe darin, sich zu positionieren, den Kundenkreis zu erweitern und kräftig zu wachsen. „Wir müssen vor allem preislich wettbewerbsfähig sein, um gegen lokale Anbieter bestehen zu können“, erklärt Reiter. Der Qualitätsbegriff „Made in Germany“ genieße ein hohes Ansehen, doch schon allein aus zollrechtlichen Fragen müsse ein hoher Wertschöpfungsanteil vor Ort generiert werden.
„Indien eröffnet gerade für den deutschen Mittelstand unheimliche Chancen“, bestätigt Andreas Lapp. Der Vorstandsvorsitzende der Lapp Holding AG muss es wissen, schließlich arbeitet das Stuttgarter Unternehmen bereits seit 30 Jahren mit indischen Partnern zusammen. Heute produziert die Lapp Kabel India Pvt. Ltd. in Bangalore Kabel und Steckverbindungen für den indischen Markt. „Nur wer die Sprache und Mentalität seiner Geschäftspartner kennt, wird auch richtige Lösungen finden“, erklärt Lapp, der im Jahr 2001 von der indischen Regierung zum Honorarkonsul ernannt wurde.
Als Mitinitiator der German-Indian Round Table hat der Unternehmer es sich zur Aufgabe gemacht, die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu fördern. Alle zwei Monate treffen sich deutsche und indische Firmenlenker und Führungskräfte zum Erfahrungsaustausch. Wachstumspotenziale sieht Lapp in allen Branchen: „Indien ist immer noch ein sehr landwirtschaftlich geprägtes Land. Maschinenbauer und Zulieferer dürfen sich gute Chancen ausrechnen.“ Wenn die Investition ein Erfolg werden solle, müsse man sich auf die Mentalität und die Kultur der Partner einstellen. „Gefragt ist Offenheit, aber auch Geduld“, weiß Lapp aus eigener Erfahrung. „Wer in Indien erst einmal zwei, drei Jahre durchgehalten hat, wird in diesem Land richtig glücklich werden.“
Wirtschafts- und Finanzexperten sehen ein beachtliches Potenzial für ausländische Direktinvestitionen – auch angesichts der Tatsache, dass die Zuflüsse derzeit eher gering sind. Sie beliefen sich in den vergangenen Jahren in Indien auf durchschnittlich 3 Mrd. US-$, in China dagegen auf rund 45 Mrd. US-$. Dabei haben sich die Investitionsbedingungen seit Anfang der 90er Jahre sehr vereinfacht. Joint Ventures mit einheimischen Unternehmen sind beispielsweise keine Voraussetzung mehr, wenn man dort produzieren will.
„Auch das regulatorische Umfeld ist vielversprechend“, sagt Dr. Lars Lawall, der beim Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen Pricewaterhouse Coopers Deutschland das Indiengeschäft leitet. So dauert die Gründung einer indischen Gesellschaft nur wenige Wochen. „Erklärtes Ziel der Regierung ist es, die Wirtschaft zu liberalisieren und bürokratische Hindernisse abzubauen“, berichtet Lawall.
Zahlreiche Steuervorteile sollen ausländische Unternehmen auf den Subkontinent locken. Gesellschaften, deren Geschäft sich auf Exporte konzentriert, sind beispielsweise von Zollabgaben und bis zum 31. März 2009 von Ertragsteuern befreit. Insbesondere Produktions- und Dienstleistungsunternehmen werden laut Lawall in Sonderwirtschaftszonen Steuervergünstigungen eingeräumt:
  • 100%ige Körperschaftsteuerbefreiung für die ersten fünf Jahre,
  • 50 % für weitere zwei Jahre und
  • die Möglichkeit, für weitere drei Jahre eine erneute 50%ige Befreiung zu beantragen .
Derzeit sind nach Angaben der Deutsch-Indischen Handelskammer (IGCC) rund 1500 deutsche Firmen durch eine Niederlassung oder einen Agenten in Indien vertreten, hinzu kommen über 5000 Kooperationen. Im Jahr 2004 haben deutsche Unternehmen geschätzte 1,65 Mio. Euro in Indien investiert.
Zu den stärksten Zugpferden gehört die Automobilindustrie. Mit einem Plus von 30 % im vergangenen Jahr ist Indien noch vor den asiatischen Konkurrenten China und Korea der am schnellsten wachsende Automobilmarkt der Welt. Knapp 1,2 Millionen Pkw und SUVs liefen vom Band.
Ausländische Automobilhersteller sehen ihre Chancen auf dem indischen Markt nicht nur im Verkauf von Fahrzeugen. Sie beobachten ihn auch sehr genau mit Blick auf die Herstellung von Komponenten. Das Outsourcing von Vorproduktionen für die Endmontage spielt ebenfalls eine Rolle. Was zieht, ist unter anderem der Kostenvorteil bei den Gehältern: Während Global Player 20 bis 40 % der Fahrzeug-Verkaufspreise als Entlohnung ihrer Facharbeiter einkalkulieren müssen, geben indische Hersteller nur etwa 3 bis 15 % weiter.
Laut einer Studie der Deutschen Bank wird Indien – gemessen an der Kaufkraftparität – bis zum Jahr 2020 zur drittgrößten Volkswirtschaft der Welt aufsteigen. Mitentscheidend für das Wachstum werden die gut ausgebildeten Fachleute sein, die das Land hervorbringt: An den rund 380 Universitäten und 1500 Forschungsinstituten machen jährlich etwa 200 000 Ingenieure, 300 000 Techniker und 9000 Doktoranden ihren Abschluss. Das Institute of Management Development (IMD) sieht Indien hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit weltweit auf Platz eins im Bezug auf sein Potenzial im Ingenieurbereich.
Indien steigt zum zweitgrößten Absatzmarkt der Welt auf

So erfolgt der Markteintritt
Unternehmen, die den indischen Markt bearbeiten wollen, stehen folgende Möglichkeiten zur Verfügung:
  • Direkte Exporte Die am wenigsten aufwändige Form eines Engagements ist durch die Liberalisierungsmaßnahmen deutlich vereinfacht worden.
  • Handelsvertretung Die häufigste Form des Markteintritts. Sie ist mit relativ geringem Aufwand verbunden, jedoch von der Bereitschaft zur Zusammenarbeit des indischen Vertreters abhängig.
  • Lizenzvergabe Der indische Lizenznehmer erhält Zugang zu Technologien und Know-how. Der Vorteil dieser Vorgehensweise besteht eigentlich nur in den Lizenzgebühren. Nachteil: Missbrauchsrisiko.
  • Franchising Vor- und Nachteile sind ähnlich wie bei einer Lizenzvergabe. Allerdings kann der Franchisegeber das Geschäft seines indischen Partners besser beeinflussen.
  • Project-/Liaison Office Ein Project-/Liaison Office ist der verlängerte Arm des deutschen Stammhauses und eignet sich insbesondere, um Informationen über die Gegebenheiten des indischen Marktes zu beschaffen. Es darf kein eigenes Einkommen erzielen. Wirtschaftliche Aktivitäten im engeren Sinne sind nicht erlaubt.
  • Niederlassung (Branch Office) Eine Niederlassung kann als eine mit Auflagen versehene Tochtergesellschaft betrachtet werden. Sie darf eigene geschäftliche Aktivitäten durchführen und einen Deckungsbeitrag erwirtschaften.
  • Joint Venture/Beteiligungen Die Reformen der Industriepolitik haben derartige Beteiligungen stark vereinfacht. Joint Ventures unterliegen den Bestimmungen indischen Rechts. Die Höhe der Anteile entscheidet über den Grad der Möglichkeiten, relevante Entscheidungen treffen zu können. Bestimmte Sektoren unterliegen noch immer spezifischen Beschränkungen.
  • Tochtergesellschaft Bei einer 100%igen Tochter können alle relevanten Entscheidungen autonom getroffen und durchgeführt werden. Der Verwaltungsaufwand ist groß, bestimmte Aktivitäten sind mit Beschränkungen verbunden.
(aus: Wirtschaftspartner Indien, Wanser/ Sürken, Local Global, Stuttgart 2005)
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