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Ingenieure mixen mit an Biococktails

Wachstumsmarkt mit Chancen für Anlagenbauer
Ingenieure mixen mit an Biococktails

Biotechnologie ist nicht auf Reagenzgläser und Forschungslabors beschränkt. Wo Produkte im industriellen Maßstab hergestellt werden sollen, ist Ingenieurs-Know-how gefragt.

Von unseren Redaktionsmitgliedern Monika Corban und Dr. Birgit Oppermann

Klonschaf Dolly, Gentomate, Labor und Fermenter – was vielen zum Begriff Biotechnologie einfällt, beschreibt nur einen Teil dieser Branche. Denn ob Vitamin oder Antibiotikum, so manche Substanz wird von winzigen Bakterien oder Pilzen längst im technischen Maßstab produziert – mit Inkubatoren, Regel- und Steuertechnik sowie Filtrieranlagen, in denen Know-how von Ingenieuren steckt. Viele aus dieser Berufsgruppe fühlen sich allerdings von den Biotech-Aktivitäten noch nicht angesprochen.
„Was dort benötigt wird, sind Produktionsmaschinen, die hochgenau, extrem schnell und praktisch fehlerfrei arbeiten – Eigenschaften, die heute schon unter dem Begriff High-End-Automation zusammengefasst werden“, sagt Prof. Fritz Klocke, Direktor am Aachener Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie (IPT). Seiner Ansicht nach ist dies der Zugang zu dem neuen Markt, denn von einem Ingenieur könne niemand erwarten, dass er Produktideen für die Biotechnologie entwickelt. „Er muss allerdings bereit sein“, so Klocke weiter, „sich mit Biologen, Chemikern und Physikern an einen Tisch zu setzen.“ Am Beispiel der Medizintechnik werde deutlich, wie das aussehen kann: „Schließlich ist ein Computertomograph nur eine nach den Ansprüchen der Ärzte konstruierte Maschine.“
Erste Erfahrungen mit der Zusammenarbeit in dieser neuen Konstellation sammeln die Fraunhofer-Forscher in der US-amerikanischen IPT-Zweigstelle, dem Center of Manufacturing Innovation (CMI) in Boston. „Dort zeigt sich bereits“, lobt Klocke, „wie sich die Bereiche Biotechnologie und Maschinenbau durchdringen können.“
Wie wichtig es ist, dass Mittelständler auf die Biotechnologen zugehen, betont auch Prof. Irmtraud Munder von der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg. Im Rahmen einer Studie über neue Herausforderungen für den Maschinen- und Anlagenbau hat sie das Übertragen biotechnologischer Prozesse vom Labor- auf den Produktionsmaßstab als ein geschäftsträchtiges Feld erkannt. „Wie groß dieser Markt tatsächlich ist, lässt sich noch gar nicht abschätzen“, sagt die Wissenschaftlerin.
Was interdisziplinäre Zusammenarbeit hervorbringt, zeigt beispielsweise ein Photobioreaktor, den Mitarbeiter des Stuttgarter Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik gestaltet haben. Darin sind Mikroalgen so gut mit Licht versorgt, dass sie Vitamine oder Pigmente mit guter Ausbeute produzieren.
Unter den richtigen Bedingungen stellen andere Mikroorganismen Biopolymere her, die sich wie Kunststoff verarbeiten lassen und bereits von Verpackungsfirmen wie der deutschen Autobar Group oder der Hoechst Trespaphan genutzt werden. Mit Bakterien lassen sich selbst Ultrafilter mit definierter Porengröße herstellen: Für den bisher feinsten Filter der Welt erhielten die Professoren Uwe Sletyr und Margit Sára aus Wien 1998 den Philip-Morris-Forschungspreis. Der gleiche Rohstoff könnte auch der Halbleitertechnologie neue Wege eröffnen. Auf Siliziumwaver aufgebracht, dient er als Fotolack, der eine besonders scharfe und feine Konturierung elektronischer Bauelemente ermöglicht.
Während die genannten Beispiele schon Realität sind oder in den nächsten fünf bis zehn Jahren zum Tragen kommen sollen, ist die Nanobiotechnologie der Science Fiction noch näher als der Wirklichkeit. „Ich glaube, dass diese Technologie in 30 bis 50 Jahren dazu genutzt wird, alltägliche Produkte wie einen Staubsauger oder ein Handy herzustellen“, schätzt Prof. Uwe Hartmann, Grundlagenforscher an der Uni des Saarlandes in Saarbrücken. „In der Medizintechnik und Pharmaindustrie dürfte sie allerdings schon viel früher eine Rolle spielen.“
Im Interesse der weiteren Miniaturisierung bis hin zu Größen von tausendstel Mikrometern untersucht Hartmann mit seiner Gruppe, wie die Natur ihre Bauteile herstellt – etwa Zellbestandteile wie die Propellermotoren von Bakterien. Das ist vielversprechend, weil man sich eine Massenproduktion von Teilen nach herkömmlichen Methoden in diesen Dimensionen kaum mehr denken kann. Die Natur beherrscht dagegen mit Hilfe des Erbmaterials DNA Autoreproduktion und Selbstorganisation selbst in diesem Maßstab perfekt. „Unsere Erbmoleküle reproduzieren sich in gigantischen Anzahlen mit sehr geringer Fehlerhäufigkeit – besser, als wir das heute in der Massenproduktion können“, schwärmt Hartmann. Die Natur meistert auch noch die Montage der Winzlinge. Spätestens da stoßen von Menschen entwickelte Verfahren an fundamentale Grenzen, da sich gängige Verfahren beispielsweise auf Grund quantenphysikalischer Effekte nicht einfach herunterskalieren lassen.
Die DNA fasziniert den Grundlagenforscher jedoch nicht nur als Blaupause für Bauteile. Ihn reizen auch Elastizität und Leitfähigkeit der Moleküle. Sein Team kann inzwischen DNA-Moleküle in definierten Mustern auf einer Unterlage abscheiden und Strom hindurch schicken. Bisher bestehen diese Schaltungen zwar nur aus wenigen dieser Nanodrähte, doch beteuert Hartmann: „Alles hat mal klein angefangen.“ Bisher gebe es vor allem kein Verfahren, um aus Metall so feine Drähte herzustellen.
Noch eine Charakteristik der DNA interessiert den engagierten Forscher im Hinblick auf spätere industrielle Anwendungen: Sie lasse sich sozusagen als Rückgrat für die Anbindung beliebiger funktionaler Eigenschaften verwenden. Hartmann denkt dabei an ein System, an dem mechanische und physikalische Strukturen aufgebaut werden könnten: „Es geht tatsächlich um die Synthese von Maschinen, etwa Pumpen oder Motoren.“
Wenn er Recht behält, müssen vielleicht im Jahr 2070 die Baupläne von Kompressoren oder auch ganzen Werkzeugmaschienen im DNA-Code geschrieben werden.
Wie Biotechnologie die Materialprüfung verändert
Auf dem roten Farbstoff des Mikroorganismus Halobakterium salinarium basiert ein neuartiges holografisches Mess- und Prüfsystem für zerstörungsfreie Materialanalyse. Das sogenannte Bakteriorhodopsin wechselt bei entsprechender Belichtung in Millisekunden von violett auf gelb und wieder zurück. Forscher um den Marburger Chemie-Professor Norbert Hampp haben den Farbstoff biotechnologisch so verändert, dass er als extrem lichtempfindlicher Film für ein Materialprüfungssystem genutzt werden kann.
Rund 20 Jahre Forschungsarbeit der Münchener Wacker-Chemie GmbH waren nötig, bis sich der Farbstoff in großen Mengen in Fermentern produzieren und als Speichermedium für Bildinformationen verwenden ließ. Die Dauer des Farbwechsels konnte auf mehrere Minuten ausgedehnt werden. Teile der Zellwand des veränderten Bakteriums werden nun in eine Kunststoff-Folie, den eigentlichen Film, eingegossen. 1 cm² dieser Folie kann bis zu 10 Mio. Bilder hoher Auflösung speichern. Bei dem Mess-System zeichnet ein grüner Nd:Yag-Laser Hologramme der Prüflinge auf. Nach dem Lesen oder Verarbeiten werden diese mit einem blauen Laser wieder gelöscht. Die Martinsrieder Biotechnologiefirma MIB bringt in absehbarer Zeit eine derartige Sofortbild-Kamera zum Preis von voraussichtlich 200 000 DM auf den Markt. Richard E. Schneider ist Journalist in Tübingen
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