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Kein reibender Ton stört das Spiel der Orgel

Manus-Award: Polymer-Gleitlager zeigen, was sie können
Kein reibender Ton stört das Spiel der Orgel

In Flaschen-Reinigungsanlagen halbieren sie den Energieverbrauch, in Orgeln laufen sie 100 Jahre wartungsfrei und in der Gießereitechnik senken sie die Kosten. Die Rede ist von Polymerlagern, die ihre Potenz beim Wettbewerb um den Manus-Award bewiesen haben.

Von unserem Redaktionsmitglied Olaf Stauß olaf.stauss@konradin.de

Kunststoffe sind allgegenwärtig. Nachdem sie ihr „Plastik“-Image losgeworden waren, haben sie ihren Siegeszug fast unbemerkt fortgesetzt bis hinein in die Elektronik. Dieser Wandel ist einschneidender als der erste vom Schmuddelmaterial zum technischen Kunststoff: Ohne Polymere geht gar nichts: Die Bereiche, die sie durchsetzen, lassen sich nicht einmal alle aufzählen.
Um ein Bild von der Potenz der Kunststoffe zu zeichnen, müsste man eher ein kleines Detail herauspicken. Und da drängt sich der Manus-Award geradezu auf, der die Aufmerksamkeit der Fachwelt auf Polymer-Gleitlager gelenkt hat. Ausgeschrieben wurde er von der Igus GmbH in Köln zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie (ICT) und dem Industrieanzeiger. 36 Entwickler stellten innovative Gleitlager-Lösungen vor. Dr. Rolf Langbein, seit über 23 Jahren Chefredakteur des Industrieanzeiger, war Mitglied der Jury und meinte nach dem Auswählen: „Ich bin tief beeindruckt von der Anwendungsbreite dieser Gleitlager. Das hätte ich mir vorher so nicht vorgestellt.“
In den Sieger-Anwendungen sollten die Gleitelemente die Qualität verbessern (bei absoluter Schmierfreiheit), die Lebensdauer steigern, Herstellkosten senken und Wartungsarbeiten überflüssig machen. Drei Tage bewertete die Jury, verteilte Punkte, wägte ab und diskutierte – bis die besten Drei feststanden. Den Manus in Gold erhielt Peter Best von der Krones AG, Werk Flensburg, für den Einsatz von Kunststoff-Lagern in Flaschenreinigungsanlagen. Krones konnte damit die Antriebsleistung der Maschinen mindestens halbieren. Im Jahr verbraucht eine Anlage für 60 000 Flaschen/h immerhin 35 MWh. Die Energie wird fast komplett dafür benötigt, die Reibung zu überwinden: Pro Maschine sind Förderketten mit einer Gesamtlänge von 80 bis 100 m im Einsatz, die aus Laschen und gehärteten Bauteilen wie Bolzen, Buchse und Rolle bestehen. Da die Hauptreinigung in 80 °C heißer Natronlauge erfolgt, ist die Umgebung absolut fettfrei. „Früher quietschten die Maschinen unerträglich“, erklärt Best, weil Stahl auf Stahl trocken lief. Damit ist es nun vorbei, seit Kunststoff-Gleitbuchsen die Stahlbuchsen in den umlaufenden Kettenrollen ersetzen.
„In dieser rauen Umgebung ein Kunststoffmaterial einzusetzen, war das verwegenste und mutigste Projekt überhaupt“, sagt Best rückblickend. Doch schon der erste Versuch brachte großen Erfolg. Best erzählt die Episode aus dem Jahr 1996 mit einem Schmunzeln: Ein Monteur aus dem Bayerischen Wald benötigte Hilfe, weil eine Kette sich kaum mehr bewegte. Womöglich war sie korrodiert. Die Krones-Leute entschieden, die bereits angedachte Lösung mit Kunststoff-Gleitlagern jetzt auszuprobieren. Als sie eingebaut war, rief der Monteur wieder an. „Ich messe überhaupt kein Drehmoment mehr“, meinte er ratlos, nachdem er die Messuhr erfolglos auf Fehler untersucht hatte. Danach entwickelten Best und sein Team die Lösung mit Igus weiter. Seit Oktober 2003 gilt sie nun bei Krones als Standardlösung.
Pionierarbeit leistete auch der Orgelbauer Werner Baumgartner, Preisträger des silbernen Manus. Trotz der Skepsis vieler Kollegen setzt er Polymerbuchsen in Kirchenorgeln ein und konnte so die Lager-Lebensdauer verzehnfachen. Sie ersetzen traditionelle Tuchlager, wie sie schon seit 250 Jahren in Orgeln verwendet werden. Filz wird dabei in einer Bohrung verleimt. Nach zehn bis 20 Jahren ist in der Regel ein Austausch fällig. Baumgartner erwartet dagegen, dass die Kunststoff-Lager 100 Jahre wartungsfrei laufen. Und aus heutiger Sicht werden sie das auch schaffen. Bei den ersten, vor sieben Jahren eingebauten Polymerlagern findet er noch „keinerlei Anzeichen von Verschleiß“.
Für die Gleitelemente gelten hohe Anforderungen: Bis die Tastenbewegung des Organisten am Ventil der Orgelpfeife ankommt, sind Strecken von bis zu 14 m mit mehreren eingebauten Wippen und Winkeln zu überwinden. Trakturwinkel lenken die Bewegung von der Waagrechten in die Senkrechte um und umgekehrt. Sie müssen möglichst verlustfrei laufen, und natürlich dürfen sie keine Geräusche machen. „Aus Erfahrung wussten wir, dass bereits ein Spiel von mehr als 30 µm zu Klappergeräuschen führt“, berichtet Baumgartner. Also reduzierten sie das Spiel auf 5 bis 12 µm und können diese Werte nun prozesssicher halten. 110 000 Lagerstellen haben die Orgelbauer bisher schon mit Polymerbuchsen ausgerüstet.
Mit Staub, Sand und Chemikalien müssen die Gleitlager fertig werden, die in den Kernschießmaschinen der GST Gießerei-Systemtechnik GmbH, Viersen, zum Einsatz kommen. Der Sand „schießt“ mit 2 bis 8 bar Druck in die Formen. „Dort herrscht eine raue Belastung“, erklärt Konstruktionsleiter Horst Mitzner, Preisträger des bronzenen Manus. Dennoch funktionieren die Igus-Flanschlager in den linearen Bewegungseinheiten „zur vollsten Zufriedenheit“. Sie reduzieren die Wartung auf null und machen die Schmierung überflüssig. Vor allem sind sie um 80 % kostengünstiger als die bisher verwendeten Bronze-Führungsbuchsen mit Abstreifern und sparen damit 3,8 % an den Gesamt-Maschinenkosten ein. Für Mitzner hat die Lösung Vorbildcharakter für ähnlich verschleißbelastete Anwendungen. „Führungselemente, die sich in Gießereimaschinen bewähren, sind sicher auch anderswo ohne Risiko einzusetzen.“
Industrieanzeiger
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