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Je mehr die Winzlinge schrumpfen, um so stärker wächst der Markt

Mikrospritzgießen ermöglicht kleinste Bauteile in großen Stückzahlen
Je mehr die Winzlinge schrumpfen, um so stärker wächst der Markt

Immer kleiner, immer präziser, immer billiger werden sie: Mikroteile aus polymeren Werkstoffen. Dadurch finden sie zunehmend Abnehmer, etwa in der Automobil- und EDV-Branche oder der Uhrenindustrie. Alles Branchen, die die Winzlinge in Massen brauchen. Und da kommt am Mikrospritzguß kaum jemand vorbei.

Von unserem Redaktionsmitglied Werner Götz

Ob der Markt für mikrotechnische Systeme von derzeit 35 Milliarden Mark bis zum Jahr 2002 auf 55, 75 oder gar 90 Milliarden Mark wächst, ist eigentlich zweitrangig. Viel wichtiger ist, daß er wächst, und zwar überproportional. Das ist kein Wunder, denn die Möglichkeiten der Winzlinge sind überwältigend. Was vor wenigen Jahren noch wie Science-fiction klang, ist heute bereits Realität. Ein Beispiel: Das Institut für Mikrotechnik Mainz (IMM) hat in Kooperation mit der Dr. Fritz Faulhaber GmbH & Co. KG, Schönaich, einen Mikromotor mit einem Durchmesser von nur 1,9 mm entwickelt, die Länge beträgt gerade mal 5,5 mm. Der Motor erreicht Drehzahlen von mehr als 100000 min-1. Für ein hohes Drehmoment sorgen mehrstufige Kunststoff-Planetengetriebe mit einem Durchmesser von ebenfalls 1,9 mm. „Aus einem einzigen Granulatkorn produzieren wir fünf bis sechs aus 17 Spritzgußteilen bestehende 3-Stufen-Getriebe”, erzählt Prof. Dr. Wolfgang Ehrfeld, Geschäftsführer des IMM. „Das kleinste Zahnrad weist dabei einen Durchmesser von 283 Mikrometern auf.”
Einsatzgebiete für die Motoren finden sich beispielsweise in optischen Fokussiersystemen, miniaturisierten Laserscannern, beim Dosieren kleinster Mengen oder in Kathedern und Endoskopen. „Am Beispiel des Mikromotors ist zu sehen, wie weit die Mikrotechnik schon fortgeschritten ist”, meint Prof. Ehrfeld. Und doch stehe sie erst am Anfang ihrer Entwicklung. „Auch mit den besten, heute verfügbaren Mikrotechniken gelingt es nicht, etwa ein Facettenauge einer Fliege oder auch nur deren Flügel herzustellen, ein aerodynamisch, aktuatorisch und sensorisch höchst komplexes System.”
Doch nicht die spektakulären Erzeugnisse sind es, die derzeit zu den enormen Wachstumsraten bei Mikrosystemen führen, sondern ganz alltägliche Produkte. Dazu zählen etwa Airbag- und Abstandssensoren in der Kfz-Industrie, Druckköpfe für Tintenstrahldrucker oder Schreib-Lese-Köpfe bei Festplattenspeichern. Allein mit letzteren wurden 1995 weltweit fünf Milliarden Mark umgesetzt. Und je kleiner die Schreib-Lese-Köpfe werden, desto dichter lassen sich die Daten packen.
Geht es um die Fertigung dreidimensionaler Teile in großen Stückzahlen, ist der Mikrospritzguß das dominierende Herstellungsverfahren. Generell ist hier zwischen dem Fertigen kleiner Teile oder großer Teile mit kleinen Strukturen zu unterscheiden. Bei letzterem kann es sich auch um viele kleine Teile auf einem Träger handeln. Sie werden nach dem Spritzgießen in einem zweiten Arbeitsschritt von dem Träger entfernt.
Batchfertigung bietet Vorteile beim Lagern
„In diesem Fall ist der Einsatz von Standardmaschinen möglich, da viele Teile, gemeinsam hergestellt, auch ein erhebliches Schußgewicht erreichen”, so Prof. Ehrfeld. „Und Standardmaschinen bieten Kostenvorteile.” Eine derartige Batchfertigung biete zudem Vorteile beim Lagern und Handhaben der Teile gegenüber dem Herstellen von Einzelstücken. „Aber es gibt keinen Königsweg”, meint Prof. Ehrfeld, „und je nach Aufgabenstellung bietet die eine oder andere Technologie Vorteile.”
Prinzipiell eignet sich das Mikrospritzgießen auch zum Herstellen kleinerer und mittlerer Stückzahlen. „Doch dessen Stärke ist die preisgünstige Massenfertigung, deshalb planen wir den Einsatz des Verfahrens auch nur bei Produkten, die voraussichtlich in großen Stückzahlen nachgefragt werden”, erläutert der Professor. So arbeiten die Mainzer Forscher zum Beispiel an der Herstellung von Düsenplatten für Tintenstrahldrucker im Spritzguß. Bei kleinen Losgrößen ist das Heißprägen oder das direkte Strukturieren – feinmechanisch oder direkt-tiefenlithographisch – oft preisgünstiger.
Derzeit werden die meisten der Winzlinge vom Prinzip her noch immer nach dem gleichen Prozeß gefertigt, der sich auch bei ihren größeren Brüdern findet. „Sinkt das Teilegewicht jedoch unter 100 mg – und das ist immer häufiger der Fall – stößt die Herstellung auf konventionellen Spritzgießmaschinen an physikalische Grenzen”, so Martin Ganz, Produktleiter Microsystem bei der Battenfeld Spritzgießtechnik im österreichischen Kottingbrunn. Dem stimmt auch Prof. Ehrfeld zu. Neben einer Reihe technischer Probleme reiche vor allem die steuerungstechnische Ausrüstung herkömmlicher Maschinen bei komplexen Zyklen oft nicht aus. Weiterhin verursache das Handling der winzigen Teile Probleme. Auch seien die Zykluszeiten etwa beim Variotherm-Prozeß sehr lang. Hier wird die Spritzgußform beim Einspritzen über die Entformtemperatur hinaus erwärmt, um das sogenannte Einfrieren der Schmelze zu verhindern. Zum Auswerfen muß dann wieder gekühlt werden. Das führt laut Prof. Ehrfeld zu Zykluszeiten von drei Minuten gegenüber 15 Sekunden im Normalfall.
Der IMM-Forscher setzt deswegen auf einen Paradigmenwechsel: „Die Kunden wollen ganzheitliche Lösungen ihrer Probleme, nicht eine Reihe von Einzelkomponenten verschiedener Hersteller.” Firmen- und Kompetenzverbünde würden sich bilden, die letztendlich die gesamte Strecke aus einer Hand anbieten können, vom Design und der Simulation über den Formenbau und den Mikrospritzguß bis hin zum Handhaben, zur Montage und zum Test.
Verhältnis zwischen Anguß- und Teilegewicht signifikant verbessert
Einen ersten Schritt in diese Richtung ist Battenfeld mit der Microsystem gegangen. Entstanden ist die Fertigungszelle für Mikroteile gemeinsam mit der Fachhochschule Wiener Neustadt (Versuchsfeld/Qualitätssicherung), Zumtobel Staff (Formenbau), Inocon (Handling), HB-Plastik (Anwendungstechnik) sowie dem IFWT Institut für Feinwerktechnik (Begleitforschung). Battenfeld Kottingbrunn war für die Prozeßtechnik und den Maschinenbau verantwortlich.
Die kompakte und modular aufgebaute, vollelektrische Fertigungszelle besitzt ein spezielles Einspritzmodul, eine integrierte Formsicherung sowie eine 100prozentige optische Qualitätskontrolle. Verunreinigungen der Mikroteile verhindert das Produzieren unter Reinraumbedingungen.
Eine Blisterverpackung schützt das lageorientierte Produkt vor Verschmutzungen und kann für die automatische Weiterverarbeitung nachfolgender Montagestationen bereits vereinzelte Formteile bereitstellen.
Als Hauptvorteil gegenüber herkömmlichen Lösungen nennt Battenfeld-Entwickler Martin Ganz zum einen das signifikant verbesserte Verhältnis zwischen Anguß- und Teilegewicht infolge einer Kolbeneinspritzung direkt in die Trennebene. Das so optimierte Massepolster habe zur Folge, daß der Druckanstieg in der Kavität deutlich schneller erfolgt als bisher, was wiederum längere Fließwege und eine bessere Abformgenauigkeit ermögliche. Zum anderen erlaubt das neu konzipierte System das Einspritzen einer „thermisch homogenen Masse auf einem sehr stabilen Temperaturniveau und führt zu einer Reduzierung von Druckverlusten beim Einspritzprozeß”, erläutert Martin Ganz. Den Einsatzbereich für die Fertigungszelle sieht er insbesondere dann, wenn Teile mit einem Gewicht unter 100 mg zu fertigen sowie automatische Entnahme, Qualitätssicherung Verpackung und Reinraumbedingungen gefordert sind.
Die Antwort des Spritzgießmaschinenbauers Dr. Boy GmbH, Neustadt, auf die wachsenden Anforderungen bei der Produktion von Mikroteilen ist die Projektstudie Boy 12 A Micro mit einer Schließkraft von 129 kN. Als Basis dient die seit einem Jahr auf dem Markt befindliche Boy 12 M. Die Micro unterscheidet sich jedoch durch ein völlig neu entwickeltes Einspritzaggregat. „Durch eine in der Schnecke befindliche Nadel werden Probleme mit Umlenkungen und toten Ecken vermieden, wie sie bei Schneckenvorplastifizierung mit nachgeschalteter Kolbeneinspritzung auftreten können”, erläutert Dipl.-Ing. Rüdiger Löhl, Geschäftsführer Vertrieb bei den Neustädtern. Bei einem Nadeldurchmesser von 8 mm beträgt das maximale Hubvolumen gerade mal 2 cm³. Künftig soll es noch weiter reduziert werden: Löhls Ziel sind 0,5 cm³.
Für eine optimale Homogenisierung der Schmelze sowie konstante Förderung und damit für gleichbleibende Dosierzeit sorgt eine relativ große Schnecke. „Durch das Nadelprinzip spiele die Größe der Schnecke beim Einspritzen keine so wichtige Rolle”, erklärt der Manager. „Viel bedeutender ist, daß Einzugsprobleme ausgeschlossen sind, wie sie bei sehr kleinen Schnecken auftreten können.” Die Abmessungen eines typischen Kunststoff-Granulatkorns von 3 mm x 4 mm und die Gangtiefe der Einzugszone von 2,5 mm bei einer 14-mm-Schnecke würden zeigen, daß es mit dem gleichmäßigen Einzug bei zu kleinen Schnecken je nach Material Probleme gebe. Nach dem Dosieren verschließt die Schnecke den Schmelzvorraum, Ungenauigkeiten, wie beim Verschließen mit einer üblichen Rückstromsperre, gebe es nicht. Derzeit durchläuft eine Maschine einen längeren Feldtest bei einigen Kunden.
Auch Ferromatik Milacron, Malterdingen, hat Spritzgießmaschinen für das Herstellen von Formteilen mit sehr kleinen Schußgewichten im Programm. Dabei handelt es sich um konventionelle Maschinen der K-Serie mit Schließkräften bis 1100 kN, bei denen sich die Einspritzeinheit durch ein Mikrospritzaggregat auswechseln läßt. Entwickelt haben es die Malterdinger gemeinsam mit dem Institut für Kunststoffverarbeitung (IKV), Aachen.
Das Aggregat arbeitet nach dem Prinzip der Kolbeneinspritzung mit separater Schneckenvorplastifizierung. Die eingesetzte 18-mm-Förderschnecke besitzt herkömmliche Gangtiefen zum Verarbeiten von Standard-Granulat. Um die Verweilzeiten möglichst gering zu halten, wurde die Stegbreite etwas vergrößert und die konventionelle Dreizonenschnecke auf ein L/D-Verhältnis von 15 verkürzt. Die Schnecke selbst ist ohne Rückstromsperre ausgeführt, deren Aufgabe übernimmt ein Kugelrückschlagventil. Zur Verfügung stehen Spritzkolben mit 7, 9 und 11 mm Durchmesser, das entspricht maximalen Schußgewichten bei Polystyrol von 2,263 bis 5,588 g. Vorteilhaft bei derartigen Lösungen ist, daß mit den Maschinen durch einen einfachen Austausch der Spritzeinheit auch größere Teile zu fertigen sind.
Mikrospritzgießen funktioniert jedoch nicht nur mit Thermoplasten. Auch keramische und metallische Pulver lassen sich so zu komplexen Teilen formen. „Die ersten keramischen Mikroteile sind gefertigt, und auch bei den metallischen Werkstoffen laufen erste Arbeiten”, so Prof. Ehrfeld. Derartige Bauteile können entweder über den Weg des Spritzgießens eines pulvergefüllten Feedstocks gefertigt werden, der nachfolgend zu entbindern und zu sintern ist, oder aber über einen Schlickerguß in eine verlorene Form, die dann im Spritzguß hergestellt wird. Vorteile gegenüber Thermoplasten bieten etwa die keramischen Werkstoffe bei der Verschleißfestigkeit und mechanischen Belastbarkeit.
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