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„Internet in Ehren – aber ohne reale Produkte funktioniert die Welt nicht“

Trumpf-Chef Prof. B. Leibinger zum Mittelstand in Zeiten von Globalisierung und Internet
„Internet in Ehren – aber ohne reale Produkte funktioniert die Welt nicht“

Es gibt wohl kaum einen Maschinenbauer und Unternehmer, der so vielschichtige Erfahrungen zum Thema Globalisierung hat, wie Prof. Berthold Leibinger, Trumpf-Chef in Ditzingen.

Das Gespräch führte unser Redaktionsmitglied Iris Frick

?Herr Professor Leibinger, sind die mittelständischen Unternehmen fit für die globale Herausforderung?
!Ich denke schon, dass wir unsere Hausaufgaben gemacht haben, um im weltweiten Geschäft bestehen zu können. Natürlich hat sich der Wettbewerb verschärft. Auch der Innovationsdruck ist immens hoch. Über die Nutzung von Datenbanken, die über die neuen Medien allen zur Verfügung stehen, kann sich jeder überall auf der Welt Zugang zu Wissen verschaffen. Hinzu kommt, auf der ganzen Welt werden die Methoden zur schnellen Umsetzung von Wissen gefördert und kultiviert. Man kann sicher davon sprechen, dass wir eine neue Qualität des Wettbewerbs haben.
?Was muss der Mittelstand verbessern, wo sehen Sie noch Handlungsbedarf?
! Wichtig ist auf jeden Fall, mit einer eigenen Servicekompetenz, mit einer eigenen Niederlassung in den wichtigsten Märkten präsent zu sein. Also in den USA, den wichtigsten westeuropäischen Märkten, aber auch in Asien. Im Zeitalter der Telekommunikation lässt sich, zumindest was die Servicekompetenz betrifft, manches über den Teleservice regeln. Doch die Vor-Ort-Präsenz bleibt entscheidend. Ich muss leider sagen, das hat der Mittelstand unzureichend gelöst.
?Eine Möglichkeit, Flagge zu zeigen und die Kosten nicht ins Uferlose wachsen zu lassen, wäre ja, mit anderen Firmen zu kooperieren. Warum tun sich mittelständische Unternehmer so schwer damit?
!Ich plädiere seit Jahren für eine stärkere Kooperation. Und eigentlich bin ich enttäuscht, dass nicht mehr entstanden ist. Selbstverständlich lassen sich Beispiele nennen, wo eine Zusammenarbeit stattfindet. Aber es gibt meiner Meinung nach immer noch zu wenig genutzte Möglichkeiten. Das ist auch ein Erziehungsproblem bei den Geschäftsleitungen. Das alte Sprichwort: ‘Leben und leben lassen’ wird meines Erachtens zu wenig beachtet. Jeder Fabrikant, und das ist das Wesen des Mittelstandes, jeder Fabrikant denkt, ich kann es doch am besten allein. Die Angst davor, als Partner einer Kooperation übervorteilt zu werden, ist einfach zu groß. Vielmehr müsste die Gegenrechnung aufgemacht werden: Was kostet es mich, wenn ich es allein mache? Ich denke, hier wären mehr erfolgreiche Modelle wichtig, um ein Umdenken anzuregen.
?Welchen Einfluss hat globales Agieren auf die Organisationsformen in den Betrieben?
!Um das zu beschreiben, bleibe ich bei meinem eigenen Unternehmen. Wir haben, ausgehend von der Gruppenarbeit, eigenständige Produktionseinheiten eingeführt mit einer hohen Eigenverantwortung. 80 bis 100 Mitarbeiter bearbeiten in einer solchen Einheit ein komplettes Produkt. Das hat sich außerordentlich bewährt. Ein anderes wichtiges Thema in unserem Hause sind die Führungskräfteschulungen. Für diese haben wir in der Schweiz jetzt ein Schulungscenter gebaut. Denn inzwischen gehören über 30 Firmen zu unserer Gruppe, jede mit ihrer eigenen Kultur. Ein zentraler Punkt ist die bereichsübergreifende Zusammenarbeit.
?Funktioniert diese Schulungsidee auch mit den Führungskräften Ihrer ausländischen Firmen?
! Wir sind dabei, das auszuprobieren. Unsere bisherigen Erfahrungen, waren gut. Das letzte Mal waren beispielsweise die Amerikaner, die Franzosen, die Spanier und die Engländer dabei. Wir haben alle sehr viel gelernt darüber, was wir schon gut machen, aber auch, wo wir in unserer Kommunikation noch Defizite haben.
?Sind denn die jungen Führungskräfte in den Unternehmen genügend auf die Veränderungen vorbereitet, die die Internationalisierung mit sich bringt?
!Gut, das Trampen durch Indien und Australien nach dem Abitur bringt nicht unbedingt die Weltaufgeschlossenheit, die wir brauchen. Aber ich stelle fest, dass wir bei Trumpf keine Schwierigkeiten mehr haben, unsere Auslandspositionen zu besetzen. Natürlich ist es nicht einfach, genau den richtigen Mann oder die richtige Frau zu finden. Ein anderer Punkt ist der, dass wir uns als Unternehmen auch darum kümmern müssen, was aus den Mitarbeitern wird, wenn sie nach drei oder vier Jahren wieder zurückkommen. Hier liegt eine ganz besondere Verantwortung. Eines ist auf jeden Fall in unserem Haus sicher, eine Spitzenposition wird in aller Regel nicht mehr mit einem Mitarbeiter besetzt, der nicht im Ausland war.
?Welche Bedeutung haben mittelständische Unternehmer als Träger des Strukturwandels und bei der Erschließung neuer Märkte?
! Ich bin davon überzeugt, der Mittelstand spielt eine bedeutende Rolle für den Strukturwandel. Der Mittelstand war und ist immer ein Unruhefaktor. Insbesondere, wenn es um Produktinnovationen geht und das schnelle Reagieren auf Marktveränderungen. Bei der Erschließung neuer Märkte ist es etwas schwieriger. Hier spielen mittelständische Unternehmen sicher keine Vorreiterrolle. Das können sie schon allein wegen ihrer Unternehmensgröße gar nicht leisten.
?Struktur- und Wertewandel sowie der Übergang zur Informations- und Wissensgesellschaft beherrschen die Diskussion. Wo positioniert sich hier der Maschinenbau?
! Wir sind natürlich nicht diejenigen, die in diesem Sektor die treibende Kraft per se sind. Der fertigende Betrieb orientiert sich am Produkt, aber wir sind auf vielfältige Weise mit der Informationstechnik verknüpft und von ihr abhängig.
?Würden Sie diese Abhängigkeit bitte an Beispielen konkretisieren?
!Wir konstruieren mit CAD, wir kontrollieren mit CAM die Fertigung, wir warten mit Teleservice, wir kaufen zunehmend über E-Commerce-Lösungen ein, wir vernetzen uns mit wichtigen Lieferanten. Darüber hinaus müssen wir unser Dienstleistungsangebot erweitern. Von der Beratung, Schulung über die Finanzierung bis hin zum Betreibermodell. Ich behaupte, in wenigen Jahren muss ein Viertel unseres Umsatzes aus diesen Leistungen kommen. Die Informationstechnik kann uns helfen, den Standort Deutschland besser zu nutzen.
?Old Economy versus New Economy – wie können beide voneinander profitieren?
! Die New Economy braucht uns allemal. Denn der Internetzugang in Ehren, aber irgendwann einmal muss man etwas tun über diesen Zugang. Man muss Geschäfte machen: Ersatzteile kaufen, Maschinen bestellen, Schulungs-modelle vermitteln.
?Manchmal, insbesondere wenn man manche Wirtschaftsmagazine liest, entsteht der Eindruck, als ob die fertigende Industrie wie ein vom Aussterben bedrohter Dinosaurier behandelt wird. Wie sehen Sie das?
! Ich sage immer, wir leben in einer dinglichen Welt. Wir sitzen auf Stühlen, wir fahren Autos, wir benützen Aufzüge, wir essen durchaus real und nicht virtuell. Wir werden in jeder Form Produkte haben, die wir nutzen. Die Frage ist nur, ob wir in unserem Land und in unserem Wirtschaftsraum in der Lage sind, diese Produkte zu wettbewerbsfähigen Bedingungen herzustellen. Das sind wir dann, wenn wir technologisch ganz vorne sind, wenn wir die Infrastruktur, die uns umgibt, klug nutzen.
?Soziologen gehen davon aus, dass sich die Gesellschaften durch die Globalisierung so verändern werden, dass es keine festen gesellschaftlichen Gefüge mehr gibt. Wird es sie geben, die prophezeite ‘placeless society’?
! Wir haben alle unendlich mehr gesehen als unsere Vorfahren. Ich denke, das Heimatgefühl, die Einordnung in gewohnte Strukturen, ist dem Menschen ein Grundbedürfnis. Dem Menschen wird immer die Struktur wichtig sein, in der er aufwächst, sich wohlfühlt und in der er zuhause ist.
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